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Theaterbild. © Stefan Gloede/Musikfestspiele Potsdam Sanssouci

Antonin Rondepierre JOABEL, David Tricou DAVID.

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Charpentiers „David et Jonathas“ und Bernasconis „L’Huomo“ bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci

Vorspann / Teaser

45 musikalische Konzerte und Opernaufführungen in 17 Tagen vom 9. bis 25. Juni, zahlreiche Führungen zu ausgewählten Punkten der Hauptstadt Brandenburgs und sechs Angebote für Kitas kamen unter der bis 2028 verlängerten künstlerischen Leitung von Dorothee Oberlinger und des Dramaturgen Carsten Hinrichs zusammen. Musiktheater dominierte bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci. Der Konzertradius spannte sich von „The Bach-Abel Concerts. Zwei deutsche Freunde in London“ zu einer „Schubertiade“ mit dem Tenor Daniel Johannsen und Preußen-affinen Themen wie die Dienstagsakademie „Friedrichs Hofmusiker wagen mehr Demokratie“. Dem Ort wurde unter dem Motto „In Freundschaft“ gehuldigt wie der meist unter schweren Kämpfen errungenen Harmonie.
 

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Quelle für „L’Huomo“ war die Lehrkomödie „L’homme“ Wilhelmine von Bayreuths. Die finale Versifizierung vertraute Markgräfin Wilhelmine Luigi Maria Stampiglia an, die Vertonung dem in Münchner Hofdiensten stehenden Andrea Bernasconi (1706 bis 1784). Das 1754 anlässlich eines Besuchs von Friedrich II. in Bayreuth uraufgeführte Opus reiht fulminante Nummern und Arien mit Koloraturfeuerwerken und einem bemerkenswert farbigen Orchestersatz. Ensemble 1700 und Dorothee Oberlinger hinterließen wie bei der soeben auf Tonträger erschienenen Potsdamer Vorjahresproduktion „I portentosi effetti della Madre Natura“ (Die wundersamen Wirkungen von Mutter Natur) von Giuseppe Scarlatti einen glänzenden Gesamteindruck und in jeder Nummer der für die Tanzszenen mit Musik von Johann Adolph Hasse und der Bayreuther Regentin erweiterten Festa eine beglückende Virtuosität.

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Theaterfigur. Musikfestspiele Potsdam Sanssouci

Francesca Benitez (Buon genio).

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Charpentiers „David et Jonathas“

Ein deutlicher, doch nie scharf konturierter Klang war herausragendes Merkmal neben einer treffsicheren Pointierung und Spielfreude, welche den Sänger:innen viele Akzent-Anreize zuspielte. In „L’Huomo“ sind es eine männliche Seele und deren fraulicher Gegenpart, die sich zwischen den Polen Gut und Verwerflich eine Schneise zum erfüllten Leben bahnen. Integre und böse Allegorien kreuzen und durchkreuzen die Bahnen von Anemone (der Countertenor Philipp Mathmann betörend in langsamen, solide in virtuosen Gefilden) und Animia (Maria Ladurner mit angemessen schönen Tönen). Einmal mehr war der für barocke Spielformen kompetente Szenen-Tüftler Nils Niemann am Werk. Am besten gerät das von Johannes Ritter mit historisch anmutenden Kostümen und Gesten überhauchte Geschehen, wenn das Tanzensemble (Yves Ytier, Hendryk Voß, Thomas Feyerabend, Anastasia Krasnikova, Sophia Otto) sich selbst die Bewegungen mittels historischer Quellentexte aneignete.
 

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Francesca Benitez als Guten Geist erkannte man eindeutig am pompösen Auftritt und vokalem Prunk. Die Vernunft (Alice Lackner), die Wollust (Anna Herbst) und die Unbeständigkeit (Johanna Rosa Falkinger) glichen sich sehr, müssen sich daher mit einem pauschalen Lob für ihre hohen Leistungen begnügen. Florian Götz als Böser Geist fährt Forte-Schübe aus, als ginge es um den Grünen Wagner-Hügel, nicht aber das barocke Bayreuth. Der Tenor Simon Bode als Vernünftige Liebe biss lustvoll ins Noten-Futter seiner Arien und bog sich deren Sinn so listig wie souverän zurecht. Die flache Regie outete sich noch deutlicher durch Christoph Brechs hintergründige Videoarbeiten mit digital evozierten Bildwelten aus Astronomie und Astrologie. Die Videotechnik hinten und das barock ambitionierte Spiel im Vordergrund liefen nebeneinander her.

In der Erlöserkirche bei zwei Vorstellungen einer Koproduktion mit der Opéra Royal / Château de Versailles Spectacles waren Musik, Tanz, Personenführung und Ausdruck waren für Marc-Antoine Charpentiers biblische Tragödie „David et Jonathas“ aus dem Jahr 1688 derart verwoben, dass von einem integralen Musiktheater mit entstehungszeitlichen Mitteln gesprochen werden muss.

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Einziges Handicap der Produktion war der die ganze hintere Altarfläche einnehmende Holzbau (Antoine und Roland Fontaine), wodurch das Orchester und der große Chor des mitreißenden Ensemble Marguerite Louise, das Ballet de l’Opéra Royal du Château de Versailles in der sensibel-repräsentativen Choreographie von Jeannette Lajeunesse Zingg und der kleine Chor sich mit wenig Fläche begnügen mussten.

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Theaterbild. © Stefan Gloede/Musikfestspiele Potsdam Sanssouci.

Cyril Costanzo ACHIS, David Tricou DAVID, Solisten des PETIT CHOEUR.

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Die barocken Kostüme von Christian Lacroix entsprechen mit ihrer Erlesenheit der großartigen musikalisch-szenischen Gestaltung. Marshall Pynkoski konzentrierte sich in seiner Regie auf das Arrangieren und Gruppieren der Figuren, ermöglichte dadurch dem Dirigenten Gaétan Jarry eine Sternstunde. Der souveräne Haute-Contre David Tricou als David und der ihm ebenbürtige Bariton David Witczak als Saül waren sogar noch besser als die anderen hochklassig besetzten Ensemble-Positionen: François-Olivier Jean als ‚Pythonisse‘ von Endor, Antonin Rondepierre als Joabel und Virgile Ancely als Achis, Nicolas Certenais als Geist des Propheten Samuel. Caroline Arnaud als Jonathas hatte die Aufgabe, eine männliche Partie mit deutlich ausgestellter fraulicher Physis zu verkörpern. Die Entscheidung für die Darstellung irdischer mann-männlicher Erotik oder einer ‚nur‘ freundschaftlichen Liebe bleibt auch in der Gegenwart eine subtile Angelegenheit. Die Freundschaft Davids und Jonathas’ ersetzt in dieser 1688 am Collège Louis-le-Grand in Paris uraufgeführten und bis Mitte des 18. Jahrhundert regelmäßig aufgeführten Oper klassische Liebeshandlungen. Damit hatte sie unter dem Festspielmotto „In Freundschaften“ höhere Berechtigung als Wilhelmines Konflikt-Allegorie „L’Huomo“.

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