Berlin. Enrique Mazzola dirigierte an der Deutschen Oper konzertant eine großartige „Hérodiade“ von Jules Massenet.

Lange bevor die „Salome“ von Richard Strauss in das Gebiet der „Sexualpathologie“ verwiesen wurde, erschütterte Jules Massenets „Hérodiade“ den Musikbetrieb. Zwar gibt es hier keinen lasziven Schleiertanz, und Salomé küsst auch nicht das abgeschlagene, auf einem Silbertablett präsentierte Haupt des Propheten; allein ihre sinnliche Liebe zu dem Gottesmann genügte, um das Werk von der Pariser Hauptbühne zu verbannen. Es erlebte seine Uraufführung 1881 in Brüssel. Erfolge in Frankreich ließen Jahrzehnte auf sich warten, im Ausland ist es nahezu unbekannt. Ende Mai sorgte Düsseldorf für die überfällige Wiederentdeckung, jetzt zieht die Deutsche Oper Berlin nach, allerdings nur konzertant.

Große Besetzung bei der konzertanten Aufführung von Massenets Oper „Hérodiada“ an der Deutschen Oper.
Große Besetzung bei der konzertanten Aufführung von Massenets Oper „Hérodiada“ an der Deutschen Oper. © Bettina Stöß

Die Besetzungsliste jedoch bescherte der Bismarckstraße einen bemerkenswerten Erfolg; fast alle Mitwirkenden sind dort seit langem vertraut, der kernige kroatische Bassbariton Marko Mimica (als Phanuel) ebenso wie Etienne Dupuis (Hérode), der souverän zwischen hoheitlichem Phlegma und brennender Passion zu changieren verstand. Dean Murphy (Vitellius) überzeugte mit starkem, klarem Bariton; Matthew Polenzani hingegen, der sein Hausdebüt gab, blieb in der Rolle des Jean (alias Johannes) blass. Mit Clémentine Margaine erlebten wir eine fulminant überdrehte Hérodiade, und auch Nicole Car hielt sich als Salomé nicht immer in den Grenzen zärtlichen Flehens. Die schönste weibliche Stimme übrigens hatte den kleinsten Part: Sua Jo lieh ihren Sopran – so elegant wie eindringlich, warm und gleichermaßen klar temperiert – einer namenlosen jungen Babylonierin und verzauberte für Minuten den Saal. Wer ihr eine steil aufsteigende Karrierekurve vorhersagt, geht kein Risiko ein.

Das Opernlibretto offenbart sich als entsetzlich dummer Text

Ähnlich dürfte es Massenets vergessenem Meisterstück ergehen, das sich endlich aus dem Schlagschatten von „Werther“ und „Manon“ zu befreien anschickt. Musikalisch eine schlichtweg komplette Partitur mit bezwingender Lyrik, fesselnder Dramatik, großen und hier bestens bewältigten Chorszenen, tänzerischen Einlagen sogar und einer durchaus unkonventionellen, modernen Harmonik. Der Plot funktioniert: Salomé liebt vergeblich den Täufer Johannes, Hérode liebt vergeblich Salomé und wird vergeblich von seiner Gattin Hérodiade geliebt, die sich zu allem Unglück am Ende auch noch als Salomés Mutter outet. Viel tragischer geht es nicht. Aber das Libretto, was für ein entsetzlich dummer Text!

Gewagt genug immerhin, um künftige Inszenierungen mit reichlich Sudelexzessen befürchten zu lassen. Ist da die konzertante Aufführung nicht doch die bessere Alternative? In der Bismarckstraße waren jedenfalls alle damit zufrieden, zumal dem Auge genug geboten wurde: der Chor marschierte auf und ab, die Solisten markierten im Rahmen der Möglichkeiten schauspielerisches Talent, die Damen trugen entzückende Roben, während wir am Dirigenten ein rotes Brillengestell und rotes Einstecktuch, eine rote Krawatte und rote Schnürsenkel entdeckten! Und dann hatte Enrique Mazzola dank alter Kapellmeisterpräzision den Laden auch noch auf bewundernswerte Weise im Griff. Mehr kann man kaum verlangen.

Deutsche Oper Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Tel. 34384343 Termin: 18. Juni um 18 Uhr