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Olivier Messiaen: „Saint François d’Assise“ in Stuttgart – Libellchens Auferstehung

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„Saint François d’Assise“: Franziskus, Michael Mayes, hat Bäumchen gepflanzt. Foto: Martin Sigmund
„Saint François d’Assise“: Franziskus, Michael Mayes, hat Bäumchen gepflanzt. Foto: Martin Sigmund © Martin Sigmund

Die Oper Stuttgart bringt Olivier Messiaens „Saint François d’Assise“ auf die Bühne und in die Natur.

Olivier Messiaens Großoper „Saint François d’Assise“, 1983 in Paris uraufgeführt, gehört zu den selten gespielten, nämlich auch als relativ unspielbar geltenden Werken. Das hängt mit dem Aufwand zusammen, bei dem ein fast 120-köpfiges Orchester mit so dollen Instrumenten wie drei Ondes Martenots zum Einsatz kommt, wie auch ein riesiger Chor, zu dessen Aufgaben es gehört, lange Dur-Akkorde zu singen und zu summen.

Denn im Kontrast zur erforderlichen Anzahl hochqualifizierter Mitwirkender ist es eine gemäß dem Titelhelden minimalistische Handlung in drei Akten mit acht Bildern: Im ersten, inhaltlich mitreißendsten Akt umarmt Franziskus einen Leprakranken, eine Überwindung des Ekels durch maximale Liebe, die ihn übrigens noch mehr jubeln lässt als die spektakuläre Heilung des Mannes, die damit einhergeht. Im zweiten Akt geht es etwas vereinfacht gesagt um die Schönheit des Engels- und Vogelgesangs. Im dritten stirbt Franziskus in Frieden und im Zuge einer Transformation vom irdischen zum himmlischen Leben. Ein In-sich-Ruhen, eine Simplizität, die zu Franziskus’ Lehren besser passt als zu Messiaens Musik, die vieles ist, aber simpel ist sie nicht. Sie bauscht sich auch nicht auf.

Perfekt hierzu der Auftritt der gefiederten Freunde des Komponisten wie des Heiligen, deren Gesang im zweiten Akt so viel Raum bekommt, dass ein Mensch, der sich nicht für Vögel interessiert, zappelig werden kann. Das ist schade, denn Messiaen bietet ein Zaubergeflecht musikalischer Möglichkeiten, analytisch ist ihm kaum beizukommen, aber in Stuttgart hatten sie den schönen Einfall, die Namen der Vögel auf der Texttafel einzublenden. Amsel, Rotkehlchen, Feldlerche, Zaunkönig, Mönchsgrasmücke, Turteltaube, Pirol und so weiter. Die Motive sind so wenig zu unterscheiden, wie der Fremdling im Wald keinen Piep erkennt, aber die komplexe Struktur ist zumindest zu ahnen. Wie unspezifisch flötet demgegenüber Richard Wagners Waldvogel. Und wie viel Action wird um ihn herum geboten im Gegensatz zur Umgebung von Rotflügelgimpel und Bluthänfling, die nichts bedeuten müssen außer sich selbst.

„Saint François“ ist dabei länger als der „Siegfried“ und reicht an die „Götterdämmerung“ heran. Durch zusätzlichen Aufwand kommt die Stuttgarter Oper in ihrer aktuellen Produktion auf gut acht Stunden. Der erste und der dritte Akt gehen im Opernhaus über die Bühne. Der Bariton Michael Mayes, in Stimme und Gebaren die Milde und Gutmütigkeit in Person, heilt den zunächst ganz verknäuelten Kranken, Moritz Kallenberg, dessen junger Tenor die Tragödie der körperlichen Entstellung erst recht transportiert. Und pflanzt Bäumchen, wie es sich für die letzten Tage der Welt geziemt. Der Engel, Beate Ritter, singt vorerst von hinten, wie nur ein Engel singen kann. Im nicht großen, glänzend besetzten Ensemble die einzige Frauenstimme.

Für den mittleren Akt mit Engelsgesang und Vogelkonzerten wird das Publikum in Vogelgruppen (wie im Paradies-Kindergarten für Erwachsene) auf den Killesberg gebracht. In der Parklandschaft hört man sich zunächst das erste Bild des dritten Aktes über Kopfhörer an und trifft den nun „Wandernden Engel“ zwischen Büschen und in Bäumen wieder. Man ist ganz beseelt und macht schöne Fotos, denn die tiefe Frömmigkeit Messiaens führt nicht zu einer im engeren Sinne frommen Oper – zumindest nicht in der Lesart der Regisseurin Anna-Sophie Mahler, die mit Katrin Connan (Bühne und Raumkonzepte) und Pascale Martin (Kostüme) konsequent nach außerkonfessionellen Motiven gesucht hat.

Kapuzenpullis (nachhaltig aus der Stuttgarter Bevölkerung) ersetzen die Mönchskutten – woraus der Dirigent Titus Engel, der hier alles trefflich zusammenhält, einen tüchtig gespenstischen Auftritt beim Freilichtteil ableitet. Heilig ist die Natur selbst, ist das Kleinste in der Natur – der Engel ein feines, heuschreckhaftes Insekt, die quasi vorzeitige Auferstehung des Heiligen wird nachher mit einer Libellenentpuppung überblendet werden. Dass der leibhaftige Franziskus mit Flügelchen doch ein wenig läppisch wirkt, liegt an der Erdung des nachher bejubelten Operntags.

Oper Stuttgart: 22., 25. Juni, 2., 9. Juli. www.oper-stuttgart.de

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