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Die Rollen Mao Tse-Tung und Richard Nixon nehmen ausgelassen ein Bad. Hinter ihnen stehen 3 Frauen in grellen, sehr kurzen Plastik-Kleidern und Puschel-Badehauben. Neben der Wanne stehen überforderter Chou En-Lai und ein peinlich berührter Henry Kissinger.
Die Rollen Mao Tse-Tung und Richard Nixon nehmen ausgelassen ein Bad. Hinter ihnen stehen 3 Frauen in grellen, sehr kurzen Plastik-Kleidern und Puschel-Badehauben. Neben der Wanne stehen überforderter Chou En-Lai und ein peinlich berührter Henry Kissinger.
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Wunderbare Monster? „Nixon in China“ von John Adams in Hannover

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Die Präsenz der 1987 entstandenen Oper „Nixon in China“ an europäischen Opernhäusern – unter anderen Paris, Stuttgart, Koblenz und gerade erst in Dortmund – ist unübersehbar. Offensichtlich hat John Adams Oper „Nixon in China“ Konjunktur, nun auch an der Staatsoper Hannover in der Inszenierung von Daniel Kramer.

Und trotzdem fragt man sich, was Richard Nixons 1972 stattgefundener, werbewirksamer und pompöser Staatsbesuch – vier Stunden wurde das Staatsbankett übertragen! – im damals noch armen China, zu dem es nicht einmal diplomatische Beziehungen gab, denn heute eigentlich soll: schließlich haben sich die Fragen des Verhältnisses der beiden Länder total verändert.

Aus Amerika ist eine noch fragwürdigere Weltmacht geworden und in China eine komplett neue entstanden, von der wir alle noch nicht wissen, wie damit umgehen. Was kann uns der damalige Besuch des Republikaners Nixon, bei dem zu Hause gerade „sein“ Watergate-Skandal begonnen hatte, mit seiner Frau bei Mao Tse Tung und dessen Frau, der die historische Grundlage der Oper bildet, eigentlich noch erzählen? Und was das Werk vom 1947 geborenen John Adams, der radikal an der tonalen Musik festhielt und sie mit immergleichen Patterns in tranceartige minimalistische Geschäftigkeit tunkte. Wenn er auch oft raffiniert instrumentiert und die Gesangspartien hochexpressiv in die Tradition der Gesangsoper setzt.

Doch derartige Skepsis war in der jetzigen, viel bejubelten Aufführung durch die Staatsoper Hannover nicht angebracht: Sowohl das Stück selbst als auch die Inszenierung des Amerikaners Daniel Kramer lieferten einen mitreißenden, einzigartigen Balanceakt zwischen der Komik zweier sich eher im Sandkasten bekriegender Männer und den für alle Menschen gefährlichen Folgen ihrer Macht. Die Auseinandersetzung klappt nicht, denn Mao will über die Zukunft der Menschen philosophieren und Nixon über Vietnam sprechen. Mao steigt mit ihn massierenden Mädels ins Schaumbad und Nixon dazu. Die beiden Ehepaare besuchen abends die Vorstellung einer Choreographie von Maos Frau Chiang Ch'ing, in der die ehemalige Schauspielerin mit dem Patriarchat aufräumt: die Szene mit Henry Kissinger als Zielfigur eskaliert zu einer turbulenten Vermischung mit der Wirklichkeit, als Nixons Frau Pat eingreift. Beide Frauen werden in dem Widerstand gegen beide Patriarchate deutlich und als sehr stark profiliert. Am Ende stellen beide Männer ihre eigene Machtgier fest und damit durchaus Gemeinsamkeiten, müde und alkoholisiert resignieren alle: es ist nichts dabei herausgekommen – oder doch? Der chinesische Premierminister Chou En-lai – „alles erscheint hoffnungslos“ – stellt nach einem ergreifenden Monolog die offene Schlussfrage: „Wie viel von dem, was wir getan haben, war gut?“

Daniel Kramer legt die Grundproblematik ebenso zeitlos komisch und absurd wie bitterernst Schlag auf Schlag dar: Richard Nixon in seiner Eitelkeit und seine verdammt angeknackste Beziehung zu seiner Frau Pat, und etwas kasparhaft ebenso narzisstisch der todkranke Mao mit seiner ebenso rebellierenden wie auch solidarischen Frau. Auch in diesen Ehen gibt es Gemeinsamkeiten: beide Frauen sind mit „wunderbaren Monstern“ verheiratet. Dass das so gut gelingt, liegt auch an den fabelhaften SängerInnen: Mark Stone als Nixon, der häufig mal seine innere Einsamkeit zeigt, Daniel Norman als fanatischer, aber auch deswegen komischer Mao, Eliza Boom in ihren rosa Hausfrauenkleidchen und die furios tobende Mercedes Arcuri als Chiang Ch'ing waren mit hoher Gesangskunst ein mitreißendes Quartett. Michael Kupfer-Radecky als recht aggressiver Henry Kissinger und herausragend Darwin Prakash als Chou En-Lai: seine zweifelhafte Gelassenheit bleibt im Gedächtnis. Präzise und immer vorwärtstreibend das Niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Daniel Carter, toll bewältigte der Chor seine Riesenpartie und die Bühne von Lizzie Clachan und Kostüme von Esther Bialas leisteten das ihre zu der knallbunten und immer wuselnden Explosivität der Szenen. Begeisterter Beifall.


Die nächsten Aufführungen: 6., 8., 14. und 26.6. um 19.30; 25.6. um 16.00; 28.6. um 19.30; 2.7. um 18.30, 5. und 7.7. um 19.30.

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