Oper „Rusalka“ in Amsterdam :
Träume gibt’s nur noch aus der Fabrik

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Der Prinz (Pavel Černoch, Mitte) macht Party mit der fremden Fürstin (Annette Dasch, links neben ihm). Rusalka (Johanni van Oostrum, ganz rechts) hat nichts mehr zu melden.
Philipp Stölzl und Philipp M. Krenn machen in Amsterdam aus Antonín Dvořáks Oper „Rusalka“ eine Hollywood-Show. Im Dirigat von Joanna Mallwitz hört man, worum es eigentlich gehen müsste.

Wenn man die Augen schließt, kann man im Orchester den Wind hören, der durch die Zweige der Erlen am Ufer des Sees fährt, sodass ihr Laub raschelt. Man kann im Perlen der Harfe die Luft im Wasser aufsteigen hören, wenn die Nixen an die Oberfläche steigen. Im Wiegen der Klarinetten hört man sogar, wie die Wasseroberfläche sich wieder beruhigt und das Mondlicht sich darin spiegelt. Joana Mallwitz als Dirigentin des Königlichen Concertgebouworchesters schafft es an der Oper in Amsterdam aber nicht nur, zweidimensional zu malen. Sie gibt dem Naturraum in Antonín Dvořáks symbolistischer Märchenoper „Rusalka“ auch eine Tiefe: Obwohl die delikat spielenden Hörner genauso im Graben sitzen wie alle anderen Musiker, klingen sie wie aus der Ferne und geben der Jagd des Fürsten im Wald die Illusion echter Bewegung.

Während die Komposition den Weg von der Absicht zur Gestalt im Text zurücklegt, geht Mallwitz mit Genauigkeit und Phantasie den Rückweg vom Text zur Absicht. „Rusalka“ ist, wie viele Spätwerke Dvořáks, etwa die Ouvertüre „In der Natur“, die symphonischen Dichtungen „Der Wassermann“ und „Die Waldtaube“, eine Auseinandersetzung mit der außermenschlichen Natur als Mysterium. Mensch und Natur sind aufeinander bezogen und einander doch fremd. Indem der Mensch ein gewaltsames Herrschafts- und Aneignungsverhältnis mit der Natur sucht, beschädigt er zuverlässig sich selbst. Und so gehen auch in Mallwitz’ Dirigat Beschreibung und Empfindung immer Hand in Hand, am deutlichsten in den Tempozurücknahmen auf Höhepunkten des Singens, die dem Empfinden Nachdruck verleihen.

Wenn man die Augen öffnet an der Niederländischen Nationaloper in Amsterdam, sieht man von alledem nichts. Die Regisseure Philipp Stölzl und Philipp M. Krenn machen – wir haben das schon vor fünfzehn Jahren alles bei Stefan Herheim gesehen – die Nixen wieder zu Nutten und den Wassermann zum Zuhälter. Die Bühne von Stölzl und von Heike Vollmer ist das Elendsviertel einer amerikanischen Großstadt um 1955. Rusalka träumt sich aus dem Dreck heraus in die Welt des Hollywoodkinos hinein und in ein Leben an der Seite des Prinzen, eines Filmstars.

Der Fürst (Pavel Černoch) macht Rusalka (Johanni van Oostrum) einen Heiratsantrag.
Der Fürst (Pavel Černoch) macht Rusalka (Johanni van Oostrum) einen Heiratsantrag.Clärchen und Matthias Baus/Dutch National Opera

Das alles ist mit großem Können, stimmig, auch in Rücksicht auf die Forderungen der Musik inszeniert. Die Kostümbildnerin Anne Winckler hat nicht nur das Elend in allen Nuancen von Staub und Speckigkeit erfasst; sie gibt sich auch dem Glanz von Seidenkleidern und Marilyn-Perücken mit Virtuosität hin. Die Filmwelt ist ein Tutti-Frutti-Traum in den Farben Himbeer, Zitrone und Kiwi. Und beim schnellen Sex auf der Motorhaube eines Cabrios wird die Knautschzone zur Knutschzone. Am Ende setzt sich Rusalka, der weibliche Underdog, heimatlos im Showbiz, den goldenen Schuss. Transzendenz zur menschengemachten Welt gibt es hier nicht mehr, nur eine brillant gemachte Show mit industriegefertigten Träumen und Drogen. Was wir sehen, klafft auseinander zu dem, was wir hören. Die Regie sucht nicht nach Absichten, sie sucht nach Effekten. Besser: Sie kennt die Effekte schon sehr gut und sucht nur noch nach dem besten Platz dafür.

Pavel Černoch singt den Fürsten mit Sanftheit, Zärtlichkeit und am Ende todkranker Begierde: sauber, höhensicher, elegant. Annette Dasch als fremde Fürstin beglaubigt durch einen Überfluss an lyrischer Wärme, durch üppige, aber genau fokussierte Süße, dass sie eine verführungskräftige Alternative zu Rusalka sein kann. Johanni van Oostrum singt diese traurige Waldseenixe mit schwebend hellem Sopran, biegsam und leicht, aber auch mit jähen Tiefen, die Unheimliches verheißen. Einen so noblen, geradezu kavaliersmäßig gewandten Wassermann wie Maxim Kuzmin-Karavaev wird man nicht so leicht wiederfinden. Und auch Raehann Bryce-Davis legt die Partie der Ježibaba (hier eine Frisöse, die im Souterrain auch operative Busenvergrößerungen vornimmt) keineswegs als knatternd-keifende Hexenrolle an, sondern singt mit Charme, Gefälligkeit und dem Schein von Fürsorge. Alles in allem ein vorzüglich zusammengestelltes, ausgewogenes Ensemble.

Das Publikum der Oper Amsterdam, deren Musikdirektor Lorenzo Viotti nach kurzer Zeit schon wieder das Handtuch geworfen hat, dosiert seinen Beifall auffallend artig nach Geschlecht und Hautfarbe: Frauen bekommen mehr Applaus als Männer, die schwarze Sängerin erhält mehr Anerkennung als die weißen. Ein politisch waches Bewusstsein feiert sich selbst und seine neuen Kriterien für die Qualität von Kunst.