Christof Loys Inszenierung von „Francesca da Rimini“ wurde an der Deutschen Oper erstmals vor Publikum gezeigt.

Eine überaus leidenschaftliche Liebestragödie ist in der Deutschen Oper zu erleben. So etwas erwartet man zuerst aus Italien, weshalb man das Liebespaar lieber mit Romeo und Julia als mit Tristan und Isolde vergleichen möchte. Aber unschuldig ist in Riccardo Zandonais vieraktiger Oper „Francesca da Rimini“, die am Freitag ihre bejubelte Publikumspremiere erlebte, niemand. Am Ende werden Paolo und Francesca, die in Italien jedes Kind aus Dantes „Göttlicher Komödie“ kennt, vom Bruder ermordet. Der jüngste Bruder hatte den gehörnten Ehemann dazu angestachelt. Blutrünstiger, hässlicher Ernst prägt die herrliche, elegante Sängeroper.

Im Schlussjubel für die Künstler blieb allerdings Regisseur Christof Loy und sein Team vermisst. Genau genommen hatte die Oper bereits März 2021 während der Pandemie ihre Livestream-Premiere erlebt. Es war eines der gelungensten Opernprojekte dieser Zeit, die Bildregie konnte die großartigen Sängersolisten auf spannendste Weise durch die Handlung führen. Im Opernhaus sitzend staunt man jetzt zunächst über das imposante Bühnenbild von Johannes Leiacker. Der anheimelnde und prächtige Adelssitz ist eine Mischung aus Jugendstil und Fin de Siècle. Die Handlung ist aus dem mittelalterlichen Italien, als die dem Papst treuen Guelfen gegen die kaisertreuen Ghibellinen kämpften, in die Entstehungszeit der Oper verlegt. Die Uraufführung fand 1914 in Turin statt.

Schicke schwarze Anzüge lässt Kostümbildner Klaus Bruns die Adligen wie die Höflinge tragen. Die Szenerie verströmt eine aristokratisch ländliche Anmutung, als wären die Turiner Fiat-Gründer beim Jagdausflug. Es könnte sich auch um das Mafia-Milieu handeln. Ein Stück faschistoider Menschenverachtung liegt in der Luft. Zandonai komponierte auf einen Text des Verlegers Tito Ricordi. Der hatte auf die Verstragödie von Gabriele D’Annunzio, dem Ideengeber des italienischen Faschismus, zurück gegriffen. In der Oper geht es zuerst um eine starke Frau, die in einer Männergesellschaft überleben und irgendwie glücklich sein will.

Durch die Fenster ist ein Gemälde des Barockmalers Claude Lorrain zu sehen

Aber am Anfang steht der Betrug. Wenn Francesca aus den riesigen Fenstern der Veranda hinaus in die Natur schaut, blickt sie auf den übergroßen Ausschnitt eines Gemäldes von Claude Lorrain. Der französische Barockmaler hat mit seiner Landschaftsmalerei die idyllisch-arkadische Morgenstimmung geprägt. Wichtiger ist für Opernregisseur Christof Loy die biblische Geschichte der drei Figuren, um die es im Originalgemälde geht. Jakob wollte die schöne Rachel heiraten und musste dafür sieben Jahre lang für deren Vater arbeiten. Aber in der Hochzeitsnacht wurde Jakob die ältere Schwester Lea zugeführt. Francesca blickt durchs Fenster auf den im 1. Akt selbst erfahrenen Betrug.

Sopranistin Sara Jakubiak (rechts) in der Titelrolle in Zandonais Oper „Francesca da Rimini“ an der Deutschen Oper.
Sopranistin Sara Jakubiak (rechts) in der Titelrolle in Zandonais Oper „Francesca da Rimini“ an der Deutschen Oper. © Monika Rittershaus

Aus machtpolitischen Gründen sollte sie einen der Malatesta-Söhne aus Rimini heiraten. Der junge schöne Paolo wird ihr als Brautwerber vorgestellt, und sie ist geflasht. Aber zur Unterzeichnung nimmt der ältere Bruder Giovanni, der der Lahme genannt wird, den Platz ein. Bariton Ivan Inverardi singt den mächtigen Malatesta-Bruder angemessen hässlich und anmaßend. Er ist Francesca verfallen.

Sara Jakubiak ist die Powerfrau dieser Premiere und sieht sich am Ende gefeiert. Mit ihrem verführerisch wandelbaren Sopran kann sie sich den drei Brüdern anpassen. Sie kann lustvoll begehren und zurückweisen, zugleich kann sie voller Melancholie leiden. Ihre Francesca besingt auf atemberaubende Weise die eigenen Abgründe. Darüber hinaus ist Sara Jakubiak, was sich jetzt bei der Publikumspremiere bestätigt, eine glaubwürdige Darstellerin. Überhaupt ist Loys Personenregie in dieser Oper, die über drei Stunden hinweg schon einige Längen aufweist, bemerkenswert ausgefeilt. Wichtig dafür ist auch die hinzu verpflichtete Schauspielerschar.

Bei aller Drastik gewinnen die zarten Stimmungen immer wieder Oberhand

Jonathan Tetelman ist ein Bilderbuch-Paolo, der seinen jugendlichen Tenor über das Schmachten hinaus voller Intensität aufblühen lassen kann. Darüber hinaus neigt er zur pathetischen Geste. Auch Malatestino, der kleine Bruder, verfällt Francesca. Tenor Charles Workman verleiht dem Sadisten eine charaktervolle Niederträchtigkeit. Warum am Ende bei der rundum stattlichen Sängerbesetzung einige Buhs fielen, bleibt unerklärlich.

Dem Orchester der Deutschen Oper ist unter Leitung von Ivan Repušić ein wunderbarer Abend gelungen. In Zandonais Stilmischung gewinnen bei aller Drastik immer wieder zarte Gefühlsstimmungen Oberhand. Die Musik ist vor allem eines: berauschend. Die Opernproduktion ist das, was man einen Geheimtipp nennt.

Deutsche Oper, Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Tel. 34384343 Termine: 26. und 29. Mai; 1. und 3. Juni