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Szene mit Elena Tsallagova als Zdenka/Zdenko (auf der Leinwand).

© Thomas Aurin

„Arabella“ an der Deutschen Oper : Schlank bleiben trotz Schlagsahneklang

Tobias Kratzer inszeniert an der Deutschen Oper Berlin „Arabella“, die letzte Zusammenarbeit von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal - als Studie über sich wandelnde Geschlechterbilder.

Manches bleibt unverständlich bei dieser „Arabella“-Premiere an der Deutschen Oper – und das betrifft nicht unbedingt die künstlerische Seite. Warum bekommen Donald Runnicles und das Orchester des Hauses nur so schütteren Applaus, durchsetzt mit halb unterdrückten, quasi im Geburtsvorgang steckengebliebenen, aber doch deutlich vernehmbaren Buhrufen? Verdient haben sie es nicht: Zu Ende gegangen sind gerade dreieinhalb Stunden mit üppig blühendem Strauss-Sound, mit einem Schlagsahnenklang, der bei allen Kalorien eine gewisse Schlankheit bewahrt, der nicht alles zuckrig zukleistert. So eine Balance ist beim späten Richard Strauss gar nicht so einfach zu finden.

Was natürlich auch an dem gewaltigen Streicherapparat liegt. Wenn Hugo von Hofmannsthal in dieser letzten Zusammenarbeit von Strauss ein gezieltes „Weniger von Musik als Resultat geistiger Kunsteinsicht“ fordert, eine „Selbstbeschränkung im Wissen um die Fülle“, so muss man sagen, dass das gründlich misslungen ist. Eine heitere Operette, ein spiegelverkehrter „Rosenkavalier“, wie er den beiden zunächst vorgeschwebt haben mag, ist „Arabella“ nicht geworden. Dafür ein zwittriges Gebilde: eine Buffa-Oper mit zu großem Orchester, nostalgisch angesiedelt im 19. Jahrhundert, entstanden in der Spätphase der 1920er Jahre, scheinbar luftdicht abgeschottet gegen die liberalen Trends der Weimarer Zeit, die aber doch durch feine Poren in sie eindringen.

Cross-Dressing und fluide Identitäten

Genau das hat Regisseur Tobias Kratzer – seit seinem Bayreuther Tunten-„Tannhäuser“ hoch gehandelt – interessiert: „Arabella“, so seine These, ist mehr als ein Lieblingsstück der Nazis. (Was sowieso nicht per se gegen ein Werk spricht, auch Beethovens Befreiungsoper „Fidelio“ wurde von Hitler geschätzt.) Es ist durchzogen von sich im Verlauf des Stücks wandelnden Männer- und Frauenbildern, von Cross-Dressing und fluiden Identitäten.

Vor allem natürlich in der Figur der Zdenka, Arabellas Schwester, die von ihrem Vater, dem verarmten Grafen Waldner, in Jungenkleidung gesteckt und Zdenko genannt wird – weil nicht genug Geld da ist, um beide Töchter standesgemäß auszustatten. Wenn sie sich später im dunklen Hotelzimmer Matteo hingibt – eine Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt (es ist kompliziert!) –, dann fangen die Geschlechtsidentitäten an zu erodieren wie Sandskulpturen während eines Gewitterschauers.

Kratzer und sein Ausstatter Rainer Sellmaier präsentieren einen Zeitstrahl. Im ersten Akt, wo noch traditionelle Moralvorstellungen herrschen, sehen wir reinstes Biedermeier, als hätte Otto Schenk inszeniert: gedrechseltes Hotelmobiliar, Plüsch, Polstermöbel, Röcke, Vatermörder. Gebrochen dadurch, dass in einer Guckkastenbühne auf der eigentlichen Bühne gesungen wird. Und wir sehen Live-Videos, wie sie schon vor zehn Jahren an der Volksbühne von Frank Castorf eingesetzt wurden.

Die Videos sind schwarz-weiß, verwaschen, dunkel

Damals allerdings besser. Diese Videos helfen kaum, das recht weit entfernte Geschehen besser zu erkennen. Sie sind schwarz-weiß, verwaschen, dunkel, teilweise schlecht gefilmt, manchmal sieht man nur Beine. Da nicht davon auszugehen ist, dass hier irgendetwas ohne Absicht passiert, handelt es sich wohl um Kratzers Versuch, den ersten Akt zu historisieren, die Epoche als bereits durch unzählige Schwarz-Weiß-Filme vermittelte kenntlich zu machen.

In rasantem Tempo geht’s im zweiten Akt über die 1920er Jahre in die Gegenwart, plötzlich tanzt jemand Charleston, Nazis tauchen auf und tun das, was Nazis tun: Sie treten zu. Irgendwann hat die erste Figur ein Smartphone in der Hand. Im dritten Akt ist die Bühne quasi leergeräumt und weiß. Doch die Süße des Klangs aus dem Graben lässt keinen Zweifel daran, dass wir uns weiterhin in einer Strauss-Oper befinden.

Hier, im dritten Akt, zieht sich die Handlung zusammen zu einer dichtgetackerten Abfolge emotionaler Extremsituationen. Matteo (mit eher gepresstem Tenor: Robert Watson) kann natürlich überhaupt nicht verstehen, wieso die Frau, mit der er eben noch geschlafen zu haben meint, ihn plötzlich abweist. Arabella hingegen fühlt sich überfordert und bedrängt. Sara Jakubiak ist wegen diverser Erkrankungen als dritte Sängerin der Titelrolle in den Probenprozess eingestiegen und meistert ihre Sache gut. 

Elena Tsallagova singt mit dem größten Glanz, der größten Fülle

Dass Zdenka/Zdenko mehr ist als eine Nebenfigur, beweist Elena Tsallagova, die mit ein bisschen Conchita Wurst anklingendem Schnauzbart sowie dem größten Glanz in der Stimme singt. Russel Braun als Mandryka – Arabellas Verlobter, der von einer Eifersucht zerfressen wird, die Othello alle Ehre machen würde – hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Er wird als erkältet angesagt, und tatsächlich fehlt es seiner Stimme an Substanz. Was man vom kernigen Albert Pesendorfer als Graf Waldner nicht sagen kann. Doris Soffel singt die schrille Ehefrau Adelaide.

Tobias Kratzer präsentiert, auch unter Einsatz weiterer Videotechnik, eine schlüssige Sezierung zwar nicht der ökonomischen Hintergründe dieses Stücks, in dem eine Familie gegen den wirtschaftlichen Abstieg kämpft. Dafür aber der psychologischen Entwicklungen der Figuren, vor allem Arabellas, die zur aufrechten, Mandrykas verzweifelte Bitte um Vergebung akzeptierenden Frau reift.

Kratzers Personenführung ist allemal differenzierter als die der letzten „Arabella“-Inszenierung an der Bismarckstraße, die außer der spektakulären Kulisse des bröckeligen, als Parkplatz genutzten Michigan-Theaters in Detroit nicht viel zu bieten hatte. Trotzdem zerstört der strategisch gezielt gesetzte Buhruf eines Besuchers, der offenbar vom Plüsch aus dem ersten Akt nicht genug kriegen konnte, unmittelbar nach dem letzten Takt die Feierlaune. Manches bleibt unverständlich an diesem Abend.

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