Russisches Historiendrama und Liebesgeschichte schrammt an der politischen Realität vorbei

Xl_d104149f-4346-42cb-b1f6-2f5b8f18a45f © Winfried Hösl

Sergej Prokofjew Krieg und Frieden Bayerische Staatsoper Premiere 5.3.2023

Krieg und Frieden- Russisches Historiendrama und romantische Liebesgeschichte schrammt im Einheitsbrei an der politischen Realität vorbei, musikalisch elegant aufbereitet.

Es ist ein gewagtes Manöver der Bayerischen Staatsoper angesichts aktueller Weltpolitik Sergej Prokofjews mehrmals redigiertes Opernkonvolut Krieg und Frieden nach der literarischen Vorlage von Leo Tolstoi auf die Bühne zu bringen. Das monumentale vierstündige Werk verherrlicht das russische Volk und die siegreiche Verteidigung gegenüber dem Einmarsch Napoleons. Prokofjew schuf das umfangreiche Libretto gemeinsam mit seiner späteren Ehefrau Mira Mendelson Prokovjewa und begann mit der Komposition nach dem Einmarsch Hitlers in Russland 1941. Zur Feier des russischen Sieges wurde das Werk 1945 uraufgeführt. Die Oper diente auch just Stalin zu dessen Verherrlichung.

Nun erlebt München gerade am 70. Todestages Stalins als auch Prokofjews die Premiere der Neuinszenierung des selten gespielten Werkes, geprägt von einem russischen Regisseur Dmitri Tcherniakov und eines russischen Dirigenten, GMD Vladimir Jurowski. Viel wurde im Vorfeld seitens der Oper verfasst, um dieses Wagnis zu rechtfertigen und zu erklären. Am Ende steht aber die Umsetzung, die die angekündigte profunde Auseinandersetzung und kritische Darstellung vermissen lässt und seitens der Regie in eine öde Tristesse verläuft, mit wilden Aktionismus auf der Bühne sodass sowohl Aussage als auch Inhalte auf der Strecke bleiben. Der Versuch, das sensible Thema zu entpolitisieren oder auf den Ukraine- oder besser russischen Angriffskrieg zu münzen bleibt in einer zweifelhaften Parabel oder Satire stecken.

Der Zuschauer muss mitdenken, oder radikal umdeuten, wenn auf der Bühne Krieg gespielt wird, Massaker an Flüchtlingen stattfinden oder erste Hilfe Kurse belanglos auf Bodenmatrazen erfolgen. Hier überholt die brutale Realität alltäglich in den Medien die flache Personenregie des russischen Regisseur, derzeit ein Lieblingskind an deutschen Bühnen.

Der ganze Abend spielt im nachgebauten prachtvollen neoklassizistischen Saal im Hause der Gewerkschaften in Moskau, nun Teil des Kremls. Jeder Russe kennt das Gebäude, als Aufbahrungshalle für den toten Diktator Stalin weltbekannt. Dort hausen Flüchtlinge in moderner casual Kleidung (Kostüme Elena Zaytseva) und vertreiben sich die Zeit vermeintlich amüsant mit Spielereien. So wird der Neujahrsball im zweiten Bild oder auch die Schlacht- und Kriegsszenen von Borodino sowie der Auftritt Napoleons zum skurrilen Klamauk; der Zar als Weihnachtsmann, Napoleon als verblödelte Karikatur oder der gefürchtete russische Oberbefehlshaber Michail Kutusow als besoffener Krieger unappetitlich im Unterhemd, um ein paar Absurditäten zu nennen. Zum Abschluss legt er sich auf das Blumenbett, Stalins Aufgebahrung imitierend.

Mit viel Phantasie kann der wohlmeinende Betrachter vielleicht eine Persiflage auf aktuelle Gegebenheiten in Russland ersehen, aber gezündet wird hier keine. Besonders die berührende Liebesgeschichte von Natascha und Andrej geht im dem hektischen Durcheinander unter. Gefühle und Intimität finden sich schwer auf der überfüllten Bühne. Mit viel Aufmerksamkeit kann der Besucher den Handelnden folgen.

Musikalisch eröffnet die Aufführung eine Begegnung mit einem versöhnlichen lyrischen Prokofjew, der ausgefeilte poetische Melodien bastelt. Die Oper wird mit dem umfangreichen Gesang zu einem gesungenen Hörspiel des Romans. Auch der wuchtige zweite Teil, der Kriegsteil, bleibt ohne brachiale Gewalt, harmonisch und transparent. Vladimir Jurowski achtet auf exakte Tempi und Volumen, lässt die elegischen Melodien fein ausmusizieren, unterstützt die Sänger mit klaren Einsätzen und wohldimensionierten Orchesterklang. Die Musik wirkt sehr versöhnlich stimmungsvoll, ja zu ausgeglichen, sodass über den Abend auch durch die eintönige Bühnengestaltung Monotonie und Längen aufkommen.

Lang ist der Besetzungszettel, der Aufwand an Mitwirkenden auf der Bühne und im Orchestergraben ist enorm und eine Herausforderung. Gesungen wird in russisch, das Sängeeensemble setzt sich zum Großteil aus Künstllern der ehemaligen Sowjetunion zusammen. Mit Elegie und Eleganz wird Fürst Andreij Bolkonski vom Moldawier Andrei Zhilikhovsky gegeben. Mit dem richtigen Schuss Gefühl bringt er seine erwachte Liebe zu der jungen unbeschwerten Frohnatur Natascha Rostowa zum Ausdruck. Olga Kulchynska, in Kiev geboren besitzt einen hellen klaren Sopran mit Fülle und Corpus. Ihre Kameradin ist Sonja ist mit der Russin Alexandra Yangel gut besetzt. Ihr Mezzo dringt weich und schlank durch. Den unehrenhaften Spieler und Betrüger Anatol Kuragin setzt Bekhzod Davronov spielerisch gekonnt um. seine Stimme sitzt tief und wirkt breit . Mit dem Armenier Arsen Soghomonyan ist Graf Pierre Besuchow bestens besetzt. Seine Ausbrüche überzeugen und berühren, seine ehrenvollen Bemühungen bringt er durchsetzungsstark und fassttenreich zum Leben.

Auch alle weiteren zahlreichen Rollen sind mit Umsicht und hoher Qualität besetzt. Herausragend ist die Leistung des Chores, der in so mancher Kriegsszene das Haus zum Zittern bringt. Kraftvoll und doch wohl artikuliert ohne Druck dringt er in das Innere der Zuhörer.

Am Ende gibt es höflichen Applaus, ein paar  Bravi für manchen Sänger und auch für das Regieteam keine Ablehnung sondern Zustimmung. Es lohnt, diese Rarität bei dieser Gelegenheit zu erleben, die Repertoiretauglichkeit ist bei diesem Aufwand fragwürdig.

Dr. Helmut Pitsch

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