Skandalgeschichten um die englischen Royals faszinieren nicht erst sei heute. Eben hat Prinz Harry sein Buch Spare veröffentlicht, worin er mit seiner Familie abrechnet. Eine Generation früher erhitzten Enthüllungen über Prinz Charles, seine Ehefrau Diana und seine Geliebte Camilla die Gemüter. Im 19. Jahrhundert war es der Komponist Gaetano Donizetti, der eine wahre Passion für das englische Königshaus entwickelte. Gleich drei seiner großen Opern porträtieren berühmt-berüchtigte Gestalten des House of Tudor im 16. Jahrhundert.

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Inga Kalna (Elisabetta)
© Toni Suter

Das Opernhaus Zürich hat diese Tudor-Trilogie auf einen mehrjährigen Zyklus aufgeteilt. Nach Maria Stuarda im Jahr 2018 und Anna Bolena 2021 folgt nun Roberto Devereux. Der Reiz dieses Zürcher Zyklus liegt darin, dass alle drei Opern in der künstlerischen Verantwortung des Dirigenten Enrique Mazzola und des Regisseurs David Alden liegen.

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Inga Kalna (Elisabetta) und Stephen Costello (Roberto Devereux)
© Toni Suter

Um eine Skandalgeschichte handelt es sich auch bei der 1837 in Neapel uraufgeführten Oper Roberto Devereux. Konkret geht es um ein explosives Liebesdreieck zwischen der englischen Königin Elisabeth I., dem Grafen von Essex Roberto Devereux und der Hofdame Sara. Roberto war in früheren Zeiten der Günstling und Geliebte Elisabettas, hat sich aber inzwischen der jüngeren und attraktiveren Sara zugewandt, die unglücklich mit dem Herzog von Nottingham verheiratet ist. Auf der politischen Ebene macht das Parlament Roberto den Prozess wegen politischen Hochverrats. Seine Hinrichtung könnte nur noch durch die Königin gestoppt werden. Sie würde es tun, wenn sie nur wüsste, wer der heimliche Lover ihres abtrünnigen Geliebten ist.

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Anna Goryachova (Sara)
© Toni Suter

David Alden und sein Ausstatter Gideon Davey bleiben ihrem bisherigen Ansatz treu. Wiederum ist es eine hohe Marmorwand auf der Rückseite der Bühne, die dem Raum das Gepräge eines Gefängnisses verleiht. Zudem ermöglicht ein drehbarer, auf einer Seite offener Zylinder die Unterteilung der Bühne in verschiedene Zonen. Dieses quasi leere Museum wird mit spärlichen Requisiten wie einem Thron, einer Weltkugel, einem Arbeitstisch, einem Bett oder einem Felsen bestückt. Den Zusammenhang mit den beiden Vorgängerwerken der Trilogie stiften diverse Porträts der Tudor-Familie sowie eine Pantomime während der Ouvertüre, bei der Elisabetta als Kind im Tower of London die Hinrichtung ihrer Mutter Anna Bolena miterleben muss.

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Anna Goryachova (Sara) und Inga Kalna (Elisabetta)
© Toni Suter

Die Kostüme der Protagonisten sind historischen Modellen nachempfunden, während die schwarzen Gewänder der Hofleute und Parlamentsmitglieder zeitlos wirken. Damit haben Regisseur und Ausstatter einen geschickten Weg zwischen Realismus und Abstraktion, zwischen Ausstattungsoper und modernem Regietheater gefunden. Die Story spielt zwar in der fernen Vergangenheit, aber die Figuren in ihren emotionalen Verstrickungen könnten auch Menschen von heute sein. Cougar liebt jungen Lover und verliert ihn an eine jüngere Rivalin.

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Stephen Costello (Roberto Devereux) und Inga Kalna (Elisabetta)
© Toni Suter

Die lettische Sopranistin Inga Kalna hinterlässt bei ihrem Rollendebüt als Elisabetta einen zwiespältigen Eindruck. Nachdem sie letztes Jahr als Madame Lidoine in Poulencs Dialogues des Carmélites sehr überzeugt hat, kann sie nun den Charakter der Tudor-Königin nur begrenzt darstellen. Stimmlich bewältigt sie den mörderischen Ambitus ihres Parts zwar recht gut, die dynamische Gestaltung könnte allerdings noch differenzierter sein. Auf der emotionalen Ebene aber gelingt ihr der Wandel Elisabettas von der enttäuschten Liebenden über die rachsüchtige Herrscherin bis zur lebensmüden alten Frau nur ansatzweise. Wer je die 2021 verstorbene Edita Gruberova in dieser Rolle erlebt hat, weiß, wovon die Rede ist.

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Anna Goryachova (Sara) und Stephen Costello (Roberto Devereux)
© Toni Suter

Roberto Devereux ist zwar der Titelheld, aber nicht die Hauptfigur. Der Amerikaner Stephen Costello, ein erfahrener Sänger des italienischen Repertoires zwischen Donizetti und Puccini, gestaltet die recht passive Rolle des Stücks – seine politischen und amourösen Taten liegen in der Vergangenheit – mit einem modulationsfähigen Tenor, der seine Zerrissenheit zwischen den beiden Frauen deutlich offenbart. Eine Entdeckung für Zürich ist die Sara von Anna Goryachova, die kurzfristig für die erkrankte Stéphanie d’Oustrac eingesprungen ist. Mochte man dies im Vorfeld der Produktion noch bedauern, punktet die Russin bei der Premiere mit einer exquisiten Kombination von dunklem Stimmtimbre und problemloser Höhenbewältigung. Und durch absolute Identifikation mit ihrer tragischen Rolle zwischen unerreichbarem Geliebten und ungeliebtem Ehemann. Der Herzog von Nottingham in der Person des Baritons Konstantin Shushakov dagegen kommt als Charakter etwas zu nett daher, ist er doch immerhin derjenige, der die Hinrichtung Robertos herbeiführt.

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Inga Kalna (Elisabetta)
© Toni Suter

Der Dirigent Enrique Mazzola bleibt ebenfalls auf dem interpretatorischen Kurs, den er schon bei Anna Bolena und Maria Stuarda eingeschlagen hat. War die historische Aufführungspraxis lange Zeit noch nicht bei den Werken des italienischen Belcanto angekommen, ist Mazzola inzwischen einer der Hauptverantwortlichen dafür. Dies ist nicht zuletzt eine Generationenfrage, vergleicht man etwa die Ästhetik des 54-Jährigen mit derjenigen seines Landsmannes Riccardo Muti. Während Muti & Co. an die im 19. und 20. Jahrhundert entwickelte Aufführungstradition anknüpfen, beruft sich Mazzola auf die originalen Partituren. Dieser philologische Ansatz heißt etwa Beachten der vorgeschriebenen Tempi, Verzicht auf später hinzugefügte Koloraturen oder Streichung von Fermaten auf den melodischen Höhepunkten, wie die Sänger sie gerne anbringen. Dass dieser Ansatz alles andere als blutleer ist, zeigt die Zürcher Aufführung mit aller Deutlichkeit. Dazu braucht es natürlich ein hervorragendes Orchester und Solisten, die willens sind, auf ihre Extravaganzen zu verzichten. Mit der Philharmonia Zürich und dem mitwirkenden Sänger-Cast sind diese Voraussetzungen eindeutig gegeben.

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