Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Sir Simon Rattle lassen sich Zeit mit dem Schmieden von Richard Wagners Ring des Nibelungen. 2015 fand der Vorabend mit Rheingold in München statt,2019 Die Walküre, beide im Herkulessaal der Residenz. Inzwischen ist Sir Simon designierter Chefdirigent des Orchesters, und die Isarphilharmonie hat den Gasteig als Konzerthalle abgelöst. Deren erste „Wagner-Taufe“ hatten zwar die Bamberger Symphoniker 2022 schon mit Maazels Nibelungen-Ring ohne Worte unternommen. Eine echte Premiere war nun die konzertante Aufführung des Siegfried, die das Ansprechen der vielgelobten Akustik des Konzertraums auch als Opernforum unter Beweis stellte.

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Sir Simon Rattle
© BR | Astrid Ackermann

Wen mag eine konzertante Aufführung des Siegfried eigentlich interessieren? Sind es die Puristen, die mit Partitur in der Hand Wagners Motivik nachspüren, ohne durch modernes Bühnenbild abgelenkt sein zu wollen? Oder die Klangverliebten, die vier Harfen, vier Wagnertuben, sonst in Orchestergraben oder Loge versteckt, genau beobachten wollen? Wie sich acht Kontrabässe, Basstuba und -posaune endlich räumlich und musikalisch strecken können? Auch das Agieren des Dirigenten, nicht im Graben oder gar im Schutz eines Bayreuther Schalldeckels darüber, konnte nun vollständig intensiv verfolgt werden. Das Interesse der Opernfreunde in München war groß, der Saal ausverkauft, Generationen erfreulich vermischt.

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Wagnertuben des BRSO
© BR | Astrid Ackermann

Ein „Wagner with wondrous words“ also, der kein Oratorium werden sollte, bei dem die Solisten fast bewegungslos an der Rampe singen und sich in Pausenabschnitten still auf ihren Stuhl setzen. Nun war das Orchesterpodest mit einer guten Hundertschaft von Musikern selbst für Isarphilharmonie-Ausmaße bereits dicht belegt, nur ein schmaler Streifen zum Publikum bot noch Raum für Bewegung. Da eine Live-Übertragung von BR-Klassik geschaltet war, hatten die Sänger doch dicht an den aufgestellten Mikrophonen zu bleiben; Notenmaterial musste das Fehlen eines Souffleurkastens ersetzen.

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Simon O'Neill (Siegfried)
© BR | Astrid Ackermann

Peter Hoare, Mime mit englischen Wurzeln, eröffnete den ersten Aufzug mit lautstarkem Hämmern auf dem Amboss, die Trümmerteile des Wunderschwerts Nothung neu zu schmieden. Vergebliche Müh', beim imaginären Stahl erst recht, wenn Ziehsohn Siegfried unbekümmert, ja aufsässig dazwischengeht und „mit einem Griff den Quark zergreifen“ will. Die folgende hitzige Diskussion zeigt deutlich unterschiedliche Auffassung von Erziehung und erst recht Siegfrieds unbändiges Insistieren auf Einzelheiten seiner Herkunft. Der neuseeländische Tenor Simon O'Neill gab gekonnt einen jugendlichen Draufgänger, der keine Furcht kennt, noch weniger Respekt vor Mime hat. Da wurde sein Mut oft zum gespielten Übermut; im Gegensatz dazu war Wankelmut eher Mimes Sache. Hoare traf dessen schwankende Stimmung außerordentlich gut, setzte im Redefluss eine kläglich kreischende Stimme demaskierend ein. O'Neills strahlend metallischer Tenor war für diesen Siegfried absolut einnehmend; dazu löste er sich mehr als Hoare vom Partiturheft, nutzte den kleinen Aktionsraum für deutende Bewegung und Impulse. Beide Sänger mussten stark forcieren, da das Orchester anfangs noch massiv auftrumpfte und Rattle einen zügigen Grundpuls vorgab.

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Sir Simon Rattle dirigiert das BRSO in Wagners Siegfried
© BR | Astrid Ackermann

Als wandernder Wotan trat Michael Volle in die Mitte der Philharmonie. Volle konnte absolut bewundernswert am freiesten gestalten, zeigte eine langjährige innige Vertrautheit mit der Figur des Wotan, formte atemberaubende Szenen der Auseinandersetzung mit Mime sowie später mit Alberich und Siegfried. Sein Bassbariton glänzte dabei in einer Fülle differenzierter Reaktionen, eingebettet in ein balsamisch dichtes, sonores Stimmvolumen. Mühelos konnte er dabei auch im Fortissimo die Orchesterwogen überstrahlen.

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Michael Volle (Der Wanderer)
© BR | Astrid Ackermann

Manchmal vermisste man doch die Bühnenaktion, etwa wenn im zweiten Akt gleich zwei Personen des Siegfried-Personals durch jugendlich-heldischen Schwertstreich umgebracht werden. Der Bass Franz-Josef Selig sang die Rolle des Riesenwurmes Fafner, der den durch Brudermord zugefallenen Nibelungenschatz bewacht, mit herrlicher vokaler Pracht; mittels eines Schalltrichters bekam seine Stimme den markant hohlen, schläfrigen Klang eines trägen Monsters. Aus dem Nibelungen-Geschlecht wie Mime, war der Alberich des Georg Nigl glänzend besetzt: auch er konnte seiner Stimme die vielen Facetten von Machtausübung und Hinterhältigkeit verleihen, virtuos dazu seine manipulative Gestik einsetzen.

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Franz-Josef Selig (Fafner)
© BR | Astrid Ackermann

Als Waldvöglein brachte Danae Kontora aus den Höhen des Chorbalkons Koloratursicherheit und leicht ansprechende Triller hoher Soprantöne ins Spiel. Sehr erdig, mit würdevoller Ruhe und ausdrucksstark sanfter Altstimme gestaltete Gerhild Romberger das Gespräch unter den Einfluss verlierenden Göttersenioren, im Wissen der Wälsungen waltend.

Vorstellungskraft war wieder gefragt, wenn im Liebesfinale des dritten Akts Brünnhilde geweckt wird, Siegfried und Brünnhilde im wunderbar wahrsten Wortsinn zusammenfinden und nicht durch das Dirigentenpodest bis zum Applaus getrennt bleiben sollten. Anja Kampe verband heroischen Mut mit der aufkeimenden Liebe zu Siegfried. Ihr wunderbar stimmgewaltiges Aufblühen, ausgefeilte Artikulation auch in höchsten Lagen waren bewegend; mit Simon O'Neill machte sie das Finale zum rauschhaften Wagner-Erlebnis.

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Anja Kampe (Brünnhilde)
© BR | Astrid Ackermann

„Gewaltiges Scherzo inmitten der Nibelungen-Sinfonie“ bezeichnete der österreichische Musikwissenschaftler Kurt Pahlen den Siegfried einmal: stürmisch schwungvoll in der Erziehungskrise im ersten Aufzug, düster im ungestümen Morden des Siegfried. Liebesglühend endlich im Finale mit Brünnhilde, dem einzigen Ring-Akt einer freudvollen Liebesbeziehung (neben kurzem Liebesglück im ersten Aufzug der Walküre). Dank Sir Simon und dem fantastischen BRSO, seinen soghaft kraftvollen Tutti ebenso wie den unzähligen schlanken wie exzeptionell aufblühenden Instrumentalsoli, durfte man die besondere Akustik vieler Orchestergräben immer mehr vergessen, sich auf das sehr direkte, im Oval der Halle klar und obertonreich gemischte Klangbild einlassen. Für Klangfetischisten eine echte Sternstunde!

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