zum Hauptinhalt
George Petean (links) in der Titelrolle mit Attilio Glaser und Maria Motolygina.

© Deutsche Oper

„Simon Boccanegra“ an der Deutschen Oper: Wenn die Macht einen guten Menschen korrumpiert

Fantastisch musiziert, glasklar ins Bild gesetzt: Giuseppe Verdis Politthriller „Simon Boccanegra“ an der Deutschen Oper Berlin muss man gesehen haben.

Von Eleonore Büning

Vor 13 Jahren, als an der Staatsoper Unter den Linden der greise Plácido Domingo in der Titelrolle des „Simon Boccanegra“ überraschend Triumphe feierte, galt diese Oper Verdis noch als Rarität. Ein knorriges Alterswerk, etwas für Kenner, nichts fürs große Publikum. Die Musik arm an Ohrwürmern. Die historisch fundierte Handlung parabelhaft verdichtet. Ein Polit-Thriller, ein Kostümfest aus weit entfernter Vergangenheit, mit verwickelter, teils sprunghaft unlogischer Intrigenwirtschaft. 

Das hat sich geändert. Heute wird „Boccanegra“ als das Stück der Stunde gehandelt. Nach etlichen streitbaren Neuinszenierungen in Salzburg, Zürich und Essen zieht jetzt die Deutsche Oper Berlin nach, mit einer Lesart des exilrussischen Regisseurs Vasily Barkhatov. Er verlegt das Geschichtsdrama aus dem 14. Jahrhundert in die Gegenwart, auf eine en detail ausgestattete Drehbühne. Sie zeigt wahlweise die private und die öffentliche Seite der Macht – Lounge oder Plenarsaal, Mädchenschlafzimmer oder Stehparty.

Und winkt dabei ein ums andere Mal effektvoll mit dem Zaunpfahl. Barkhatovs Botschaft lautet: Politik verdirbt den Charakter. Kommt ein Mensch guten Willens wie Simon Boccanegra an die Macht, dann verwandelt er sich im Handumdrehen in einen schmierigen, schwarzbassigen Mafiaschurken, seine Träume von Frieden, Wohlstand und Demokratie entpuppen sich als Propaganda-Opium fürs Volk. 

Giuseppe Verdi hat das im Jahr 1881, als er die Zweitfassung des „Simon Boccanegra“ fertig stellte, noch entschieden anders gesehen. Sein Simon Boccanegra verkörpert die „Stimme eines besseren Italien“, er bleibt, als Renaissancemensch und Humanist, obwohl zum Scheitern verurteilt, doch eine positive Figur. Zurück geht sie auf den echten Simon Boccanegra, der einst als erster und als vierter Doge die Stadtrepublik in Genua in die Moderne geführt hatte. Er regierte mit Unterbrechungen von 1339 bis 1363. Befriedete den Bürgerkrieg, managte eine Hungersnot und überlebte mehrere Komplotte, bis er schlußendlich einem Giftattentat zum Opfer fiel.

Verdi hat diesem Helden keine eigne Arie gegeben. Sein Boccanegra ist stets im Diskurs mit anderen, mit seinen Widersachern oder Parteigängern. Auch sein Auftritt am Ende des ersten Aktes, als er im Ratssaal eine historische Rede hält, ist formal keine Arie. Vielmehr eingebettet in vitale Aktionen von Chor und Ensemble. „Plebe! Patrizi! Popolo!“ ruft Boccanegra, seine flammende Rede ist gespickt mit Original-Zitaten Francesco Petrarcas, sie mündet in den Aufruf zu Frieden, Freude, Liebe. Alle jubeln und schließen sich an.

Barkhatov hat diese Gruppenszene sorgfältig ausgestattet, mit all der statuarischen Pracht und dem utopischen Pathos, den Text und Musik verlangen. Dann knipst er plötzlich das Licht aus. Rabenschwarz die Bühne, auch im Graben wird es dunkel. Eine Linie aus blinkenden Neonstreifen läuft, sekundenkurz, wie Morsezeichen oder Schlagzeilen, unten über die Rampe, von rechts nach links. Wird die Bühne wieder hell, sieht man alle Akteure wieder auf der Position, wo sie vor der Rede Boccanegras gestanden hatten. Die Utopie wird damit quasi zurück genommen: Friede, Freude, Eierkuchen! Den gleichen dramaturgischen Kniff wendet Barkhatov mehrmals an, er besagt: Alles Fake. Boccanegra betrügt, wie alle Politiker. Er betrügt, und zwar auch sich selbst.

Fast durchweg traumhafte Gesangsleistungen

Mit den statistenreichen, virtuos platzierten Videos, auch den witzig eingeblendeten Pressemeldungen widerspricht die Regie ebenfalls der Partitur. Dagegen argumentiert, aus dem Orchestergraben heraus, nicht minder virtuos, der junge, italienische Dirigent Jader Bignamini. Biegsam, flüssig, in dynamisch abgestuften Tempi führt er Chor und Ensemble sicher durch Verdis unmissverständliche Klangreden. Auch das Orchester der Deutschen Oper zeigt sich in Bestform, mit seinen samtweichen Streichern, den verführerischen Holzbläsern, dem malerischen Blech illuminiert es Kummer und Wut, aber auch Mitleid, Liebe und Sehnsucht nach Glück.

Und die Solosängerbesetzung? Fast durchwegs einfach traumhaft! Herausragend der helle Bariton George Petean als Boccanegra, der sich mit den drei charakteristisch abgestuften, finsteren Männerstimmen der Politiker intensive Duettkämpfe liefert. Bezaubernd rund und warm die Kantilene der jungen russischen Sopranistin Maria Motolygina in der Partie der verlorenen Tochter des Boccanegra, engelhaft hell überstrahlt sie im Zwiegesang ihren Tenorliebhaber (Attilio Glaser) und in der zentralen Ratsaal-Szene sogar den Chor und das gesamte Ensemble.

So wird daraus ein echt großer Abend. Der Widerspruch, der sich auftut, zwischen dem, was man sieht und hört, erweist sich letztlich sogar als produktiv. Man muss nicht mit allem, was auf der Bühne passiert, einverstanden sein. Aber man sollte das unbedingt gehört und gesehen haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false