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Opern-Kritik: Theater Erfurt – Die Belagerung von Korinth

Make love, not war

(Erfurt, 28.1.2023 ) Als brachiales und groß dimensioniertes Tagesthemen-Musiktheater gelingt Rossinis Katastrophenoper „Die Belagerung von Korinth“ zu einer der besten musikalischen Gesamtleistungen des Theaters Erfurt seit langem.

vonRoland H. Dippel,

Nicht „Guillaume Tell“, sein weitaus berühmteres Filetstück über den während der Französischen Revolution besonders verehrten Schweizer Freiheitshelden, ist Rossinis fortschrittlichste Oper, sondern „Le Siège de Corinth“. Bereits die Urfassung „Maometto II“ war mit Musiknummern bis zu 40 Minuten Dauer ein schwerer Brocken sogar für ein progressives Opernhaus wie das Teatro San Carlo in Neapel (1820). Cesare della Valle schrieb das Libretto dafür nach seinem eigenen Schauspiel „Anna Erizo“. Sieben Jahre später wurde das von Rossini weitgehend umgestaltete und neu vertonte Opus seine erste Arbeit für die Pariser Académie Royale de Musique.

Der in ganz Europa seit 1821 leidenschaftlich beobachtete Freiheitskampf der Griechen gab dem Werk kurzfristig eine hochaktuelle Bedeutung. Trotzdem blieb „Le Siège de Corinth“ kaum gespielt. Um 1970 gab es mehrere Produktionen der ins Italienische zurück übersetzten und dabei noch stärker veränderten Bearbeitung „L’assedio di Corinto“. Beim Rossini Festival Pesaro erklang 2017 erstmals die quellenkritische Edition der französischen Fassung von Damien Colas. Diese wurde auch vom Theater Erfurt verwendet. Die „griechische Spielzeit“ der Oper Erfurt bietet im Frühjahr mit Christoph Willibald Glucks „Telemaco“ und Felix Weingartners „Orestes“ weitere spannende Höhepunkte.

Szenenbild aus „Die Belagerung von Korinth“ am Theater Erfurt
Szenenbild aus „Die Belagerung von Korinth“ am Theater Erfurt

Rossinis Katastrophenoper

„Le Siège de Coronth“ ist ein heikles Werk und weitaus grausamer sogar als Verdis „Nabucco“, weil unversöhnlicher! Hier sind es die griechischen Christen, welche zum Tod in der Schlacht oder, wenn diese nicht mehr zu gewinnen ist, zum Massensuizid aufrufen. Sultan Muhammad II. Setzt nach der Einnahme Konstantinopels 1453 seinen Eroberungsfeldzug fort und bedroht Korinth. Er bietet Frieden und den Schutz der christlichen Kultur, sofern der korinthische Statthalter Cléomène der Verheiratung seiner Tochter Pamyra mit Muhammad zustimmt. Pamyra ist jedoch dem griechischen Offizier Néoclès versprochen. Die Christen empfinden Muhammads Angebot als ehrenrührig und unterliegen den osmanischen Streitkräften. Pamyra ersticht sich während der Eroberung Korinths durch Muhammad.

Es ist erstaunlich, dass im Textbuch von Luigi Balocchi und Louis Antoine Alexandre Soumet die Christen im Konflikt von Kreuz und Halbmond bereits ohne Verdichtung durch die Regie ziemlich mies wirken: Cléomène und seine Gefolgschaft sind blut- und mordgierige Barbaren, ihre ausgedehnten Kriegsgesänge haben auch musikalisch eine schon fundamentalistische Schärfe. Dagegen herrscht bei den Osmanen eine von Rossini mit repräsentativen Tönen begleitete Willkommenskultur, wenn Pamyra zum höfischem Zeremoniell am Hochzeitslager mit Muhammad geleitet werden soll. Es kann kein Zufall sein: Rossini lässt es in seiner Partitur zu gefühlten 90% krachen und schmettern. Trotzdem finden sich neben den die Kriegstreibereien meißelnden Forte-Katarakten auch Inseln von elegischer Melancholie und Größe. Die Meyerbeersche Dialektik von „Hugenotten“ und „Prophet“ kündigt sich schon hier an. Dann gibt es mit dem großen Duett zwischen Muhammad und Pamyra und im Terzeit ariose Juwele mit tiefen Emotionen, wenn Pamyra zugunsten des Bräutigams Neócles auf die Vereinigung mit Muhammad verzichtet.

Szenenbild aus „Die Belagerung von Korinth“ am Theater Erfurt
Szenenbild aus „Die Belagerung von Korinth“ am Theater Erfurt

Klaustrophobische Fülle, musikalische Härte

Insgesamt gerät diese Produktion zu einer der besten musikalischen Gesamtleistungen des Theaters Erfurt seit langem und einem Höhepunkt der Spielzeit mit griechischen Sujets. Das Philharmonische Orchester Erfurt, mitunter kein sonderlich subtiler Klangkörper, läuft zur Höchstform auf und liefert in den für Rossinis Partitur auf dem Weg zum Mischklang sehr schöne Effekte. Yannis Pouspourikas dirigiert straff und schneidig, mit einem enormen Schmiss. Striche von Wiederholungsstrophen und zahlreichen Brückenpassagen der eh schon massiv wirkenden Partitur steigern sich zu klaustrophobischer Fortissimo-Fülle. Der von Markus Baisch auf hohes Niveau gebrachte Chor steht als sogar vor dem Sterben nicht von seiner Härte ablassende Gruppe der Korinther an den Seiten des Zuschauerraums. Ideologische Härte steigert sich zu akustischer Bedrängnis.

„Sieg oder Tod!“

Das erweist sich hier als brutal gesteigertes Darstellungsprinzip des szenischen Leitungsteams. Im Grunde nehmen Markus Dietz und die mit ihren Kostümen das Geschehen aus dem Jahr 1458 Richtung Gegenwart rückende Mayke Hegger die verbale und musikalische Drastik der Partitur nur beim Wort: „Vaincre ou mourir!“ (Sieg oder Tod) Diese blutroten Lettern durchfurchen Ines Nadlers Bühnenbild mit zerrissenen Wänden, die genauso verwundet scheinen wie die Menschen in ihren Flüchen und Fluchten. Hier steckt in Rossini schon viel von Verdis Kriegs- und Vernichtungsdramaturgie. Während der Ouvertüre sieht man eine Video-Idylle in Schwarzweiß: Die glückliche Liebe von Pamyra und Muhammad, den sie unter dem Namen Almanzor kennen- und lieben lernte. Pamyra wirkt beim ersten physischen Auftritt dann unfrei. Ihrer selbst kaum mächtig, kommt sie erst in mehreren Weinkrämpfen ganz zu sich.

Szenenbild aus „Die Belagerung von Korinth“ am Theater Erfurt
Szenenbild aus „Die Belagerung von Korinth“ am Theater Erfurt

Was wäre, wenn … Weil es in der Bühnenhandlung dieser Oper kaum Momente des Friedens und keinen einzigen von ehrlicher Harmonie gibt, ist der erotische und verletzend intime Film-Prolog so wichtig. Diese Produktion hat nur ein einziges echtes Handicap: Der Rotstift machte am Theater Erfurt nicht einmal Halt vor brachialen Kürzungen in den beiden einzigen Szenen, wo Rossini zum Hauen und Stechen bittersüße Gegengewichte setzte.

Tolles Hauptpartien-Quartett

Für das raue Spektakel gibt es eine den sich türmenden vokalen Anforderungen vollauf gewachsene bis exzellente Besetzung: Candela Gotelli riskiert den Einstieg ins große Belcanto-Fach in einer von Rossinis schwersten Partien. Das Resultat ist so bravourös wie intensiv. Ihre Spitzentöne sind von diamantener Klarheit. Die aberwitzigen wie beträchtliches Volumen erfordernden Koloraturen meistert Candela Gotelli mit fast vollständiger Perfektion, was in diesem Partitur-Kontext eine ganz hohe Auszeichnung bedeutet. Arturo Espinosa gibt dem Muhammad in den Koloraturen und martialischen Stellen mit einer die Sympathie der Figur verstärkenden wie bestens Rossini-affinen Textur. Als Pamyras Verlobter Néoclès zeigt Brett Sprague wieder einmal, was für einen guten Tenor-Fang das Theater Erfurt mit ihm gemacht hat. Berührend gerät ihm die Verbindung von Weichheit und Verzierungen. Luc Robert gibt Cléomène, Pamyras unerbittlichen Vater, mit kantigen Konturen und belcanto-wendigen, nicht mehr ganz leichtem Tenor.

Szenenbild aus „Die Belagerung von Korinth“ am Theater Erfurt
Szenenbild aus „Die Belagerung von Korinth“ am Theater Erfurt

Als scharfe Umsetzung der Kompromisslosigkeit, mit der Rossini in den heute wieder aktuellen Handlungsmustern des 19. Jahrhunderts aufschlägt, ist diese Produktion überwältigendes, brachiales und groß dimensioniertes Tagesthemen-Musiktheater. Brutal, unversöhnlich und mit dem Wissensschimmer, dass die Welt ohne Blutvergießen und Massenverstümmelungen besser wäre.

Theater Erfurt
Rossini: Die Belagerung von Korinth

Yannis Pouspourikas (Leitung), Markus Dietz (Regie), Ines Nadler (Bühne), Mayke Hegger (Kostüme), Volker Michl (Choreografie), Mayke Hegger & Lukas Eicher (Video), Markus Baisch (Chor), Arturo Espinosa (Muhammad II.), Luc Robert (Cléomène), Candela Gotelli (Pamyra), Brett Sprague (Néoclès), Emanuel Jessel (Hiéros), Jörg Rathmann (Adraste), Tobias Schäfer (Omar), Valeria Mudra (Ismène), Stefan Kirmse, Theodor Kollesnik, Martina Milerman, Max Preissel (Tanz)

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