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„Falstaff“ am Staatstheater Nürnberg: Verdis Vorstadtweiber

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Meg (Corinna Scheurle, v. li.), Quickly (Almerija Delic), Alice (Emily Newton) und Nannetta (Chloë Morgan).
Mit Prosecco die Probleme wegtrinken: Meg (Corinna Scheurle, v. li.), Quickly (Almerija Delic), Alice (Emily Newton) und Nannetta (Chloë Morgan). © Pedro Malinowski

Mini-Pate trifft auf Vorstadtweiber: David Hermanns „Falstaff“ in Nürnberg ist klischeefrei, hintergründig und nimmt ein böses, surreales Ende.

Scampia in Neapel könnte das sein oder der Pigneto in Rom, keinesfalls Windsor. Wo den Plattenbau-Balkon einzig die Satellitenschüssel schmückt und unten der „Kebabking“ zum schnellen, fettigen Imbiss lädt. Und wo sich einige Straßen weiter die Vorstadtweiber der Neureich-Society ihre Probleme mit Prosecco wegtrinken. Dass „Falstaff“ nicht unbedingt zum Schenkelklopfen einlädt, liegt an der Musik Giuseppe Verdis, am Libretto von Arrigo Boito, erst recht an der Vorlage, Shakespeares „Die lustigen Weiber von Windsor“. Und doch droht, man kennt das von vielen Inszenierungen, Klamauk oder ein Titelhelden-Sänger, der seinen (hoffentlich künstlichen) Wanst ins Publikum reckt und das lustig findet.

Bei Regisseur David Hermann sieht das am Staatstheater Nürnberg anders aus. Claudio Otelli ist eher der Typ Mini-Pate. Lässig, auch gewaltbereit. Der säuft zwar Weißwein aus dem Tetrapack, kann sich aber mit übergeworfenem Seidenschal in den eleganten Strizzi verwandeln. Gerade weil er anders ist, frei, selbstbewusst, wird er zum Begierde-Objekt für die Damenwelt – die ihm doch eigentlich einen Streich spielen wollte. Dazu passt, dass Otelli die Partie mit dem Bariton-Florett meistert, ohne großes Auftrumpfen. Etwas mehr vokale Grandezza hätte man sich trotzdem gewünscht.

Erotisches um einen verklemmten Anlageberater

Immer wieder gibt es da kleine erotische Szenen, die zwischen Vorspiegelung falscher Tatsachen und echter Lüsternheit tänzeln. Dieser sanft umgebogene, in ein nicht näher definiertes Heute geholte „Falstaff“ funktioniert also. Die mit wenigen Strichen gezeichneten Charaktere amüsieren (gerade im Falle der Vorstadtweiber), weil das alles weitgehend klischeefrei und natürlich passiert – und auch noch dank Carla Caminati (Kostüme) und der lichten, schnell wandelbaren Szenerie von Jo Schramm schön anzuschauen ist.

Stereotyp wird’s bei den Männern, an der Spitze der eifersüchtige Ford, eine Art verklemmter Anlageberater. Doch liegt das in der Natur der Sache, wo zwei Dinge das Leben bestimmen: Testosteron und Geld. Samuel Hasselhorn ist ein latent überforderter Ford, zu dem der virile, prachtvolle, resonanzreiche Bariton nicht ganz passen mag. Echte Charakterkünstler sind Martin Platz (Bardolfo) und Hans Kittelmann (Dr. Cajus). Beide Figuren erleben im Finale, wo jeder Topf seinen Deckel bekommt, ihr schwules Outing.

Pistolenknall zum Finale

Doch da ist das Geschehen in Hermanns Regie längst abgebogen vom hintergründigen Boulevard ins Surreale, wo Falstaff als erotischer Voodoo-Zottel umgarnt wird – bis es zum Pistolenknall kommt und eine Dame am Boden liegt. Nicht alles wird da schlüssig von A nach B entwickelt. Als ob da noch etwas Dunkles, Problematisches nachgereicht werden müsste. Spaß macht es dagegen, wie Emily Newton als aufgekratzte Alice, Almerija Delic als herbe Quickly, Corinna Scheurle als genervt stöckelnde Meg und Chloë Morgan als Nannetta mit lichter, freier Höhe sich singdarstellend durch den Abend bewegen. Dirigent Björn Huestege ist mit der Staatsphilharmonie Nürnberg eher untertourig am Werk. Vielleicht auch, weil sich die Text- und instrumentalen Details so besser unterkriegen lassen. Trotzdem darf’s funkeln, die Aktschlüsse haben die nötige Wucht. Und das Beste: Kein Mensch hat einen Regie-Essay zu toxischer Männlichkeit oder #MeToo vermisst. Schließlich haben das Verdi/Boito/Shakespeare, auch das nimmt man aus der Premiere mit, auf ihre viel geistreichere Weise verhandelt.

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