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  3. Oper „Blue“: Gut gemacht, gut gemeint

Kultur Schwarze Oper

Am Ende rollt ein weißer Sarg hinaus

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Szene aus "Blue" von Jeanine Tesori und Tazewell Thompson Szene aus "Blue" von Jeanine Tesori und Tazewell Thompson
Szene aus „Blue“ von Jeanine Tesori
Quelle: Clärchen and Matthias Baus
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Zum „Black Achievement Month“ in den Niederlanden importierte die Dutch National Opera die Oper „Blue“ aus New York. Die verhandelt den tragischen Tod eines schwarzen Jungen. Ist gut gemacht, klingt schön. Und trotzdem drückt man sich damit um eine wichtige Auseinandersetzung.

Die Niederlande haben sich seit einiger Zeit im Herbst einen „Black Achievement Month“ verordnet. Das mag man gutheißen, angesichts der hier – im Vergleich zu Deutschland – demografisch nach wie vor deutlicher spürbaren kolonialen Vergangenheit und eines zumindest in den größeren Städten deutlicher sichtbaren farbigem Bevölkerungsanteils.

Doch warum nur „black“ und nicht „coloured“? In Holland geht es doch hauptsächlich um Einwanderer aus ehemaligen asiatischen Kolonialgebieten. Sklaven wurden zwar von den überseeischen Handelskompanie brutalst gehandelt, spielten aber im historischen Alltag des Mutterlandes keine große Rolle.

Auch die Dutch National Opera beteiligt sich nun zum zweiten Mal mit einer „schwarzen“ Opernpremiere am Aktionsmonat. 2021, als man noch schwer vom Lockdown gebeutelt war, fiel das weniger auf. Doch nun gab es die europäische Erstaufführung von „Blue“, eines Stücks der als Broadway-Komponistin berühmten Jeanine Tesori.

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Die ist nicht schwarz, hat aber als Librettisten und Regisseur den Aktivisten Tazewell Thompson an ihrer Seite, der in „Blue“ vor allem seine Geschichte als von der – blaugewandeten – Polizei viel stärker als seine weißen Altersgenossen gemaßregelter junger, schwarzer Mann erzählt – und 2019 die Ermordung George Floyds vorwegnahm.

Der etwas über zwei Stunden dauernde Zweiakter erzählt eher parabelhaft tableauxstarr von einem schwarzen Polizisten, dessen durch die gesellschaftlichen Missstände wütend gewordener Künstlersohn mit den Cops in Konflikt gerät und von einem Polizistenkollegen erschossen wird. Der erste Akt exponiert das Milieu in Harlem mit den Freundinnen der Mutter und den Kollegen des Vaters, die sich über die Geburt freuen und endet nach einem Monolog des schnell erwachsen gewordenen Sohnes als angry young man mit der Traueraufarbeitung in der Kirchengemeinde, Pfarrertröstung, Freundesbeschwichtigung, Leid und Anklage.

Ein Vater kann seinen Sohn nicht retten – Szene aus "Blue" in Amsterdam
Ein Vater kann seinen Sohn nicht retten – Szene aus "Blue" in Amsterdam
Quelle: Clärchen and Matthias Baus

Das ist alles gut gemacht, klingt schön, ergreifend, viel zu harmonisch in den Quartetten, Duos und ariosen Monologen. Tazewell und Tesori können ihr Theaterhandwerk. Er weiß zu argumentieren, aufzurütteln, aber nicht zu verstören und gleich wieder zu beschwichtigen. Sie mischt Jazz und Gospel mit Gershwin, Bernstein und Rap, Puccini-Süße, Copland-Melancholie, viel Afro-Perkussion und wohlgesetzten, selten stachligen Ausbrüchen.

Ein wenig vorhersehbar ist „Blue“, aber so belehrend wie unterhaltsam. An die Kraft und Originalität ihrer vielfach ausgezeichneten Partitur für das Musical „Fun Home“ (2013) über eine superdysfunktionale Familie samt der ersten, sichtbar lesbischen Hauptrolle in diesem Genre reicht „Blue“ aber keinen Moment heran.

Auch die aus Amerika übernommene Inszenierung der Uraufführung beim Glimmerglass Festival im Upper State New York kommt ähnlich schön, bequem und zuschauerfreundlich daher. Vor einer abweisend weißen, klassizistischen Hausfassade der tonangebenden Gesellschaftssicht, deuten ein paar Möbel oder Bürorequisiten die Lebenswelt der aufrechten, aber benachteiligte Schwarzen an. Dort wird vor allem referiert und reflektiert, aber wenig gehandelt. Meist bewegungslos singt man in adretten Nummern, was lange nachhallt. Am Ende dieses ruhigen Opernrequiems rollt ein weißer Sarg hinaus.

Leicht konsumierbar und nachhaltig

Diese Fast-Wohlfühl-Oper, die stark textgetrieben Engagement, Ehrgeiz und alltägliche Ungerechtigkeit in Minderheitenvierteln der USA verhandelt, kam in Amsterdam bestens an. Ein auffällig junges, diverses Publikum mit vielen Schwarzen darunter feierte den engagiert temperamentvollen Kwamé Ryan am Pult des Residentie Orchester aus Den Haag sowie das Black-Power-Ensemble mit Aundi Marie Moore (Mutter), Kenneth Kellogg (Vater) und Darius Gillard (Sohn) in den Hauptrollen.

Bei dem leicht zu konsumierenden, aber durchaus nachhaltigen „Blue“ funktionierte der Aktionsmonat also. Mit einem Thema, das weit weg angesiedelt ist. Mal sehen, ob die Dutch National Opera sich auch mal an die blutig-grausame Geschichte der Sklaverei in ihren eigenen Handelskompanien traut. Das Reichsmuseum Amsterdam hat dazu 2021 eine eindrückliche Ausstellung präsentiert. Jetzt fehlt noch das auch unbequeme Fragen stellendes Musiktheaterwerk.

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