Opernuraufführung:Kindisch kichernd im Himmel

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Liebte Zahlen und Männer: Martin Platz als Mathegenie Alan Turing. (Foto: Ludwig Olah/Staatstheater Nürnberg)

Anno Schreier komponierte mit "Turing" eine Oper über das schwule Mathegenie Alan Turing. Jetzt wurde sie in Nürnberg uraufgeführt.

Von Helmut Mauró

Hat der britische Mathematiker Alan Turing durch das Knacken der deutschen Enigma-Verschlüsselungsmaschine die Wende im Zweiten Weltkrieg verursacht und war er darüber hinaus der entscheidende Vordenker künstlicher Intelligenz? Und dann auch noch Vorkämpfer der Schwulenbewegung? Dieses Leben schreit nach großer Oper. Nach der Hollywood-Filmbiografie von 2014 hat das Staatstheater Nürnberg den Dichter Georg Holzer und den Komponisten Anno Schreier beauftragt, eine Oper über das erstaunliche Leben von Alan Turing zu schreiben, jetzt wurde Turing" in der Regie des Staatstheater-Intendanten Jens-Daniel Herzog uraufgeführt.

Schon die ersten, wenigen Töne instrumentalen Vorspiels - trockenhartes Xylophon - weisen auf die Brutalität des Geschehens, die lustige Rhythmisierung auf Vaudeville, aber auf eine nicht allzu erschütternde Darbietung. Holzer und Schreier probieren in ihrer Oper einen Spagat zwischen Tragik und Komik, der auch den begabtesten bühnenstrategischen Kunstturnern misslingen würde. Auch halbversteckte Hinweise, die Verwendung des Fagotts oder das Zitat der zweiten Strophe der britischen Hymne, retten das Konzept nicht wirklich. Alan Turing ist hier zunächst ein selbstverliebtes Mathe-Genie, das sich mit überragenden Kollegen wie Kurt Gödel misst und Gefühle für einen Mitschüler entwickelt, "der Zahlen liebt wie ich". Es bleibt eine unerfüllte, halbherzige Liebe, die Musik zieht sich wieder auf Repetitionsmuster der Streicher zurück, ein Saxophon blökt rhythmisch hinein.

Das ist zu dünn für eine traumatisch prägende Situation, die am Ende die ganze Tragik ausmacht: Turing rettet von Veranlagung und Berufs wegen Leben und wird für seine über die Norm hinausgehende erotische Veranlagung als Mensch vernichtet, als Mathematiker vergessen. Schon damals gab es die Tendenz, mit der moralischen Verurteilung eines Menschen auch dessen berufliche Leistung zu diffamieren. Was an diesem Abend trotz des spannungsarmen und oft albernen Librettos - "ist es dann endlich im Lot, passiert nur Scheiß und du bist tot" - sowie der etwas bemüht unterhaltsamen Musik eindrucksvoll über die Rampe kommt, ist die von Martin Platz herausragend gesungene und gespielte Hauptfigur des Turing. Vor allem die Tatsache, dass dessen Zwiespältigkeit nur äußeres Abbild einer inneren Zerrissenheit ist, die durch die Moralgesetze der Zeit verursacht ist.

Es ist nicht nachvollziehbar, wieso sich Turing mit freimütigen Äußerungen über seine Sexualität dem Gericht zum Fraß vorwirft

Dennoch taugt Turing hier nur bedingt zum Vorkämpfer sexueller Befreiung. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso er sich mit freimütigen Äußerungen über seine Sexualität dem Gericht zum Fraß vorwirft. Statt Gefängnis wählt er Hormontherapie und begeht bald Suizid. Es fehlt die Schlüsselszene, in der sich Turing vom verschüchterten Nerd zum sexuellen Freiheitskämpfer emanzipiert. Das hätte die Oper gerettet, die nun ein Musical geworden ist: leichtfüßig, gutgelaunt - da treffen sich Text, Musik und Regie in ihrer revuehaften Ein-Bisschen-Spaß-Muss-Sein-Strategie. Eigentlich müsste jeden Moment das Fernsehballett um die Ecke biegen, aber die Gräben der Dramaturgie überspringt der Chor - sängerisch und darstellerisch in Hochform.

Komponist Schreier, der in der Minimal-Music mathematische Ästhetik ausmacht, nutzt die Technik fortlaufender Repetition als Grundmuster, über das er alle möglichen Musikstile legt, vom frühbarocken Klagegesang über Händels Prachtchöre, Bachs Kontrapunktik bis hin zu Jazz- und Rock-Anwandlungen. Letztere mit penetrantem Schlagzeug, das ja immer eher Distanz schafft, als Empathie anzustoßen. Das lautstarke Vorzählen des Rhythmus blockiert Denken, beleidigt musikalisches Empfinden: als setzte man - mit tödlichem Ende - einen Defibrillator auf ein gesundes Herz. Und so wirkte die ganze Vorstellung: als käme man mit Jux und Dollerei dem seltsamen Turing auf die Schliche. Am Ende sehen wir ihn kindisch kichernd im Himmel. Alles nicht so schlimm.

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