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Copyright: Bernd Uhlig, Fidelio in der Regie von David Hermann, Premiere am 25. November 2022 in der Deutschen Oper Berlin.
Copyright: Bernd Uhlig, Fidelio in der Regie von David Hermann, Premiere am 25. November 2022 in der Deutschen Oper Berlin.
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Schaumgebremst pessimistisch … – Beethovens „Fidelio“ an der Deutschen Oper Berlin

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„Fürs rein Exemplarische nicht abstrakt genug, fürs überspringend Nachfühlbare nicht konkret genug,“ so Joachim Lange zur Fidelio-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin. „Wenn sich ein Regisseur so abgrundtief pessimistisch aus der Fidelio-Affäre zieht, fragt man sich schon, warum er sich dann überhaupt darauf einlässt. … Und musikalisch? Nun, ein Beethoven-Glanzstück liefern Donald Runnicles und sein Orchester auch nicht. … Der von Jeremy Bines einstudierte Chor allerdings ist fabelhaft.“

So vertrackt die Geschichte der treuen Gattin Leonore, die sich als Mann Fidelio verkleidet ins Gefängnis (und das Herz der Tochter des Wärters) einschleicht, um ohne wirklich nachvollziehbaren Plan, ihren dort vermuteten Gatten zu befreien, auch sein mag; die Oper ist über die Zeiten hinweg zu einer hochpolitischen Angelegenheit avanciert. Trotz der dauernden Berufung auf Gottes Willen und letztlich den Deus-ex-machina-gleichen Eingriff des Ministers, dessen per Trompetensignal angekündigtes, sekundengenaues Eintreffen einen Mord verhindert. Der eskalierende Heil-Jubel über die treue Gattin am Ende oder der Gefangenenchor werden mittlerweile synonym für die Sehnsucht nach Freiheit wahrgenommen. Und die Regisseure, die sich an der Story annehmen, die Beethovens Librettisten, Josef Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke für die Wiener Uraufführung 1814 in die postnapoleonische Erschütterung Europas hineingedichtet haben, versuchen vornehmlich, die Schattenseiten von Terror und Willkürherrschaft zu verdeutlichen. Was durchaus immer auch an das Publikum appelliert, sich hinter diese Werte zu stellen.

Dass da manches im Stück nicht so ganz klar ist, wie man sich angewöhnt hat zu glauben, wird oft übersehen. Wieso Pizarro von Rache gegenüber einem Mörder spricht, geht einfach so durch. Wie auch die Demütigung Marzellines als Frau durch Leonore. Diese etwas diffusen Aspekte nicht unterschlagen und dennoch den Kurs halten und den Diktatoren und Unterdrückungsregimen dieser Welt eins drüber zu ziehen, gehört zum guten Fidelio-Inszenierungston. Wenn dann auch noch die musikalische Seite der Sache stimmt, dann denkt man sich als Publikum halt den Rest.

Aber ein wenig von all den politischen Implikationen müsste man schon auch auf der Bühne zu sehen bekommen. Mag sein, dass Regisseur David Hermann und sein Ausstatter Johannes Schütz gleich die ganze Welt als Gefängnis und das Kerkergeschoss als die große Hölle zeigen wollten. Aber die mannshohen Mauern samt der davor angeketteten Gefangenen mit antiken Masken vor den Gesichtern, ein XXL Pathologentisch und ein riesiges Kraterloch zur Entsorgung anfallender Toter und dann, nach der Pause, ein weitläufiger Kerkersaal mit einem schwarzen Quadrat vor dem Einstieg per aufgestellter Trittleiter, all das bleibt letztlich szenische Behauptung. Fürs rein Exemplarische nicht abstrakt genug, fürs überspringend Nachfühlbare nicht konkret genug. Dass die Gefangenen von Anfang an nicht weg-, sondern hinter ihren Masken eingesperrt und an den Füssen gefesselt sind, mag ja noch angehen. Dass einer von ihnen sich zu Beginn einfach davon machen kann, aber alle erst nachdem ihnen Fidelio das Schlüsselbund zugesteckt hat, nach und nach ihre Fesseln lösen können, ist das eine. Dass die aber zum Gefangenenchor eine der Mauern einstürzen lassen, behauptet eine Beziehung zur jüngeren Vergangenheit der Stadt, in der die Oper spielt, die hier etwas wohlfeil und aufgesetzt wirkt. Und man ist auch nicht wirklich versöhnt damit, wenn am Ende das jubelnde Volk aus der Versenkung auftaucht und so gekleidet ist, als wäre es geradewegs von der Bismarckstraße weg in die Aufführung gebeten worden. Dass Hermann den Beethovenschen Jubel mit all seinem Heil!-Gebrüll in eine Wutattacke übersetzt, wirkt zwar nicht gegen den Impetus der Musik an dieser Stelle. Aber die Stoßrichtung der damit verbundenen Geste ist zumindest irritierend. Ein Volk, dass gerade die Verhinderung eines Willkürmordes miterlebt hat und trotzdem in einen kollektiven Wutausbruch verfällt und sich drohend an das Publikum im Saal wendet?

Dass von den Politikern per se nichts Gescheites zu erwarten ist, wird schon beim Auftritt des Ministers und seiner Begleitung deutlich. Eitles Abarbeiten eines Termins. Keine Sekunde glaubt hier irgendjemandem, dass da ein Freund den totgeglaubten Freund wiedergefunden hat. Also auch da Fehlanzeige für ein Fünkchen Optimismus. Hinzukommt, dass weder der beamtenwendige Rocco (der sowieso nicht), aber eben auch Leonore und Florestan nicht zu Leitbildern von etwas Neuem taugen, das über die Finsternis des Stückes hinausreicht. In seiner Beiläufigkeit geht fast unter, dass Leonore auf dem Weg zu ihrem Florestan einen anderen Gefangenen kurzerhand erschießt. Und auch Florestan hat nicht die Spur von Mandelascher Größe, sondern wandelt nach seiner Rettung sein Trauma in Wut auf fast alle um. Wenn sich ein Regisseur so abgrundtief pessimistisch aus der Fidelio-Affäre zieht, fragt man sich schon, warum er sich dann überhaupt darauf einlässt.

Zur reflektierten (nicht platten) Analyse gegenwärtiger Abscheulichkeiten oder einer aufmunternden Mobilisierung für den Zuschauer taugt diese, auch in der Personenregie nicht sonderlich packende Inszenierung nicht.

Und musikalisch? Nun, ein Beethoven-Glanzstück liefern Donald Runnicles und sein Orchester auch nicht. Es wirkt seltsam schaumgebremst, was aus dem Graben kommt, wenn nicht gar missglückte Einsätze auffallen. Am Ende klingt alles vor allem lärmig. Bei den Protagonisten sind es die Interpreten der kleineren Rollen, die überzeugen: Albert Pesendorfer als Rocco, aber auch Gideon Poppe als Jaquino und Sua Jo als seine umworbene Marzelline, aber auch Thomas Lehman als Don Fernando. Ingela Brimberg ist eine vehement zur Sache gehende Leonore, Robert Watson hat einige Mühe, seinen Florestan durchzustehen. Jordan Shanahan füllt die Rolle des Bösewichts Pizarro vokal nur ansatzweise aus. Der von Jeremy Bines einstudierte Chor allerdings ist fabelhaft.

Publikumsreaktion war vorweihnachtlich wohlwollend. 

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