Dorfgegend, Berge, Wald, und Getreidefelder irgendwo in der Provinz – mehr sieht das Libretto von L'elisir d'amore nicht vor. Angesichts der Tatsache, dass das Geschehen auch noch vor fast zweihundert Jahren spielt, Donizettis Oper wurde 1832 uraufgeführt, hat das zahlreiche Regisseure unserer Tage dazu veranlasst, einen moderneren Schauplatz zu suchen – einen Badestrand, einen Wellness Spa, auch die Arbeitswelt zwischen Lagerhallen. Schließlich findet Liebe – ob erträumt oder tatsächlich erfüllt ^ zu allen Zeiten und überall statt, und um solche Liebe geht es in der Oper.

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Laia Vallés (Giannetta) und Claudia Muschio (Adina)
© Martin Sigmund

Für ihre Inszenierung an der Oper Stuttgart wählt Regisseurin Anika Rutkofsky eine riesige Laboranlage unter Glasdach. Hier experimentiert die Heldin Adina, bei Donizetti eine „reiche und launische Pächterin“, mit modernen chemischen Möglichkeiten, Wachstum zu befördern. Das ist nicht einfach ein weiterer Versuch, die alte Oper in modernem Ambiente anzusiedeln, es macht sie in Zeiten, in denen in der Landwirtschaft Gentechnik eingesetzt wird, aktuell und greift vor allem zwei Aspekte der Oper auf: Zum einen die Abgeschiedenheit der Lebenswelt dieser Figuren, die bei Donizetti kaum je eine Großstadt gesehen haben dürften und hier unter der Glasglocke des Labors gefangen sind. Vor allem wird hier der Titelbegriff der Oper auf das ganze Leben angewandt – der Versuch, die Natur zu beeinflussen, sei es die der Pflanzen, sei es die der menschlichen Gefühle wie der Liebe.

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Kai Kluge (Nemorino)
© Martin Sigmund

Dass es mit ihr, zumindest was den jungen Nemorino betrifft, nicht zum Besten bestellt ist, macht Rutkofsky in diesem aseptischen Ambiente gleich zu Beginn deutlich. Während die Chefin Adina auf einer Metallbrücke unter dem Glasdach ihres Laboratoriums die Versuche chemisch kontrolliert, lässt der unsterblich in sie verliebte, doch von ihr nicht sonderlich beachtete Nemorino die Töpfe mit frischer Pflanzenerde auf den Boden fallen. 

Ähnlich witzige und überzeugende Regieeinfälle blitzen auf, wenn Dulcamara seinen Auftritt hat, der großsprecherisch seine minderwertigen Waren anpreist und hier als Schatten überlebensgroß seine Ankunft an einer Fensterwand ankündigt. In solchen Momenten erwächst szenische Handlung aus den Charakteren und ihren Lebensbedingungen heraus.

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Claudia Muschio, Giulio Mastrototaro (Dulcamara), Björn Bürger (Belcore), Kai Kluge (Nemorino)
© Martin Sigmund

Ansonsten jedoch lässt Rutkofsky die Figuren weitgehend statisch agieren. Schon lange wurde an der Oper Stuttgart nicht mehr derart systematisch an der Rampe gesungen. Wenn Dulcamara mit  seinem Warenkoffer seine Wundermittel anpreist, steht er vorn an der Bühnenkante und wendet sich dem Opernpublikum zu, derweil die Bevölkerung, respektive die Laborbesatzung, in Reih und Glied hinter ihm steht. Wenn der Chor aktiv werden soll, etwa als Dorfbevölkerung, die das Gerücht von Nemorinos unerwarteterer Erbschaft in Windeseile verbreitet, fällt der Regie nicht viel mehr ein als das aus Stummfilmen bekannte übertriebene Repertoire an Gestik und Mimik. So wird Oper leicht zu einer Art unfreiwilliger Selbstparodie.

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Claudia Muschio (Adina) und Kai Kluge (Nemorino)
© Martin Sigmund

Was gerade diese Oper nicht verdient, die nur vordergründig in der Tradition der Commedia dell'arte steht. Dirigent Michele Spotti arbeitete den Farbenreichtum von Donizettis Partitur brillant heraus, der vor allem in den Holzbläsern aufblüht. Und das passt genau zu Nemorinos Gesang, der musikalisch von Minute zu Minute mehr zum romantischen, fast tragischen Helden avanciert – vor allem, wenn er wie in diesem Fall von Kai Kluge in jeder Gefühlsnuance empfunden und stimmlich realisiert wird. Kluges Stimme in einer Kombination aus lyrischem Timbre und fast metallisch glänzenden Spitzentönen eignet sich wie kaum eine andere für diese Rolle (und ist auch für Mozartopern ideal). Sein Nemorino dürfte derzeit seinesgleichen suchen, und auch schauspielerisch versucht er, dem Rollenklischee zu entkommen, in dem freilich alle Figuren gefangen sind.

So auch Adina, die kapriziöse, in Liebesdingen, also in der Welt der echten Gefühl, eher oberflächliche junge Dame. Gesanglich machte das Claudia Muschio brillant: Mit atemberaubenden Koloraturen und grandiosen Spitzentönen ist sie ganz die zunächst über allem stehende Heldin, bis sie am Schluss doch ihr Einsehen mit Nemorino – und mit ihrem eigenen Herzen – hat. Beide sind das ideale Donizetti-Paar.

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Claudia Muschio (Adina) und Giulio Mastrototaro (Dulcamara)
© Martin Sigmund

Björn Bürger als Belcore leidet ein wenig daran, dass er fast die Karikatur eines Frauenhelden zu spielen hat, dafür findet Giulio Mastrototaro die perfekte Mischung aus witziger Übertreibung des reisenden Händlers und selbstironischer Relativierung der eigenen Wichtigkeit und beherrscht das rasche Parlando, das so viele Donizetti- und Rossini-Rollen prägt.

So ist diese Produktion ein Fest der Musik, vor allem des Gesangs. Wer den vielleicht derzeit besten Nemorinosänger erleben will, kommt an Stuttgart und Kai Kluge nicht vorbei, einer tiefschürfenden, zugleich spielerischen Charakterisierung einer Figur, die allzu leicht zur Witzfigur auf der Bühne werden kann und hier durch den Gesang zum Helden wahrer Empfindung wird.

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