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Susanne Langbein (Genoveva), Statisterie. Foto: © Birgit Gufler
Susanne Langbein (Genoveva), Statisterie. Foto: © Birgit Gufler
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Packender Wurf: Robert Schumanns „Genoveva“ in Innsbruck

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Robert Schumanns einzige Oper „Genoveva“ gilt als sperrig und kompliziert. Am Tiroler Landestheater Innsbruck erinnerte man sich an den bitteren Gehalt der Legende und den misogynen Ungeist der Kirche. Johannes Reitmeiers Inszenierung gerät packend, Lukas Beikircher hat am Pult die rettende Löwenpranke. Und es gibt ein souveränes Quartett der Hauptpartien: Susanne Langbein, Alec Avedissian, Jon Jurgens, Irina Maltseva.

Kein Verzeihen, keine Verklärung: Genoveva will das schöne Paradekleid nicht einmal mehr, als sie von jeder Schuld freigesprochen ist und ihr Bischof Hidulfus (Joachim Seipp) und die mit Holzkreuzen aufmarschierenden Söldnerinnen- und Söldnermassen huldigen wollen. Am Beginn seiner letzten Spielzeit am Tiroler Landestheater denkt Intendant Johannes Reitmeier den urromantischen Genoveva-Stoff weiter bis zu Femiziden der Gegenwart.

Robert Schumanns einziger Oper fehlt es, trotz hymnischer Plädoyers von Edda Moser bis Nikolaus Harnoncourt, seit der Leipziger Uraufführung 1850 auf den Bühnen an Fortune. Schumanns in Opposition zum Massengeschmack nach den Dramen von Ludwig Tieck und Friedrich Hebbel konstruiertes Textbuch macht deren psychologischen Ansätze für den allbekannten Stoff klein. Bei den Katastrophen von Schumanns duldender Pfalzgräfin würde man nicht einmal ansatzweise mitfiebern wie bei den irdischen Schmerzensköniginnen von Donizetti und Bellini.

Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck glänzt vor allem in den koloristischen Mittelalter-Phantasien. Lukas Beikircher rüstet den lyrischen wie leicht zähflüssigen Musik-Edelstoff kernig auf, wo es geht. Er stürzt sich mit Freude auf die dirigentischen Herausforderungen. So kam die durchweg gute und in den vier Hauptpartien exzellente Besetzung zu ihrem Recht, weil auch Reitmeier das larmoyante Geschehen gründlich befeuerte. Johannes Maria Wimmer gibt einen sonoren wie gemütvollen Haushofmeister Drago, Oliver Sailer (Balthasar) und Julien Horbatuk (Caspar) sind Schergen und Folterknechte auf hohem Niveau. Der Chor hat mehrere Auftritte als Jubelstatisterie und einen als Geisterschar im Zauberspiegel. Dieser erreicht ausnahmsweise das kompositorische Format von Schumanns „Faust-Szenen“.

Die in Mainz, Trier und Straßburg verortete Legende gehört auch ins tirolische und bayerische Inntal, war dort seit Ende des 18. Jahrhunderts auf allen Dorfbühnen von Audorf über Thiersee bis Buch als Sakral- und Ritterschauspiel bekannt. Die Kostüme von Michael D. Zimmermann sind allerdings zeitlos, er vermeidet volkstümelnden Ritter- und Minnedamen-Chic. Dafür künden Zimmermanns blattlose Baum-Silhouetten von ausweglosem Wetter- und Seelenfrost. „deus lo vult“ – mit dem Schlachtruf der mittelalterlichen Kreuzfahrenden mahnt der Zwischenvorhang. Keineswegs bibelfest, aber dogmatisch ist dieses „Gott will es!“. Auf der Bühne steht ein verrostetes Metall-Ungetüm und wird zu Kriegspanzer, Kemenate, Kapellenraum. Der Leidensmann schafft Menschenleid. „deus lo vult“ bezieht sich auch auf Schumanns „Frauenliebe und -leben“ in Opernform: Zum Schluss drückt die von Menschen und Hoffnung verlassene Genoveva den übel zugerichteten Heiland auf einem schartigen Riesenkruzifix an sich. Mit einem solchen Ende misstraut die packende Produktion des Tiroler Landestheaters nicht nur dem nazarenerhaften Erlösungsappeal, sondern auch dem lieblichen Frauenbild des Intellektuellen Schumann. Genovevas Blindheit, eine mit Gedichten Adelbert von Chamissos legitimierte Regie-Zutat, steigert die Schicksalsergebenheit der hellblonden, sogar von ihrem Schöpfer Schumann im Stich gelassenen Schönheit. Während die von ihm als „unvermeidliche Drei“ bezeichneten Rossini, Donizetti und Bellini gegen Frust und Folter an Frauen mit steinerweichenden Melodien Partei ergriffen, kam vom deutschen Spitzen-Romantiker gepflegtes Chillen.

In Reitmeiers misogynem Gottesstaat der Ritter und Kriegsknechte ist Frausein generell verwerflich – für die Tugendboldin Genoveva, aber auch die bereits in den Volksschauspielen äußerst rührige Margaretha. Susanne Langbein und Irina Maltseva sind wie unterschiedliche Schwestern – artige Klosterschülerin die eine, sexuell und im Lohnerwerb vielseitig die andere. Langbein legt die Partie mit einem schillernden Farbspektrum an, unterminiert Passivität mit hörbarem Heiligenschein.

Reitmeier macht aus der Figuren-Konstellation eine Paar-über-Kreuz-Aufstellung der Charaktere und Temperamente in einem für Heilige und Hexen toxischen Klima: Die Allianz der freizügigen Margaretha und des emotional offenen Golo prallt auf das hohe Paar Siegfried und Genoveva. Pfalzgraf Siegfried ist durchaus angetan von der seine Kriegswunden leckenden und pflegenden Margaretha. Und Golo war schon um 1820 ein liebeskranker Werther mit Wams und Schwert. Sein andächtiges Begehren schlägt bei der Abfuhr durch die schöne Seele um in Hass. 

Die Sänger vertrauen Reitmeiers aus den holzschnittartigen Quellen in die Oper geretteten Knarzigkeiten. Das ermöglicht neben vitalem Spiel auch den belcantesk anpackenden Griff nach der Partitur. Beklemmend wird es, weil man weder beim mit elegischem Schmelz singenden Tenor Jon Jurgens (Golo) noch dem lyrischen Heroismus von Alec Avedissians Bariton (Siegfried) die von Kirche und Gesellschaft kultivierte Misogynie heraushört. Diese lauert wie ein schleichendes Gift hinter dem betörenden musikalischen Schein.

Für einen aufrüttelnden Ruf gegen physischen und psychischen Femizid gerät die mit herzlichem Applaus gefeierte Premiere dann doch nicht. In der Reihe von Entdeckungen der Intendanz Reitmeier ist dieses Andocken von romantischer Oper und Regionalkultur, das Nachtseiten einer sogenannten Volksfrömmigkeit hervorholt, aber ein packender Wurf. Trotz Schumann.

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