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Carmen. Georges Bizet. Musikalische Leitung: Yoel Gamzou. Inszenierung und Bühne: Herbert Fritsch. Tomislav Mužek, Maria Kataeva. Foto: Brinkhoff/Mögenburg
Carmen. Georges Bizet. Musikalische Leitung: Yoel Gamzou. Inszenierung und Bühne: Herbert Fritsch. Tomislav Mužek, Maria Kataeva. Foto: Brinkhoff/Mögenburg
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Wer ist das eigentlich – Carmen? – Herbert Fritsch verweigert an der Staatsoper Hamburg die Interpretation

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„Carmen“ von Georges Bizet ist nicht irgendeine weibliche Opernfigur, die Mezzosoprane gerne singen. Das 1875 entstandene Werk von Prosper Merimée und Georges Bizet erzählt von einer der berühmtesten und herausforderndsten Frauengestalten der Opernliteratur. Die Oper ist die meistgespielte der Welt, „die Oper schlechthin“ (René Leibowitz), ein „Meisterwerk der Grausamkeit“ (Henry de Montherlant). Die Vehemenz, mit der Carmen ihre Freiheit und Unabhängigkeit fordert, gleichzeitig das verführerisch Weibliche gekonnt einsetzt, reizt RegisseurInnen und Sängerinnen immer wieder und stellen immer wieder erneut die Frage: wer war Carmen?

Als Oper natürlich eine Projektion der Männer von Prosper Merimée (Roman), Ludovic Halévy und Henri Meilhac (Libretto) und Bizet (Komposition). Carmen, ein Freiheitssymbol für Feministinnen, ein Sinnbild für die Frau als Opfer der Gesellschaft, wir erinnern uns an die fast mythologischen Bilder von Carlos Saura und Peter Brook in den 80ern. Gerade Saura bietet ein merkwürdiges Bild: der Hass ist die Würze der Liebe, Carmen als flatterhaftes, launisches und unzuverlässiges Geschöpf, und der Publikumserfolg lässt doch fragen, ob die Frau als Freundin, als Kamerad nicht mehr gefragt ist. Täterin oder Opfer?

Nun hat Herbert Fritsch das Werk an der Staatsoper Hamburg in Szene gesetzt und spaltete das Publikum in der Premiere, erreichte aber in der zweiten Aufführung, die ich sah, einen eindeutigen Erfolg. Fritsch und auch der Dirigent Yoel Gamzou verankern das Werk nicht in einer Enscheidung, wie emanzipiert und freiheitsliebend oder auch das Gegenteil einer permanenten Verführerin Carmen ist, sondern in Theater- und Musiktraditionen. Er macht so etwas wie ein Ineinander der großen realistischen Liebestragödie, der Tradition der Commedia dell'Arte und der opera comique und der Tanzkorsette Habanera, Flamenco und im Kartenquintett einem Vaudeville, so dass letztlich eine interpretierende Position der Regie überhaupt nicht zustande kommt.

Im Gegenteil: Die Warumfragen häufen sich und übrig bleiben zum Teil gut gemachte Szenchen, die mit der vorherigen oder der folgenden nichts zu tun haben. Immer wieder setzt Fritsch Minimalismen von (Selbst)Ironie ein, ohne dass ein übergreifender Kontext deutlich wird. Oder er lässt eine Figur wie Morales (sehr witzig Blake Denson) sich wie eine Marionette aus Holz bewegen. Diese schnellen Stilwechsel inklusive Slapsticks und Pantomimen machen oft ganz schwindelig, wo befinden wir uns?

Erkennbarer Fritsch sind dabei zunächst einmal die Chöre, die unvorstellbar krass bunt sind: die Zigarrenarbeiterinnen schreien, tanzen und schlagen sich, aber eine soziale Verortung, gar Arbeitsbedingungen, zeigen sie nicht. Genau dieselben als Schmuggler in den Bergen: da sollten sie doch wohl eher Tarnfarben tragen. Genau dieselben dann als Festpublikum beim Stierkampf …

Dass Fritsch mit einer überdimensionalen Madonnenfigur und einem überdimensionalen Kreuz über den Bergen der Schmuggler sagt, dass damit keine Aussage verknüpft sei, bleibt fragwürdig, es markiert doch immerhin die sonst nicht sichtbare Herkunft der Protagonisten. Und so bleiben auch die DarstellerInnen sozusagen herkunftsfrei. Maria Kataeva als Carmen ist eine große, opulent gekleidete Verführerin, mit allen (und trotz allen) Klischees macht und vor allem singt sie das fabelhaft. Einen Traum von perfektem, aber zutiefst anrührendem Singen konnte man durch Elebenita Kajtazi als Michaela erleben! Tomislav Mužek als bewusst eher unbedeutender Don José, wunderbar geführt sein sehr lyrischer Tenor. Der Escamillo Kostas Smoriginas’ zeigte mit seinem Gockel-Haarschnitt das größte Ironiepotential, stimmlich wirkte er angestrengt.

Und das Dirigat von Yoel Gamzou: Der tobt regelrecht durch die Partitur – bestens gefolgt vom Orchester –, so schnell und Micky Mouse-artig haben wir das Vorspiel noch nie gehört, dann gibt es aber auch erstaunlich riesige Tempowechsel und bemerkenswert schöne Tänze. Gamzou präsentiert die unsterbliche Partitur als ein Puzzle, was den Verfahren der Szene vollkommen entspricht. Von daher gesehen ist diese Aufführung, die sich so entschieden einer Interpretationseinheit entzieht, schon eine geschlossene Sache. Aber Carmen? Eher nicht.

  • Die nächsten Aufführungen am 28.9. um 19 Uhr, am 2., 5., 7. jeweils um 19 Uhr, 9.10. um 15 Uhr.

 

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