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Klassik „Siberia“ in Bregenz

Schöner sterben

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Schöner sterben: „Siberia“ von Umberto Giordano Schöner sterben: „Siberia“ von Umberto Giordano
„Siberia“ von Umberto Giordano
Quelle: dpa
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Die Bregenzer Festspiele sind das bestbesuchte Musiktheater-Event der Welt. In diesem Sommer wird am Bodensee ein Opernklassiker der italienischen Russophilie gefeiert. In „Siberia“ flieht eine Kurtisane aus St. Petersburg in die Tundra – jetzt landet sie auch noch im Gulag.

Ein Melodram. Schmachtfetzen pur. Mit einem effektvollen Starauftritt für eine Sopranistin. So präsentiert sich Umberto Giordanos russophiles „Siberia“ bei seiner Uraufführung im Jahr 1903. Damals musste es die nicht fertig gewordene „Madame Butterfly“ Puccinis an der Mailänder Scala ersetzen. Nun also in Bregenz. Dort war von Giordano schon in der Saison 2011/12 seine bekannteste Oper, das Revolutionsspektakel „Andrea Chenier“ zu sehen.

Während heuer „Madame Butterfly“ draußen auf der Bregenzer Seebühne läuft, wird als Raritätenoper bei dem Festspielen drinnen „Siberia“ gezeigt. Die in Russland spielende Oper eines italienischen Komponisten mit einem in Teilen russischen Kreativteam und ebensolcher Besetzung.

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Die Rechnung scheint aufzugehen bei Österreichs zweitgrößtem Klassikfestival nach Salzburg und dem publikumsträchtigstem Musiktheater-Event der Welt. Bereits am 7. Juli waren 90 Prozent der insgesamt 189.000 Tickets für die 26 „Butterfly“-Vorstellungen verkauft. Und auch die mit der Oper Bonn koproduzierte „Siberia“-Premiere drinnen war augenscheinlich voll. Und das Publikum begeistert.

Mit dem nur 105-minütigen Dreiakter, basierend auf einem Originallibretto von Luigi Illica, wollte Giordano den Erfolg seiner ebenfalls um die damals noch exotischen Russen kreisende „Fedora“ weitermelken. Aber der sentimentalen „Siberia“-Story um eine Luxuskurtisane, die aus dem Reigen ihrer St. Petersburger Galane ihrem Offiziersgeliebten nach Sibirien folgt, weil er für sie zum Mörder wurde, fehlt zwischen abwechslungsreicher Klangästhetik mit Schneesturm, Osterglocken und Balalaikas das Quäntchen melodischer Hitsubtanz, dass auch so ein Reißer haben muss.

Viel Raum für Liebesleid

Immerhin ist in der poetisch-realistischen, dabei immer deutlich stilisierten Bregenzer Inszenierung von Vasily Barkhatov viel Raum für die weiblich pulsierenden Ausbrüche und Stephanas schönes Sterben im Schnee nach vergeblicher Flucht, für das verquälte Liebesleiden ihres Galans Vassili (etwas blässlich mit der Stimme im Hals: Alexander Mikhailok) und die bösbittere Bariton-Ranküne des kantigen Scott Hendricks als abgelegtem Geliebten und Zuhälter Gleby.

Barkathov hat freilich die losen Enden des ganz auf die sämige Musikwirkung bedachten Werkleins etwas schlüssiger zusammengeklebt und pfropft der flott erzählten Kolportage noch eine weitere Ebene auf. Hier findet nicht nur eine käufliche Frau ihre wahre Liebe in der Tundra-Einöde und stirbt metiergerecht am Ende. Eine zweite Frau, ihre im Gulag geborene Tochter (alterswürdig: Clarry Bartha), sucht per Schwarzweißvideo und auch auf der Bühne zwischen den historischen Protagonisten agierend, von Rom aus die slawischen Ursprünge ihrer Familie. Mit der Urne ihres Bruders sinkt sie am Ende neben der sterbenden Mutter in den Schnee. Schluchz!

Gefühl ist in der kleinsten Hütte: „Siberia“ bei den Bregenzer Festspielen
Gefühl ist in der kleinsten Hütte: „Siberia“ bei den Bregenzer Festspielen
Quelle: dpa

Doch so gelingen virtuos parallel geführte, immer wieder verschmelzende Bildkompositionen in Christian Schmidts für ihn ganz ungewöhnlicher Bühne aus einem aufreißenden Betonkubus, hinter dem sich fotoreal die Steppe ausbreitet. Man sieht diverse Interieurs, mal großbürgerliche Salon, dann ein Archiv, ein Gefangenenspeisesaal und ein Plattenbauspielplatz, wo sogar die Tapeten sanft zerfließen und verschwinden. Daraus wird ein Stück über das Erinnern als Prozess des Fragmentarischen. Was zudem die oft abgerissene, nur auf den rührseligen Moment konzentrierte Giordano-Partitur mit ihren versiert folkloristischen Einsprengseln veredelt.

Durch das mitreißend schlüssige Dirigat von Valentin Uryupin am Pult der Wiener Symphoniker gewinnt „Siberia“ an Intensität. Solide überstrahlt wird es von dem auftrumpfenden Gebrauchssopran der feinsinniger spielenden Stephana von Ambur Braid. So hat Bregenz 2022 wieder souverän die Kunstkurve genommen. 2024 verabschiedet sich dann Elisabeth Sobotka, die in neun Jahren hier solide, aber nicht wirklich innovativ regiert hat, nach Berlin. Vorher kehrt für den neuen „Freischütz“ allerdings „Rigoletto“-Regieroutinier Philipp Stölzl an den Bodensee zurück.

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