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„Herzog Blaubarts Burg“ in Salzburg: Judiths finsteres Herz

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„Herzog Blaubarts Burg“: Mika Kares als Gentleman, Ausrine Stundyte derangiert, hinten Castelluccis Feuerzauber.
„Herzog Blaubarts Burg“: Mika Kares als Gentleman, Ausrine Stundyte derangiert, hinten Castelluccis Feuerzauber. © dpa

Zur Eröffnung der Salzburger Festspiele: Romeo Castelluccis seltsamer Blick auf Bartók und Orff.

Hat es eine ironische Seite, ein Abend über Schuld, Frömmigkeit und Vergebung, während die Salzburger Festspiele sich bemühen, den Schaden über putinnahe Sponsorenverwicklungen in Grenzen zu halten? Ohne direkt auf Geld zu verzichten? Und auf den Dirigenten Theodor Currentzis, dessen Orchesterarbeit in Russland von der inzwischen EU-sanktionierten VTB-Bank finanziert wird? Und dessen Salzburger Musiktheaterprojekte mit dem Regisseur Romeo Castellucci bisher von der Stiftung V-A-C des Oligarchen Leonid Michelson unterstützt wurden? Mit jeweils 400 000 Euro? „Diesen Betrag“, so Intendant Markus Hinterhäuser vor wenigen Tagen in einem Interview, „sollte es auch heuer für ,Blaubarts Burg‘ geben. Ob es dazu kommt? Ich weiß es nicht.“

Über eine solche Aussage kann man sich wundern und etwas über den Balanceakt gesponserter Kultur erfahren, nichts Gutes für die Kultur. Hinterhäuser wies zu Recht darauf hin, dass sie sich das auch nicht ausgesucht hat, die Kultur. 75 Prozent ihrer Gesamteinnahmen müssen die Salzburger Festspiele selbst erwirtschaften. „VTB finanziert nicht die Festspiele, sondern ein Orchester, V-A-C ist nicht auf der Sanktionsliste“, sagte Hinterhäuser dem „Standard“. Nicht auf der Sanktionsliste der EU (lediglich auf der von Großbritannien und Kanada). Ja, stimmt.

Es trifft sich aber gut und eigenartig, dass so ein allgemeines Verzeihen über diesem Salzburger Eröffnungsdoppelabend liegt. Nur Judith hat nicht so viel davon. Blaubart – den man bei aller Komplexität von Béla Bartóks Wunderwerk „Herzog Blaubarts Burg“ doch für ihren Mörder halten muss –, führt sie ganz am Ende des zweiten Teils, Carl Orffs „De temporum fine comoedia“, noch einmal herein. Sie hat einen unangebissenen Apfel für Luzifer, für den es ähnlich wie für Blaubart ziemlich gut läuft. Er hat sich entschuldigt, die Entschuldigung ist angenommen worden. Nun also ein Apfel ohne Bissspuren, kein Sündenfall, kein Elend, der Mann legt den Arm um die Schulter der Frau und nimmt sie wieder mit. Sie, stoisch, muckt und zuckt nicht mehr.

Einakter sind der Bauklotzkasten für neugierige Opernbühnen. Aus dem Zusammendotzen möglichst unterschiedlicher Werke lassen sich fast immer Funken schlagen, und „Herzog Blaubarts Burg“ hat schon in vielen Verbindungen die Spannung gesteigert: Von Purcells „Dido and Aeneas“ über Puccinis „Der Mantel“ oder „Gianni Schicchi“, Kurt Weills „Sieben Todsünden“, Orffs „Carmina burana“, Zemlinskys „Der Zwerg“, Poulencs „La voix humaine“ bis zu Hummels „Blaubart“ und Eötvös’ „Senza sangue“. Es ist außerdem naheliegend, Bartók mit Bartók zu verbinden, womöglich sogar direkt noch einmal „Herzog Blaubarts Burg“ zu spielen, wie es Frankfurt einst effektvoll vormachte. Nun also Orffs Chorstück „De temporum fine comoedia“, „Spiel vom Ende der Zeiten“, 1973 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt, hier nun in der „Endfassung“ von 1981. Im Zentrum Texte aus den Sammlungen der „Sibyllinischen Weissagungen“ und der „Orphischen Hymnen“.

Zunächst läuft es auf das Jüngste Gericht hin und das Zittern und Wehklagen, das damit zweifellos einhergehen wird. Sodann kommt es zu einer verblüffenden Wendung, wie sie uns im Konfirmandenunterricht nicht beigebracht wurde: Indem Luzifer dreimal seine Schuld bekennt, darf er wieder zum echten, guten Engel werden. Christian Reiner kann die Arme so hinter den Kopf bringen, dass dort praktisch neue Flügelstummel sich bewegen. „Alles ist Geist“, heißt es schließlich, und obwohl das natürlich philosophisch ist, klingt es hier doch ein wenig unverbindlich. Und damit im Zusammenhang mit Schuld und Sühne auch praktisch. Das Mystische ist nicht selten angenehmer als das Konkrete, allerdings ist das Mystische nicht immer tiefsinnig.

Das Endzeitspiel der Christenheit und das Endzeitspiel der Seelen, einer männlichen, einer weiblichen, aber da ist kein Gott. Man ist sofort interessiert, und die Inszenierung von Castellucci in der Felsenreitschule hat immense optische Schauwerte. Darunter schlägt sie aber eine merkwürdige Richtung ein.

Diese Richtung lässt sich in den ersten Sekunden vor dem ersten Ton Musik bereits hören. Ein Baby schreit zunehmend. Als es verstummt, weint eine Frau auf. Judith wird einen reglosen Säugling mit in die Burg bringen, Blaubart bedeckt ihn mit einem schwarzen Tuch. Dass neben Trauer Schuld eine Rolle spielen könnte, ahnt man, nein, bekommt man um die Ohren gehauen, wenn Judith die „Türen“ zu öffnen beginnt. Traditionell finden sich dort Blaubarts Abgründe, hier aber scheint das Grauenhafte in Judith zu stecken. Sie ist es, die das Messer in der Hand hält, sie ist es, auf deren Unterleib sich auf einmal (schwarzes?) Blut zeigt.

Ausrine Stundyte, die große Salzburger Elektra, gibt Judith nicht nur ihren großen, ebenmäßigen, auffahrenden, aber doch auch süßen Sopran, sondern ebenso ihre tänzerische Beweglichkeit und ihre eindrucksvolle Bühnenpräsenz und Persönlichkeit. Umso irritierender zu erleben, wie sie immer mehr verzweifelt. Während sie sich kurzum mit Wasser vollspritzt und eine Unterhose nach der anderen auszieht und von Blaubart daran gehindert wird, sich auf eine Art Folterbett zu legen, schaut er sich das weitgehend ruhig an. Mika Kares’ milder Bariton ist perfekt für diese seltsam paternalistische Aufteilung der Leidenschaften. Stimmlich ein Traumpaar, das es nicht nötig hat, Exaltiertheit statt Intensität zu transportieren. Schade, dass Judith nicht spurt, aber sie wird schon noch.

Die Bühne so finster wie Blaubarts (hier: Judiths) Herz. Eine Wasserfläche ist meist nur zu ahnen, nachher gibt es auch fließend Wasser. Immer wieder zeigen sich wie von Zauberhand feurige Formen, teils dekorativ, teils sinnig, etwa ein „ICH“, dessen zweite Hälfte sich in der Wasserfläche spiegelt und dadurch vervollständigt. Nur einmal geht fahles Licht an und präsentiert die traurige Bühne in ihrer Gesamtheit. Auf dem schwarzen Boden steht „MEINE HAUT“, das wird auch im zweiten Teil nach 45-minütiger Umbaupause noch so ein.

Jetzt übernehmen vorerst die neun großartigen Sibyllen das Geschehen, Cindy Van Ackers Choreografie dominiert noch deutlicher. Die Sibyllen begehen nicht ganz motivierte Kindermorde, die seitens Castelluccis wohl mit dem toten Baby vom Anfang in einen Zusammenhang zu bringen sind (es geht um Frauen, die Kinder töten, statt um Männer, die Frauen töten, echt?). Dann kommt ein bibbernder Mönchschor. Der Bühne wird die „Haut“ abgezogen, darunter ein steinerner Boden, aus dem spektakulär die Toten hervorkriechen – der Beginn einer von Castelluccis und Van Ackers absolut grandiosen Massenbewegungen.

Dann geht – Luzifers Reue, Gottes Barmherzigkeit, Blaubarts besonnener Haltung und Judiths Gehorsam sei Dank – doch noch alles versöhnlich aus.

Mit Currentzis’ musicAeterna Choir (unter Vitaly Polonsky) singen der Bachchor Salzburg (Benjamin Hartmann) und der Theater Kinderchor (Wolfgang Götz). Aus der Musik holt Currentzis auch mit dem riesig besetzten Gustav Mahler Jugendorchester Zartes, Sattsames und Knalliges heraus. Dass der Korpus von „Blaubarts Burg“ vollendet ist, während das Endspiel neben klassischstem Orff auch ausfranst, ist allerdings nicht zu leugnen.

Salzburger Festspiele, Felsenreitschule: 31. Juli, 2., 6., 15., 20. August. www.salzburgfestival.at

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