Mit Stephen Gould als Tristan und Catherine Foster als Isolde hat man auf bewährte Schwergewichte ihres Stimmfachs gesetzt.
Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Bayreuth – Die Anreise: mit verspäteten, überfüllten Zügen über vertrocknete Felder. "Il faut méditerraniser la musique", forderte Friedrich Nietzsche einst. Was Klima und Zugverkehr anbelangt, ist die Transformation geschafft, da ist das Dürreland Deutschland längst das neue Italien. Vor Beginn der Premiere des großen Nachtverklärungsstücks Tristan und Isolde knallte in Bayreuth die Nachmittagssonne bei 35 Grad im Schatten vom azurblauen Himmel.

Nach zwei Jahren Pandemiepause ein kurzer Check: Das Festspielhaus steht stolz und fest auf dem hellgrünen Hügel. Chefin Katharina Wagner ist nach einer lebensgefährlichen Lungenembolie 2020 wieder auf ihrem Posten, der Vertrag der Urenkelin des Komponisten läuft noch drei Jahre. Wird er verlängert? Man hört von Spannungen mit dem Verwaltungsrat der Festspiele und von einer Fluktuation im Bereich der leitenden Mitarbeiter.

Zur Neuinszenierung von Tristan und Isolde – die letzte besorgte sie 2015 selbst – entschloss sich Wagner relativ kurzfristig. Erst letzten Dezember wurde bei Roland Schwab bezüglich der Regie anfragt: "Es war crashmäßig, aber das liebe ich", verriet der 52-Jährige. Schwab versprach eine Deutung ohne den "interpretativen Hammer", die auf einem "nuancierten Nachspüren der Musik" gründen sollte. Klingt danach, als ob es dem Bayreuther Stammpublikum nach all den Herausforderungen von Schlingensief, Castorf und Co gefallen könnte.

Schwergewichte ihres Stimmfachs

Und das tat es auch: Das Regieteam wurden mit Beifall überhäuft. Szenischer Deutungskokolores hielt sich in Grenzen, lediglich eine ganz junge und eine ganz alte Version des Liebespaars rahmte das Geschehen. Und das futuristische Bühnenbild (von Piero Vinciguerra) ist stimmig und schön: Im ersten Aufzug sah man eine Luxusyacht mit Indoor-Pool und ovalem Riesenfenster zum Oberdeck; im zweiten wurde das Schiff zum (begrünten) Raumschiff, das in die unendlichen Weiten allewiglicher Liebe aufbrach. Die eiförmige Schale des Transportmittels verstärkte die Stimmen ideal, sodass dieses "opus metaphysicum aller Kunst" (noch mal Nietzsche) von physischer Wucht geprägt war.

Und das futuristische Bühnenbild (von Piero Vinciguerra) ist stimmig und schön.
Foto: APA / Enrico Nawrath

Denn bezüglich der zentralen Passagiere auf diesem Trip hat man in Bayreuth mit Stephen Gould als Tristan und Catherine Foster als Isolde auf bewährte Schwergewichte ihres Stimmfachs gesetzt. Gould wurde vom Festspielpublikum wie ein alter Freund begrüßt, über dessen Macken man hinweghört: etwa die kurzen Irrwege des Amerikaners in Sachen Intonation oder die Angewohnheit, lange Kantilenen eher nonchalant als formvollendet abzuschließen. Gould, optisch eine Art Hannes Kartnig mit Howard-Carpendale-Akzent ("Das Lischt! Das Lischt!"), begann bärenstark und legte im kräftezehrenden letzten Aufzug sogar noch zu, ja explodierte regelrecht.

Kurze Irritationen im Graben

Catherine Foster hat in Bayreuth sechs Sommer in Folge die Brünnhilde gesungen, und so wunderte es nicht, dass sie ihre Isolde kämpferisch anlegte: Wie ein flammender Meteorit zog ihr Sopran seine strahlende Bahn, wuchtig und frei von jeder Schärfe. Aber auch leise kann die Britin gut. Foster erinnerte zu Beginn frappierend an Hannelore Hogers Bella Block, die nach einer zu kurzen Nacht fahrig, gereizt und mit Sonnenbrille ihrer Umwelt ins Gesicht faucht. Das Power-Couple fühlte sich in den überwältigenden Passagen am wohlsten, die Nacht der Liebe sank hingegen eher wackelig hernieder. Sie barg in ihrer szenischen Umsetzung auch komisches Potenzial, wenn Gould und Foster mit ausgestreckten Armen und Schunkelbewegungen an altgediente Schlagerstars auf einer fête blanche erinnerten.

Im Miteinander der Sänger und des Grabens gab es kurze Irritationen; im Festspielorchester waren die Holzbläser magisch, bei den Streichern misste man die letzte Synchronizität und Makellosigkeit. Egal: Markus Poschner, der Linzer Musikchef und Bayer in Bayreuth, wurde vom Publikum mit uneingeschränkter Begeisterung für seine Übernahme des Dirigats gefeiert. So wie auch Stammkraft Georg Zeppenfeld, der als König Marke eine Demonstration vokaler Vollkommenheit gab. Herausragend auch die Brangäne Ekaterina Gubanovas: eine fast herrische Dienerin in teuflischem Schwarz (Kostüme: Gabriele Rupprecht) und mit fokussiertem, edlem Mezzo. Im dritten Aufzug fand Markus Eiche als Kurwenal zu seiner Extraklasse; von gedrungener, kompakter Kraft: Olafur Sigurdarson als Melot. Das erhitzte Publikum wurde nach sechs Stunden in eine kühle Nacht entlassen. (Stefan Ender aus Bayreuth, 26.7.2022)