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Knalleffekt. Puccinis "Madame Butterfly" auf der Bregenzer Seebühne.

© Dietmar Stiplovsek/APA/AFP

Blitz- und Donnerpremiere in Bregenz: Papier macht Welle

Bei Gewitter bitte von der Seebühne ins Festspielhaus umziehen: Andreas Homoki eröffnet mit „Madame Butterfly“ die Bregenzer Festspiele.

Ganz alleine ist Cio-Cio-San auf der leeren, weißen, steil emporragenden Bühne und singt von ihrer Hoffnung, dass der Geliebte nach drei Jahren zu ihr zurückkehrt. „Un bel dì, vedremo“ – eines Tages, wir werden sehen – singt Barno Ismatullaeva im Mezzavoce und lässt ihren Sopran auf dem Streicherteppich schweben, während die Wellen an die Bregenzer Seebühne schlagen.

Kurz zuvor hatte der Regen aufgehört, so dass die 7000 Zuhörerinnen und Zuhörer bei dieser Open-Air-Premiere zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele (bis 21. August) die Kapuzen ihrer Regencapes wieder zurückgeschlagen haben, um der Arie aus dem zweiten Akt von Giacomo Pucchinis Oper „Madame Butterfly“ zu lauschen.

Plötzlich geht das Licht an, Wetterwarnung!

Um jede Nuance von Ismatullaevas Gesangskunst aufnehmen zu können. Dann geht das Licht auf der Zuschauertribüne an und aus den Lautsprechern wird verkündet, dass wegen einer drohenden Gewitterfront die Premiere nach einer Stunde Spielzeit abgebrochen und im Festspielhaus fortgesetzt wird.

Das hat es zum letzten Mal bei der Wiederaufnahme von „Aida“ im Jahr 2010 gegeben. Der Bodensee als Naturbühnenbild, der Abendhimmel als sich stets verändernde Kulisse ist das große Plus der Bregenzer Festspiele. An diesem leider unvollendeten Premierenabend wird das Alleinstellungsmerkmal zum Problem, zumal szenische Akzente von Andreas Homokis Inszenierung wie die Ankunft von Pinkertons Schiff erst im späteren Verlauf der Oper vorgesehen waren.

In den letzten Jahren hat häufig Technik die Bühne bestimmt. Bühnenbilder wie der riesenhafte Kopf in Philipp Stölzls großartiger Umsetzung von Giuseppe Verdis „Rigoletto“ konnten sich bewegen und verändern. Sie konnten überraschen und ein Eigenleben führen.

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Michael Levines wellenförmig ansteigende, mit japanischen Landschaftszeichnungen bemalte Bühne ist statisch. Fest auf dem Betonfundament montiert, bietet sie den Akteuren eine gleichbleibende Spielfläche mit nur wenigen Wegen, die begangen werden können. Ein großes Blatt Papier, das auf den Wellen schwimmt, ist eine weitere Assoziation, die sich einstellen kann, aber nicht muss. Papier als Hommage an das alte Japan, aber auch als Symbol für die Zerbrechlichkeit, die die Titelfigur – Cio-Cio San genannt Butterfly – kennzeichnet.

Auf der leeren Bühne, die ihre Welt ist und die für das alte Japan steht,die für das alte Japan steht, gibt es keinen Schutz und keinen Rückzugsraum für sie. Hier dringt der amerikanische Marineleutnant Pinkerton in leuchtend blauer Ausgehuniform (Kostüme: Antony McDonald) mit Gewalt ein, indem er die Bühne aufschlitzt. gibt es keinen Schutz und keinen Rückzugsraum für sie. Hier dringt der amerikanische Marineleutnant Pinkerton in leuchtend blauer Ausgehuniform (Kostüme: Antony McDonald) mit Gewalt ein, indem er die Bühne aufschlitzt.

Ein phallischer Mast dringt durch das Loch

Zwei Löcher, zwei Verletzungen sind mit dem Auftritt des Imperialisten verbunden, der für seine Zeit in Japan von Heiratsvermittler Goro (schön schmierig: Taylan Reinhard) ein Haus und eine Frau bekommt. Zur Arie „Dovunque al mondo lo Yankee vagabundo“ (Auf allen Meeren treibt es umher den Yankee), die Edgaras Montvidas mit leuchtendem Schmelz und viel Vibrato singt, wird ein Mast mit der amerikanischen Fahne wie ein Phallus durch das Loch getrieben – ein starkes Bild für die Konfrontation zweier völlig unterschiedlicher Welten und die gewaltsame Aneignung der einen durch die andere.

Traditionell gekleidet ist Cio-Cio-San beim ersten Auftritt mit ihren beschirmten Freundinnen zunächst nur zu hören, nicht zu sehen. Große räumliche Distanz prägt das Aufeinandertreffen mit Pinkerton. Immer wieder flüchtet sich diese durch die Heirat mit dem US-Leutnant von der Verwandtschaft Verstoßene an den Bühnenrand, ehe sie dann doch im zweiten Akt die amerikanische Flagge um den Körper schlingt und mit ihrem Sohn (Riku Seewald) auf die Rückkehr des Vaters hofft.

Licht und Projektion schaffen Plastizität

Bis zum Spielabbruch wird die Bühne immer wieder in unterschiedliches Licht getaucht und erhält dadurch Plastizität (Licht: Franck Evin, Video: Luke Halls). Auch die Weite setzt Regisseur Andreas Homoki, einst langjähriger Intendant der Komischen Oper Berlin, auf der 33 Meter breiten, 23 Meter hohen und 300 Tonnen schweren Bühne bewusst in der Personenführung ein.

Aber auf Dauer wiederholen sich die Bilder. Auch die Auf- und Abtritte der prächtig kostümierten Verwandten und der weiß gewandeten Ahnen sind ähnlich, die Inszenierung wird vorhersehbar. Statt Spektakel herrscht in guten Momenten kammerspielartige Fokussierung, in schlechten auch Monotonie. Die halbszenische Fortsetzung im Bregenzer Festspielhaus in Kostümen vor dem Orchester rettet den Abend zumindest musikalisch.

Flexibilität ist wichtig für Puccini

Enrique Mazzola führt die Wiener Symphoniker zu einem betörenden Streicherklang und zu einer Flexibilität, die für Puccini so wichtig ist. Da werden Melodielinien ausgekostet, da wird zusammen geatmet und gemeinsam zum nächsten Höhepunkt beschleunigt. Das Blech behält auch im Fortissimo seinen runden, ausbalancierten Klang. Nur mit den Holzbläsern gelingt die Koordination nicht immer perfekt.

Brian Mulligan verleiht mit seinem kantablen Bariton Konsul Sharpless Noblesse und Empathie. Annalisa Stroppa ist mit ihrem entspannten, perfekt geführten Alt als Dienerin Suzuki eine echte Stütze für die von allen verlassene Cio-Cio-San. Barno Ismatullaeva kostet alle Zwischentöne der großen Partie aus, verbindet mit ihrem perfekten Legato die nach innen gerichteten Passagen mit den emotionalen Ausbrüchen, die enorme Wucht haben, aber keine Schärfe – ein Glücksfall!

Nach Butterflys Selbstmord steht das auf Leinwand projizierte Bühnenbild digital in Flammen. Stehende Ovationen des Bregenzer Publikums. Andreas Homoki, der Intendanten des Zürcher Opernhauses, lässt sich nicht blicken. Dass er die Inszenierung nach fünfjähriger Vorbereitungszeit am Premierenabend nur zur Hälfte zeigen kann, ist bitter.

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