Festival Aix-en-Provence:Ja, es ist ein Tatort

Festival Aix-en-Provence: Es wird lange und akribisch gegraben, aber dann geht es Schlag auf Schlag: Gustav Mahlers "Auferstehungssymphonie", in Aix als Oper in Szene gesetzt.

Es wird lange und akribisch gegraben, aber dann geht es Schlag auf Schlag: Gustav Mahlers "Auferstehungssymphonie", in Aix als Oper in Szene gesetzt.

(Foto: Monika Rittershaus)

Beim Festival in Aix-en-Provence wird in der Opern-Adaption von Mahlers Auferstehungssymphonie nach Leichen gegraben - eine ungewöhnliche Theatermethode, aber eine mit großer suggestiver Kraft.

Von Helmut Mauró

Das Internationale Festival für lyrische Kunst in Aix-en-Provence kann man sich getrost als die französischen Salzburger Festspiele vorstellen, nur beschaulicher, menschlicher, weniger versnobt. Neben klassischen Konzertveranstaltungen geht es vor allem um Opernneuproduktionen. Gespielt wird im Innenhof der Erzdiözesanverwaltung, dem 2007 erbauten Grand Théâtre de Provence, neuerdings auch in einem schwarzen Betonkubus außerhalb der Stadt. Es ist die ehemalige Spielstätte des bankrotten Handballvereins. Dort wurden die diesjährigen Festspiele eröffnet.

Der genialische Theatermacher Romeo Castellucci inszenierte dafür etwas, das sich eigentlich nicht inszenieren lässt: Gustav Mahlers Zweite Symphonie, bekannt als "Auferstehungssymphonie" - entsprechend der Titel des Abends: "Résurrection". Die stellte Castellucci, ohne sie zu leugnen, radikal infrage. Während der Komponist Gustav Mahler die fromme Totenfeier für den Dirigentenkollegen Hans von Bülow vor Augen hatte, breitete Castellucci ein düsteres, immerwährendes Kriegsszenario aus, oder besser: was davon übrig bleibt. Das äußerlich Unspektakuläre, psychisch aber am weitreichendsten, das zwischen Krieg und Wiederauferstehung stattfindet. In diesem riesigen schwarzen, fensterlos-düsteren Betonraum mit seiner halsbrecherisch steilen Tribüne schaut man erst einmal ins Nichts.

Festival Aix-en-Provence: Oper in einer ehemaligen Handballhalle - ein riesiger schwarzer Betonraum.

Oper in einer ehemaligen Handballhalle - ein riesiger schwarzer Betonraum.

(Foto: Monika Rittershaus)

Auf dem Boden, flache Hügel aus erdigem Sand: Man erinnert sich an eine Carmen-Inszenierung von Peter Brook in den Bavaria-Filmstudios in München, die für die gesamte Oper mit noch viel weniger Sand auskam. Aber diesmal geht es um mehr. Vögel zwitschern, ein kleiner Schimmel trabt herein, schnüffelt im Sand, geht weiter, schnüffelt wieder, verharrt lange so. Man ahnt noch nicht, was das Pferd da gerochen hat. Ein dunkles Bratschen-Cello-Tremolo setzt ein, Menschen betreten die Szenerie, immer mehr, ziehen sich weiße Schutzanzüge über. Ja, es ist ein Tatort. Es wird lange und akribisch gegraben, aber dann geht es Schlag auf Schlag. Leichen werden aus der Erde geholt, auf weiße Leichensäcke gelegt. Bis der größte Teil der Bühnenfläche mit Leichen bedeckt ist.

Viel mehr passiert äußerlich nicht, aber das zäh sich dahinziehende Geschehen lässt einen nicht los, das in minimalen Schritten sich entwickelnde Tableau vivant entwickelt große suggestive Kraft. So sehr, dass nun die Musik, diese ungeheure Todessymphonie, die Optik untermalt, und nicht umgekehrt. Vielleicht funktioniert das auch nur so, wenn man etwas inszeniert, das diesen Mehrwert eigentlich nicht braucht: Dass sich die Regie die Musik unterordnet, um selber nicht überflüssig zu erscheinen. Für die Symphonie, die das Orchestre de Paris samt Chor, sowie den Sängerinnen Golda Schultz und Marianne Crebassa unter Leitung von Esa-Pekka Salonen im Rahmen der akustischen Besonderheiten effektvoll umsetzten, ist es eine Niederlage. Eine Einschränkung der Assoziationsfelder, eine Bevormundung der Deutungen und Empfindungen. Aber vielleicht nicht der Denkprozesse. Anders als etwa die Vertanzung von Bachs Matthäus-Passion geht es hier nicht um eine reine Bildästhetik, sondern um eine etwas hintergründigere, umso wirkungsvollere Theatermethode.

Herodes, der seine Stieftochter seit jeher sexuell begehrt, träumt sich diesen Tanz zurecht

Beeindruckender noch geriet die Neuinszenierung der auch nicht gerade heiteren Oper "Salome" von Richard Strauss nach dem damals indizierten Drama von Oscar Wilde. Regisseurin Andrea Breth hat sich der tragischen Heldin aus dem Neuen Testament mit Empathie und Scharfsinn zugewandt. Ingo Metzmacher dirigierte das Orchestre de Paris zügig durch die schwierige Partitur, das hervorragende Gesangsensemble überzeugte und begeisterte, allen voran Elsa Dreisig als stimmgewaltige Salome, Gábor Bretz als Jochanaan, Angela Denoke als Herodias, Joel Prieto als Narraboth und John Daszak als Herodes. Es sticht von Anfang an ins Auge, wie genau Breth die Sache nimmt. Wenn Salome unverhohlen dem eingekerkerten Propheten Jochanaan erklärt, "Ich bin in deinen Körper verliebt", so geht es im Folgenden genau darum, wie sie sich diesem nähert, wie nahe sie ihm kommt. Das ist sehr fein austariert und offenbart einen Ernst und eine Präzision in der Personenregie, die man nicht alle Tage in der Oper erlebt.

Und was den legendären Schleiertanz angeht, den erotischen Höhepunkt, den man stets mit sehr gemischten Gefühlen erwartet - denn kaum eine Sängerin will sich hierbei doubeln lassen - so fand Breth hier eine überzeugende Lösung: Herodes, der seine Stieftochter seit jeher sexuell begehrt, träumt sich diesen Tanz zurecht, und der Zuschauer sieht statt einer sich tanzend entschleiernden jungen Prinzessin nur ferne Frauen in fahlen Negligés durch düstere Bühnenlandschaft wandern. Oft subtil, manchmal sehr direkt sind Breths szenische Vorwegnahmen, eine Art Vorblenden. Der Prophet erscheint zur Tafel, indem sein Kopf durch eine Öffnung im Tisch ragt, als läge dieser schon auf dem Silbertablett, auf dem ihn Salome am Ende fordern wird. Mit ihrem Schleiertanz hatte sie Herodes dazu gebracht, ihren grausamen Wunsch zu erfüllen.

Festival Aix-en-Provence: Mit Empathie und Scharfsinn inszeniert: Richard Strauss' Salome, in Szene gesetzt von Andrea Breth

Mit Empathie und Scharfsinn inszeniert: Richard Strauss' Salome, in Szene gesetzt von Andrea Breth

(Foto: Bernd Uhlig)

Damit dies aber nicht nur ein drakonischer Racheakt einer zurückgewiesenen Frau bleibt, zeigt Breth, wie schon im Text von Wilde angelegt und auch in der Musik von Strauss nachvollziehbar, die Verzweiflung der Abgewiesenen, die einfach nicht versteht, wie der ungewaschene Zausel im Kerker ihrer libidinösen Power und womöglich der Option der Freiheit widerstehen kann. Am Ende ist diese schier unmenschliche totale Kapitulation vor sich selbst mit Händen zu greifen. Vom glänzenden Silbertablett des Triumphs bleibt nur eine blutverschmierte Zinkwanne, und statt im Prunksaal des Palastes kauert Salome in der schäbigen Schlachtküche. Ein bleibendes Bild des Unglücks. Man vergisst beinahe, dass es selbst verschuldet ist.

Wo die hochvirtuose historische Gesangskunst verschwunden ist, ist die ganze Oper verloren

Weniger erbaulich, ja wirklich langatmig zeigte sich Satoshi Miyagis statische Inszenierung von Wolfgang Amadé Mozarts erster großer Oper "Idomeneo", die, womöglich zu streng japanischer Theatertradition unterworfen, als misslungen betrachtet werden kann. Das wurde spätestens nach etwa eineinhalb Stunden, kurz vor Mitternacht bei dieser Open-Air-Veranstaltung klar, und man konnte sich entweder in einen sanften Schlaf, oder in die Flucht treiben lassen. Letzteres empfahl sich. Dieses Dramma per musica in barocker Seria-Tradition bildet musikalisch den Auftakt zu Mozarts Hauptwerken des Musiktheaters, das nach den bis heute erfolgreichen opere buffe ja wiederum mit einer seria endet. Raphaël Pichon und sein Ensemble "Pygmalion", die längst mit großartigen neuen Mozart-Umsetzungen aufgefallen sind, konnten diesen Abend leider nicht für sich entscheiden.

Festival Aix-en-Provence: Statisch: Satoshi Miyagis Inszenierung von Wolfgang Amadé Mozarts Oper "Idomeneo".

Statisch: Satoshi Miyagis Inszenierung von Wolfgang Amadé Mozarts Oper "Idomeneo".

(Foto: Jean-Louis Fernandez)

Ein mittelmäßiges Solistenensemble, das die - nun als viel zu lang empfundenen - Arien meist nicht nur geografisch bewegungslos mehr oder weniger überzeugend zelebrierte, meist weniger, legte die Problematik offen. Wo die hochvirtuose historische Gesangskunst verschwunden ist, ist auch gleich die ganze Oper verloren. Und wenn außer den zu kreiselnden kubistischen Schaukästen zusammengestellten Paravents nichts gestaltet ist, schon gar keine Personenregie, dann lässt sich auch eine steril artifizielle opera seria nicht sinnvoll darbieten. Schon gar nicht, wenn sie von Mozart kommt und durch die Kunst immer gleich das konkret Menschliche meint. Ein bisschen schade, denn gerade in Aix-en-Provence legt man seit Festivalgründung großen Wert auf Mozarts Opern.

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