Noch ehe der Dirigent seinen Taktstock erheben kann, verirrt sich eine Figur auf die Bühne, die es in dieser Oper gar nicht gibt – rot-gewandet wie eine Art Joker aus der Fantasywelt Hollywood. Regisseur Kirill Serebrennikov hat für seine Freischütz-Inszenierung an der Niederländischen Oper einen Conférencier kreiert. Und dass der sich hier verirrt hat, ist zutreffend, denn eigentlich, so gesteht er, habe er ja in das Musical Cats von einem gewissen Lloyd Webber gehen wollen, finde sich nun im Freischütz eines gewissen Weber wieder, aber egal, beide Stücke begännen mit einem C – das Musical im Titel, die Oper in der Musik, langsam anschwellend, bedrohlich wie ein Erdbeben: die Ouvertüre, die ja letztlich bereits die ganze Oper enthalte. Also filmt er nach Art eines Stummfilms die Handlung, während unter der Leitung des blutjungen, aber hochbegabten Patrick Hahn Webers Musik klangschön, lyrisch, wenn auch ein wenig in der Dramatik reduziert erklingt.

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Odin Lund Biron
© Bart Grietens

Damit hätte diese Aufführung eigentlich zu Ende sein können, denn es ist alles geschildert – in Ton und Bild: das Treiben der Landleute, die Furcht des Jägerburschen Max, beim Probeschuss auf dem Schützenfest, der ihm die Hand der von ihm geliebten Försterstochter Agathe einbringen soll, zu versagen, sein von seinem Kollegen Kaspar eingefädelter Pakt mit dem teuflischen Samiel und das Happy End.

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Der Freischütz
© Bart Grietens

Den „Rest“ – die einzelnen Musiknummern der Oper mit ihrer herrlichen Musik – lässt Serebrennikov danach gewissermaßen wie eine Revue abspulen. Als Rahmenhandlung dient ihm das Treiben eines Opernhauses während einer Opernprobe, einer sehr frühen, denn die Regieassistentinnen versuchen noch, mit dem Klemmbrett in der Hand die Sänger auf die richtigen Plätze zu bugsieren, die Solisten klagen über ihre Sorgen – die Sopranistin über die Angst vor der Zukunft, wenn die Stimme nachlässt und das Karriereende droht, ihre Kollegin über den ehrgeizigen Wunsch, an die Stelle der ersten Solistin treten zu wollen, der Tenor über die Furcht vor den hohen Tönen.

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Benjamin Bruns (Max) und Günther Groissböck (Kaspar)
© Bart Grietens

Serebrennikov hat mit diesem Freischütz letztlich eine Oper über die Oper und deren Betrieb auf die Bühne gebracht, immer wieder ironisch-sarkastisch kommentiert von „The Red One“, dem in Rot gekleideten Conférencier, der sich über Untugenden des modernen Opernbetriebs auslässt, darüber, dass es inzwischen einerlei sei, welche Kostüme die Sänger in ihren Rollen trügen, dass Agathe und Ännchen letztlich eine psychologisch in zwei Teile aufgespaltene Figur sein, deren Namen ja auch beide mit A anfingen, und dass die Gesellschaft dieser Oper von Männern dominiert sei, insgesamt neun an der Zahl, die meisten davon Baritone. Doch szenisch richtig ausgeführt wird das alles nicht, es bleibt bloße Andeutung.

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Ying Fang (Ännchen) und Odin Lund Biron
© Bart Grietens

Das alles ist witzig, manchmal skurril, wird von dem Schauspieler Odin Lund Biron auf englisch brillant dargeboten und enthebt Serebrennikov der Pflicht, die im Originallibretto doch reichlich hölzern biedermeierlich ausgefallenen Dialoge artikulieren zu lassen. Die Oper freilich wird auf eine Nummernfolge reduziert. Das entspricht zwar durchaus dem formalen Charakter diese Oper, doch da Serebrennikov weitgehend darauf verzichtet, sie mimisch zu unterfüttern, wirkt das Ganze klischeehaft steif wie nicht einmal bei der ersten Stellprobe an einem Opernhaus von heute. Selbst bei der Szene in der Wolfsschlucht, in der die magischen Gewehrkugeln gegossen werden und der Chor schaurig durch den Raum heult, ist ihm szenisch nicht mehr eingefallen, als das Inspizientenpult, das die ganze Zeit über am Bühnenrand platziert ist, in die Mitte zu rücken und grell zu beleuchten, derweil die Geisterchöre lediglich als Bildstörung auf einem Monitor visualisiert werden.

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Benjamin Bruns (Max) und Günther Groissböck (Kaspar)
© Bart Grietens

Der Vorzug dieser Präsentation: Die Musik steht, wenn sie zwischen den Anmerkungen des Conférenciers ertönt, im Mittelpunkt, nichts lenkt von ihr ab, und sie ist, so wie sie von den Sängerinnen und Sängern dargeboten wird, allein bereits den Besuch der Aufführung wert. Benjamin Bruns lotet die Versagensängste von Max mit tenoralem Glanz und großer Intensität aus. So stimmgewaltig, wie Günther Groissböck als Kaspar auf den Triumph seiner Rache schwört, möchte man ihm schon aufgrund der sängerischen Leistung Erfolg dabei wünschen. Johanni van Oostrums warmer und zugleich dramatischer Sopran passt ideal zu der ein wenig zur Hysterie neigenden Agathe, und Ying Fang, die als Ännchen in dieser Inszenierung ja gern einmal die erste Solistin wäre, hätte mit ihrer Mischung aus leichtem und zugleich lyrischem Sopran durchaus das Zeug dazu.

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Johanni van Oostrum (Agathe)
© Bart Grietens

Das Düster-Dramatische dieser Oper freilich, der Gegensatz von Gut und Böse, von Nervosität und Gelassenheit, von Angst und Zuversicht, das in dieser Musik abgehandelt wird, fehlt, und der zugegeben ein wenig nach deus ex machina klingende Schluss bei Weber ist hier mit einer Bühnenpanne wegerklärt nach Art eines Fernsehkrimis. Serebrennikov hat die Klippen des Volkstümelnden, Biedermeierlichen virtuos umschifft, doch ist dabei auch Webers Freischütz auf der Strecke geblieben, zumindest szenisch. Das Resultat ist eine witzige Opernshow mit herrlicher Musik.

Die Vorstellung wurde vom Stream der Dutch National Opera auf OperaVision rezensiert.

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