Statt des mythologischen Griechenlands gibt es Seventies-Clubfeeling.

Foto: Nikola Milatovic

Hallo, Graz! Die Annenstraße empfängt mit Ostblockcharme, bunter Population und interessanten Etablissements, in die man sich aber nicht hineintraut. Vor dem Frankowitsch, drüben über der Mur, wird am Samstagmittag natürlich schon lautstark gebechert. In den Gassen der Stadt ist es so schwül wie in einer Duschkabine. Das ist im Park von Schloss Eggenberg etwas besser. Der grüne Rasen ist hier den Pfauen vorbehalten. Im Schatten riesiger Bäume tröten sie einander klagende Laute zu.

Im Arkadenhof des prachtvollen Schlosses hat ein mediterraner Club geöffnet (Ausstattung: Lilli Hartmann). Ein Barmann bringt lautstark Gratis-Ouzo unter das Premierenpublikum der Styriarte. Man gibt Ausschnitte der Oper La Corona d’Arianna (1726) des steirischen Bauernbubs und Barockgiganten Johann Joseph Fux. Die Handlung des seinerzeitigen Geburtstagsgeschenks von Kaiser Karl VI. an seine Gattin Elisabeth Christine hat Regisseur Adrian Schvarzstein vom mythologischen Griechenland in jenes der 1970er-Jahre verlegt. Die Frauen tragen wagemutige Turmfrisuren, die Herren Koteletten so lang wie Flugzeuglandebahnen. Saturday Night Fever auf Naxos!

Swingende Klagen

Der Handlungsfaden ist kurz und ausgedünnt: Venus, hier eine Art Parship-Patronin, versucht die von Theseus betrogene Ariadne mit dem tollen Hecht Bacchus zusammenzubringen sowie seinen Freund Peleus mit der schönen Thetis. Es gelingt ihr ziemlich schnell. Auch auf musikalischem Gebiet geht’s zack, zack: Chöre, Arien und Rezitative ziehen wie im Schnelldurchlauf vorbei. Die Akustik im Innenhof des Schlosses ist phänomenal.

Das vor den Sängern platzierte Zefiro-Barockorchester unter Dirigent Alfredo Bernardini klingt präzise und intensiv.Auf schmissige Fanfareneuphorie folgen swingende Klagen. Aus der Continuogruppe sticht Cellist Marcus van den Munckhof heraus. Den Solisten gelingt eine homogene Leistung, bemerkenswert der Alt von Marianne Beate Kielland als Thetis: gedeckt und edel glänzend wie Mahagoni. Carlotta Colombo (Arianna), Monica Piccinini (Venus), Rafał Tomkiewicz (Bacchus) und Meili Li (Peleus) singen manchmal im Duett mit zwitschernden Vögeln oder matchen sich mit Sportflugzeugen, die über das Schloss brummen.

Geknutschtes Orchester

Der Arnold Schönberg Chor hat auch in der stark gekürzten Fassung der Oper als Grazien, Amoretten, Tritonen, Neriden, Nymphen und Hirten (hier: als Club-Crowd) feste zu singen, und er macht das facettenreich, gefühlvoll und schön.

Nach 75 Minuten hat all das Getriebe ein Ende, mit Helge-Schneider-Perücke und gelb-schwarzem Streifenanzug feiert und knutscht Bernardini sein Orchester lässig ab. Das grüßt mit dem Victory-Zeichen ins Publikum, welches sich in hellem Begeisterungstaumel befindet. Was war das jetzt: ein Happening? Villacher Fasching in Graz? Und was würde Elisabeth Christine dazu sagen? Die Pfauen im Schlosspark schweigen sich auf jeden Fall vornehm aus. (Stefan Ender, 27.6.2022)