Erfrischender Richard Strauss in Sofia

Xl_c841df3b-f948-47ba-9835-ec709d26d545 © Setoslav Nikolov

ARIADNE AUF NAXOS –  Oper Sofia Neuinszenierung am 14. Mai 2022

Erfrischender Richard Strauss in Sofia

Die Sofia Opera and Ballet kam Ende April mit einer Neuinszenierung der „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss in der Inszenierung der bulgarischen Regisseurin Vera Nemirova heraus. Unter der musikalischen Leitung von Evan-Alexis Christ, der sich hier immer mehr im deutschen Fach profiliert, war eine erfrischende, ideenreiche Version der „Ariadne“ zu sehen und zu hören, die zudem staunen ließ, wie die bulgarischen Sänger des Sofioter Ensembles mit den semantischen Feinheiten und dem Witz des deutschen Librettos von Hugo von Hofmannsthal zurechtkamen. Das wirkte alles und zu jeder Zeit authentisch und bestens geprobt, gerade auch mit Hilfe von Anna Tomowa-Sintow (per Video-Zuschaltung), eine große bulgarische Ariadne ihrer Zeit, bei der Rollen-Einstudierung. Ihr war diese „Ariadne“ auch zum 80. Geburtstag gewidmet.

Das Vorspiel wird aufgrund der ausgezeichneten Personenregie, in der jeder Handgriff saß, äußerst kurzweilig, unterhaltsam, und regt auch immer wieder um Schmunzeln an, wobei Nemirova der aufkeimenden Liebesbeziehung zwischen Zerbinetta und dem Komponisten feinfühlige Momente des Innehaltens wie eine Oase im allgemeinen Chaos gewährt. Es geht gleich einmal damit los, dass die Sänger allesamt von der Bahn oder vom Flughafen eintreffen mit ihren Trolleys in ganz normaler Alltagskleidung und sich in einem 22-Fuß-Container von Jens Kilian zum Umziehen und in die Maske zurückziehen, bzw. dort hinein bugsiert werden müssen. Davor finden dann auch die Auseinandersetzungen über die vermeintlichen und tatsächlichen Unzulänglichkeiten statt, wie der Kampf zwischen Tenor und Sopran über die Kürzung ihrer jeweiligen Rollen. Die finale Ankündigung des Haushofmeisters, dass beide Stücke parallel aufgeführt werden müssen, ohne länger zu dauern, schlägt in der Tat wie eine Bombe ein!

Die Kostüme von Pavlina Eusterhus sind ebenso farbenfroh, unkonventionell wie aktuell und passen perfekt zu dieser Dramaturgie. Am Ende fällt der Container wirkungsvoll auseinander, um die Spielfläche für die Oper freizugeben. In der Oper selbst sehen wir dann den für Wien nicht unbedingt typischen „reichen Mann“ mit seiner Entourage als absolute Kunstbanausen vor einem kitschigen Venedig-Bild dinieren. Ohne jede Beachtung des Beginns der Oper redet er, Zigarre rauchend, mit den Tischgenossen und motiviert seine zumindest optisch reizvolle Freundin, einen kleinen Tischtanz zu vollführen. Die Dollarnoten fliegen zu ihren Waden. Kaum hat das Stück an Fahrt aufgenommen, ruft das Handy des Haushofmeisters den Herrn zum Geschäft.

Nur einer bleibt zurück, und die Truppe taucht dann nur noch einmal zu Zerbinettas Arie in einer Proszeniumsloge auf, wohl wegen der schönen Beine der auch ebenso schön singenden Stanislava Momekova (Der Pariser Jockey-Club aus Richard Wagners Zeiten zum „Tannhäuser“ könnte grüßen lassen…). Ihre so herausfordernde Arie „Großmächtige Prinzessin…“ singt sie nicht nur mit einer stimmlichen Intensität und Höhensicherheit, die Staunen machen, sondern auch mit einer emotional facettenreichen Mimik und Darstellung ganz allgemein. Das kann die Momekova auch in Westeuropa überall singen! Starker Szenenapplaus und zu Recht viele Brava – und nicht nur aus der Proszeniumsloge! Am Schluss zieht der „reiche Mann“ mit seiner Entourage gehetzt vorbei, und der Haushofmeister wirft, fast widerwillig, einen Packen Geldnoten als Honorar auf den Boden. Noch abschätziger kann man wohl mit Kunst und ihrem Wert kaum umgehen…

Lilia Kehayova ist ein von Beginn an kräftig artikulierender und angesichts der Entwicklungen überaus echauffierter Komponist mit bisweilen schon zu schwerer Elektra-Stimme. Gabriela Georgieva spielt eine klangvoll singende und lange depressiv agierende Ariadne. Martin Iliev, immerhin in Sofia Siegmund und Siegfried vom Dienst, gibt einen sich langsam auf Ariadne einstellenden Bacchus. So recht passt das Paar optisch aber nicht zusammen. Starken stimmlichen Eindruck bei einer besonders phantasievollen Choreographie machen die Naïade der Lyubov Metodieva, die Dryade der Vesela Yaneva und das Echo der Silvia Teneva. Da sind auch lesbische Regungen erkennbar, mit implizitem Hinweis auf die griechische Insel Lesbos, die freilich heute aus ganz anderen Gründen Schlagzeilen macht…

Man gewahrte die Regie-Pranke der Nemirova immer wieder! Alle Nebenrollen sind ebenfalls bestens besetzt und hervorragend geführt. Nikolay Pavlov verkörpert einen respektvollen Haushofmeister, der auf Bulgarisch kommuniziert, wie auch alle anderen, die gesprochene Texte haben. Der exzellente bulgarische Bariton Atanas Mladenov (sonst als Amfortas, Orest, Gunther und in anderen größeren Rollen unterwegs) muss sich hier mit der relativ kleinen Rolle des Musiklehrers begnügen, die er natürlich bestens und mit viel subtilem Witz interpretiert. Krasimir Dinev gibt den Tanzmeister ungewöhnlich engagiert und gestalterisch einfallsreich.

Ganz hervorragend ist das Zerbinetta begleitende Quartett, bestehend aus dem mit großem Einfallsreichtum (bis zu einer entbehrlichen „Trockenbegattung“ auf dem Flügel hinter einigen Pflanzen…) Zerbinetta verfolgenden Iliya Iliev als Harlekin, dem stimmstarken Tenor Daniel Ostretsov als Scaramuccio, dem bassgewaltigen Biser Georgiev als Truffaldin und Reynaldo Droz als Brighella. Angel Antonov als Offizier, Svetozar Rangelov als Perückenmacher und Nikolay Voynov als Lakai vervollständigen das große „Ariadne“-Ensemble, das einmal mehr bewies, welche Fülle die Sofia Oper an guten Sängern hat und wie viele von ihnen mittlerweile auch das deutsche Fach singen.

Es ist dabei hervorzugeben, dass der Generaldirektor der Sofia Opera, Plamen Kartaloff, eine komplette Zweitbestzung bereithält, bei Zerbinetta und Ariadne sogar eine Dreifachbesetzung, die am Abend darauf zum Einsatz kommen sollte. Evan-Alexis Christ, der mit dieser „Ariadne“ mittlerweile schon sein zweites Richard Strauss-Oeuvre in Sofia musikalisch ins Leben rief, nach der erfolgreichen „Elektra“ im November 2021, konnte mit dem Orchester der Sofia Opera alle Feinheiten, insbesondere auch die vielen humoristischen im Vorspiel, sowie die emotionalen Ausbrüche realisieren. Er sorgte mit exaktem Schlag nicht nur für perfekte Einsätze der Musiker sondern durch gute Sängerorientierung auch bei den Akteuren auf der Bühne. Man konnte lebhaften Teamgeist feststellen. Christ legte viel Wert auf interpretatorische Details und führte das gut präparierte Orchester im Finale der Oper schließlich in fast musikdramatische Höhen. Absolut sehens- und hörenswert!

Nun hat Sofia schon zwei gute R. Strauss-Inszenierungen von internationalem Format. Ob „Die Frau ohne Schatten“ folgt, wie man gelegentlich hören kann?!

Klaus Billand

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