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„Meistersinger“ in Berlin: Es muss nicht immer zum Schlimmsten kommen

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Nachts in Nürnberg: Beckmesser und Sachs (r., der Schuster wie zumeist barfuß) belauern sich am Flügel. Der Mob schläft noch. Foto: Thomas Aurin
Nachts in Nürnberg: Beckmesser und Sachs (r., der Schuster wie zumeist barfuß) belauern sich am Flügel. Der Mob schläft noch. Foto: Thomas Aurin © Copyright Thomas Aurin

„Die Meistersinger von Nürnberg“ in der Deutschen Oper Berlin kommen verhältnismäßig unverdrossen daher.

Eine Lässigkeit liegt über den neuen Berliner „Meistersingern von Nürnberg“. In einem eindrücklichen Moment wird man einmal einen Kleiderständer aus dem Fundus des merkwürdigen Ortes sehen, an den Regisseur Jossi Wieler, Bühnenbildnerin Anna Viebrock und Dramaturg Sergio Morabito – hier direkt als Regietrio annonciert, was der innigen Zusammenarbeit nahe kommen dürfte – die Handlung verlegt haben. Ein Mantel hängt mit auf der Stange und hat, man sieht es kaum, etwas am Ärmel, das man doch für ein Hakenkreuz halten muss.

Das ist so ein Augenblick, in dem man sich vorstellt, wie im unerträglich deutschtümelnden Schlusstableau Richard Wagners doch wieder der NS-Terror durchbrechen wird. Aber so kommt es nicht. Als sich Hans Sachs – Johan Reuter verfinstert sein Gesicht und setzt neu an, ein Bruch ist das schon – wie aus dem Nichts gegen den „welschen Tand“ wendet, tut er das zwar nach Art der Populisten, krempelt die Ärmel hoch, lässt sich von der euphorisierten Menschenmenge auf Händen tragen und die Meister als dürftiges Lehrerkollegium dumm dastehen. Aber es bleibt eine offene Szene, und es bleibt zivil. Keine arglose Inszenierung, aber doch eine, die nicht vom Schlimmsten ausgeht.

Und eine, die vor allem mit den Massenszenen fantasievoll und eigen fertig wird. Die Innungen beim Festzug sind wunderlich und einsam hereinwehende Menschengrüppchen: gespenstisch die Schatten, die sie werfen, verrückt der Tanz, den sie gegen einen Innenraumsturm aufführen. Schlenkern die einen ganz planlos umher, bilden die anderen eine bizarre Polonaise. Ein starkes, leichtherziges Bild für eine fröhlich pompöse, aber auch beunruhigende Desorientierung.

Vor Wagners Humor kann es einem meistens, so auch in der Deutschen Oper Berlin, grausen. Aber das Derbe und Butzenscheibengemütliche wird hier gedrosselt zugunsten einer modernen Gutmütigkeit, für die Hans Sachs steht, ein Mann mit Ringelschal, der als Schuster ironischerweise bunte Gummischuhe unters Volk bringt – er selbst geht am liebsten barfuß –, und als Meistersinger offenbar Schlagzeug unterrichtet.

Die Szene insgesamt ist in eine Musikhochschule verlegt, aus der es kein Entrinnen gibt. Der Hauptberuf der Meister ist der Gesang, nicht das Handwerk. Atemtechniken spielen eine Rolle, und Anna Viebrock teilt via Programmheft mit, dass der hohe holzvertäfelte Saal zur Münchner Musikhochschule gehört, untergebracht im ehemaligen „Führerbau“. Ob das Unbehagen, das sich angesichts des Bühnenbildes einstellt, wirklich damit zusammenhängt oder damit, dass die Schulaura so spürbar ist?

Markant allemal, dass die Gesamtsituation – auch dank eines fulminant spielenden Chores nebst vorzüglicher Statisterie – die Personenführung im einzelnen doch hinter sich lässt. Sind die Meistersinger als sanfte Parodie einer bundesrepublikanischen Vergangenheit zu verstehen und spannend genug, sind Eva und Stolzing ein doch recht unauffälliges, wenngleich verknalltes junges Paar (aber welches junge Paar ist das nicht). Eva eine ernste Neigung zu Hans Sachs mitzugeben, liegt nahe, die explizite Sexszene weniger. Dass er sie, die Tochter des Kollegen, schließlich entschlossen von sich stößt, was sie schier zur Verzweiflung bringt, passt schlecht zu ihrem netten und nicht in Frage gestellten Glück an Stolzings Seite. Zwiespältig, wenn auch unterhaltsamer ebenso Lehrjunge Davids Verhältnis zu Magdalena. Der Mut zur Uneindeutigkeit läuft auf einer Opernbühne Gefahr, beliebig zu wirken, so auch hier.

Dass Beckmesser indes einer von vielen ist, erscheint eine plausible Variante. In Berlin hat Philipp Jekal fürs nächtliche Ständchen im 2. Akt den Flügel dabei und ist kein übler Kerl (ganz am Ende: ein Verrückter). Die Massenschlägerei ist flau. Und dass Günther Groissböck den Nachtwächter vom Band singt, zwar besser als nicht (jeden Ton von Groissböck hört man gerne, selbst wenn es in der besuchten Aufführung eingangs knisterte), aber halbgar. Mag sich jedenfalls das Volk über Beckmessers Ständchen lustig machen, die jungen Leute tanzen dazu ab. Beckmessers Lied, im Grunde ein Ohrwurm und Riesenhit.

Stolzings „selige Morgentraumdeut-Weise“ wird dafür von Klaus Florian Vogt gesungen, dem dieser Kraftakt an Zartheit erneut und in der von Wagner verlangten Ausgiebigkeit gelingt wie sonst kaum einem. Als Figur bleibt er aber unscheinbar an diesem Abend, wie auch seine geliebte Eva, Heidi Stober, die dazu einen standfesten und doch lyrischen Sopran bietet.

Reuter als Sachs versteht es, seine Kräfte einzuteilen, bietet eine sehr überzeugende Gesamtleistung und ist ein souveräner Typ. Während er Stolzing das Lied aus der Nase zieht und obwohl man diese Szene schon so oft gesehen hat, erfreut er als geschickter Pädagoge. Auch seinen David, Ya-Chung Huang, belehrt er unorthodox. Mögen die anderen das Atmen üben, er lässt seinen Schüler auf einem Bein singen. Funktioniert.

Das Orchester blüht und schmettert, das Blech macht sein Tätärä am Ende auch auf der Bühne, der Chor (unter Jeremy Bines) sorgt auch von den Rängen aus für Rundumbeschallung. Dirigent Markus Stenz, spät für den erkrankten Donald Runnicles in die Produktion gekommen, sucht einen nuancierten Klang. Es klingt underb und beweglich wie der Abend insgesamt.

Deutsche Oper Berlin: 26., 29. Juni, 2., 9. Juli. deutscheoperberlin.de

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