„Turandot“ in Berlin :
Im Reich des Henkers Pu-Tin-Pao

Von Clemens Haustein
Lesezeit: 4 Min.
Ein Volk – der Staatsopernchor – hängt an den Strippen von Prinzessin Turandot.
Philipp Stölzl inszeniert in Berlin Puccinis „Turandot“ als Gleichnis einer Diktatur. Zubin Mehta macht als Dirigent ein musikalisches Wunder daraus.

Man hätte Anna Netrebko gern gesehen in dieser Inszenierung. Sie wäre dann in einem Stück aufgetreten, in dem auf der Bühne gefoltert und gemordet wird, in dem das Volk eines autoritären Staates sich mit dem Besuch von Hinrichtungen unterhält; wo der Henker den Namen Pu-Tin-Pao trägt und die Staatsbeamten singen: „Wie tief sind wir gefallen als Handlanger eines Henkers“; wo ein vor Jahrhunderten erzeugtes Trauma ein Volk bis ins Jetzt belastet und wo eine imperiale Macht kurz vor ihrem Ende steht und schließlich besiegt wird – und das ist nun fast ein bisschen zu schön, um wahr zu sein – von der Liebe. Anna Netrebko hätte eigentlich auftreten sollen in der neuen „Turandot“-Inszenierung der Berliner Staatsoper Unter den Linden als Stargast für die letzte Opernpremiere der Saison mit Open-Air-Übertragung auf den Bebelplatz nebenan. Doch Russland überfiel die Ukraine, und die Opernhäuser forderten von der Sängerin eine klare Distanzierung, auch die Berliner Staatsoper. Netrebko konnte oder wollte sie nicht geben und zog sich im März von ihrem Engagement zurück.

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