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MüPa Budapest. Foto: Gábor Kotschy
MüPa Budapest. Foto: Gábor Kotschy
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Bayreuther Besetzungen 2022 in Budapest: „Der Ring des Nibelungen“ perfekt

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Seit 2007 gibt es im Müpa Budapest Wagner-Tage mit exzeptionellen internationalen Besetzungen und regionalen Aufsteigern in halbszenischen Aufführungen. Zur „Ring-„Besetzung vom 9. bis 12. Juni gehörten jene beiden Sänger, die nach der Absage von John Lundgren die Partie des Wotan/Wanderer in der neuen „Ring“-Inszenierung von Valentin Schwarz bei den Bayreuther Festspielen 2022 übernehmen werden: Tomasz Konieczny und Egils Siliņš. – Einer der ältesten Richard-Wagner-Verbände feiert dort im Herbst sein 150-jähriges Jubiläum. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie man sich in Budapest dem Werk des deutschen Musikdramatikers verbunden fühlt.

Während Opernhäuser in Berlin, Dortmund, Zürich und andere derzeit mit „Ring“-Neuproduktionen konkurrieren, gab es für die beiden je an vier aufeinanderfolgenden Tagen stattfindenden Zyklen im Musikpalast Budapest eine nur partielle Erneuerung. Seit der Premiere von Hartmut Schörghofers halbszenischer und für ihre digitalen Effekte gerühmten Produktion von „Der Ring des Nibelungen“ (2007/08) waren Video und Trickanimationen für das internationale Opernpublikum überall vom exklusiven zum vertrauten Vergnügen geworden.

Während Schörghofer und sein Team nach den durch die Pandemie erzwungene Pause das visuelle Set behutsam bearbeiteten, bleibt das szenische Verfahren unberührt. Sänger*innen agieren in schwarzer Konzertkleidung, szenische Reizmomente wie Mord und Liebestaumel bleiben angedeutet. Kein Tarnhelm, keine Trinkschalen, keine magischen Äpfel. So entstehen Freiräume für Assoziationen und Wagners Mythenspiel wirkt zeitlos mit heutigen Mitteln. Ein visuelles Verfalldatum ist erst dann in Sicht, wenn diese Bilder wie die eines digitalen Games dem Wandel vom Trend zur Nostalgie vollziehen: Die Berg-, Raum- und Luftfahrten mit virtuellen Wetterbewegungen, die Frauen unter Wasser, der projizierte rote Vorhang und die nur ganz selten genutzten Türen zwischen den Welten der Götter, Naturwesen und Menschen behalten ihre abstrahierende und klare Wirkung. Noch immer ist die Synthese von Trickprojektionen mit den Bewegungen physischer Tänzer*innen in korrekter Proportion: Gábor Vidas kantig-virtuose Choreographie drängt sich nicht in den Vordergrund und biedert sich nicht an. Die den Sängern in diesem Ambiente mögliche Körperlichkeit trägt zur Gelöstheit des Singens und höheren Leistungsfähigkeit bei. Damit gehören die Wagner-Tage Budapest zu den Wagner-Festspielen der entspannten Art mit dramaturgisch plausibler Erschließung. Es geht um die Gültigkeit des Mythos, nicht um die Spiegelung von schnell an Aktualität verlierenden Tagesereignissen. Der künstlerische und Bayreuth-erfahrene Leiter Ádám Fischer perfektioniert am Pult einen Klang, wie er nur in der spezifischen und exzeptionellen Akustik des Müpa möglich ist. Von entfernten Positionen klingen Sängerstimmen darin so präsent wie vom Podium vorne. Die orchestrale Transparenz bei gleichzeitig reichem Resonanz- und Obertonspektrum ist faszinierend.

Ein Zufall brachte dem ersten Budapester Zyklus vom 9. bis 12. Juni großes Interesse und bestätigt die langfristige Umsicht des Festivalteams: Zur Besetzung gehörten jene beiden Sänger, die nach der Absage von John Lundgren die Partie des Wotan/Wanderer in der neuen „Ring“-Inszenierung von Valentin Schwarz ab Ende Juli bei den Bayreuther Festspielen übernehmen werden: Tomasz Konieczny und Egils Siliņš. Letzterer als Wanderer in „Siegfried“ zeigte ein vielleicht etwas zu großes Vertrauen in Fischers Gestaltung. Siliņš gleitet ohne allzu viel Nachdruck durch die Rätselszene mit Mime, was Cornel Freys virtuos gezacktes Charakterisieren noch mehr fokussierte. Gegenüber den markanten und auch in mittleren Dynamikbereichen gefährlichen Alberich von Jochen Schmeckenbecher übernimmt Siliņš die Position des schmallippigen Taktierers. Er mobilisiert gegenüber Nadine Weissmanns nachdrücklicher Erda Führungsansprüche und überlässt dem in beiden Siegfried-Partien überragenden Stefan Vinke ohne Widerstand das Aktonsfeld. Siliņš ist also ein gelassener und damit mehr resignativer als tieftrauriger Gott. Zum Wanderer passt die perfekt gestaltete Schattenhaftigkeit gut, kontrastiert allerdings stark zur massiven Präsenz seines Komplementärs Tomasz Konieczny. Dieser setzt ein äußerst scharfes Gegengewicht zu Siliņš: Koniecznys Wotan hat die Spannkraft eines schweren Alpha-Tiers – raumfüllend und charismatisch. Aber auch extrovertiert und toxisch bis an die Grenze der künstlerisch legitimen Reißleine. So wird plausibel, warum Atala Schöck als Göttergattin Fricka eine das Neckische streifende Koketterie einsetzen muss, während die in der „Walküre“ als Brünnhilde für Irene Theorin eingesprungene Alison Oakes in der großen Wotan-Erzählung und für die große Auseinandersetzung am Walkürenfelsen alle strahlend stählernen Reserven mobilisiert. Konieczny behält gegen sie einen nur ganz knappen Vokalvorsprung. Die pointierte Diktion und unerschöpflich-unerbittliche Energie machen den in eigenen Machtstrategien verstrickten Wotan keineswegs unsympathisch. Eine Stimme aus Dynamit und Testosteron.

Dabei bietet die Akustik des Müpa das Gegenteil des magischen Abgrunds in Bayreuth. Das Ungarische Radiosymphonieorchester leuchtet mit Transparenz, Schönheit und Fülle. Fischer evoziert instrumentale Pracht und Magie, gerade weil er das Beste für alle Sänger will und nicht nur für ein beseeltes Kraftpaket wie Catherine Foster, welche nach ihrem Auftritt in „Siegfried“ für Iréne Theorin die „Götterdämmerung“-Brünnhilde übernahm und zu Recht die Jubelsturm-Flächenbrände entfachte. Stimmige wie imponierende Überraschungen brachten die jugendlich-dramatischen Partien: Karine Babajanyans souveränes Debüt als Sieglinde, Polina Pasztircsák als Gutrune, Lilla Horti als Freia. Fischer bevorzugt für leichteren Wagner-Partien offenbar italienisch profilierte Stimmen, was neben packenden Individualisten wie Christian Franz (Loge) und Albert Dohmen (Hagen) ausgezeichnet funktioniert. In den tieferen Lagen beeindruckten Károly Szemerédy als Gunther und Sorin Coliban als Hunding und Fasolt, Daniel Brenna gab einen melodisch akzentuierten Siegmund.

Die Applausstärke des begeisterungsfähigen Budapester Publikums feierte Rekorde, die trotzdem unter Fischers Dynamikgraden in der Trauermusik oder im zweiten Walküre-Aufzug blieben. Es gehörte mit zum Beeindruckendsten der vier Abende, wie sogar ein Fortissimo-Donner melodisch zu glühen vermag und Sängerstimmen in langen Extrempartien wie Siegfried, Wotan und Brünnhilde nie an Grenzen geraten. An nichts wurde gespart – nicht einmal am Goldklang der sechs Harfen im „Rheingold“-Finale aus dem oberen Rang über dem Orchester.

Besuchte Vorstellung: Müpa Budapest – Wagner Days Budapest 2022 – Der Ring des Nibelungen: 09.06. Das Rheingold – 10.06. Die Walküre – 11.06. Siegfried – 12.06. Götterdämmerung – Ungarisches Radiosymphonieorchester, Musikalische und künstlerische Leitung: Ádám Fischer


  • Der Autor besuchte die Wagner-Tage im MüPa Budapest auf Einladung der Veranstalter.

 

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