Christine Goerke „trifft noch einmal“: Überragende Europa-Rückkehr als neue Pariser Elektra

Opera National de Paris/ELEKTRA/ Foto @ Emilie Brouchon

Die amerikanische Sopranistin Christine Goerke gilt derzeit als eine der aufregendsten Sängerinnen für das hochdramatische Fach der Wagner- und Strauss-Partien überhaupt. Als Brünnhilde oder Elektra singt sie in einer ganz eigenen Liga, in die es kaum eine andere Sängerin weltweit schafft. Spätestens seit ihrer Verkörperung der Färberin an der Metropolitan Opera im Jahr 2013 wird sie in den USA als absoluter Star der Opernszene gefeiert. Hingegen in Europa, insbesondere in Deutschland, ist sie bis heute erstaunlicherweise wenig in Erscheinung getreten. Lediglich im letzten Herbst ist sie für ein „Best of Wagner“-Konzert mit dem Bayreuther Festspielorchester für u. A. Brünnhildes Schlussgesang durch die Republik getourt. Eine vollständig inszenierte Opernaufführung hat sie hierzulande schon lange nicht mehr gesungen. Und auch im benachbarten europäischen Ausland sind ihre Auftritte rar gesät. Lediglich dem Dirigenten Semyon Bychkov gelang es wohl, mit ihr eine fruchtbare und fortwährende Zusammenarbeit in der Oper zu etablieren. Unter seiner musikalischen Leitung kehrte Goerke in der Titelrolle von Richard Strauss‘ „Elektra“ nun endlich wieder zurück nach Europa. Beide triumphierten in dem 100-minütigen Schocker zuletzt an der Wiener Staatsoper und verwandelten dort die letzte Wiederaufnahme der Laufenberg-Inszenierung zur absoluten Sternstunde. Einige Jahre zuvor arbeiteten sie schon in konzertanter Opernaufführung der „Elektra“ zusammen, damals mit dem BBC Symphony Orchestra bei den „Proms“ in London. (Rezension der Vorstellung v. 22.05.2022)

 

Die weite Bühne der Opéra national de Paris, der Bastille, war auch diesmal wie gemacht für Christine Goerkes eindringlichen Sopran. Sie überzeugte mit großem stimmlichen Volumen in einer gefestigten Mittellage, welche ihr die notwendige Durchschlagskraft gab. Dabei erreichte ihre Stimme eine Höhe, die selbst in den stärksten dramatischen Ausbrüchen noch sicher und klar klang. In Verbindung mit sinnlich-berührenden Klangfarben und ihrer sauberen Artikulation wurde ihr Rollenporträt der „Elektra“ auch in Paris zum absoluten Ausnahmeereignis!

Semyon Bychkov bewegte am Pult des L’Orchestre de l’Opéra national de Paris gewaltige Klangmassen in kraftvoller Intensität. Er schichtete die einzelnen Akkorde in ruhigen, entspannten Tempi übereinander, ohne dass er die einzelnen Stimmgruppen des Orchesters auseinanderzog oder zu erkennen gab. So entstand durch Bychkov ein einheitlicher Sog, gleich einer Symphonie, der das Publikum überwältigte und sich in den donnernden Schlussakkorden krachend entlud.

Opera National de Paris/ELEKTRA/ Foto @ Emilie Brouchon

Mit Elza van den Heever stand Christine Goerke als kleine Schwester Chrysothemis eine stimmlich ebenbürtige, zugleich vollkommen anders klingende Sopranistin zu Seite. Van den Heever brillierte mit leuchtendem, vor Wärme und Intensität geradezu strahlend glühendem Sopran. Sie formte die Töne dabei in vollkommener Natürlichkeit, ohne jeglichen Druck oder hörbarer Anstrengung. Van den Heever erarbeitet sich derzeit die großen weiblichen Strauss-Partien, erst vor zwei Jahren wurde ihre Kaiserin aus der „Frau ohne Schatten“ in konzertanter Form zur Sensation. Diese Rolle wird sie bei den Osterfestspielen 2023 mit den Berliner Philharmonikern nun auch endlich szenisch verkörpern. Es ist schon jetzt abzusehen, dass Van den Heever spätestens mit ihren ebenfalls in Paris geplantem Rollendebüt in der Titelrolle der „Salome“ in die Annalen der Strauss-Rezeptionsgeschichte eingehen wird.

Opera National de Paris/ELEKTRA/ Foto @ Emilie Brouchon

Angela Denoke komplementierte die Besetzung der weiblichen Hauptrollen als Mutter Klytämnestra zum wahrhaftigen „Trio Infernal“. Die in der Vergangenheit das dramatische Sopranfach ausfüllende Sängerin wechselt nun zeitweise zu tieferen Mezzo-Rollen. Dabei stellte sie als Klytämnestra eine gealterte, ihren Töchtern mental noch vollständig ebenbürtige Mutter und eben nicht das (leider von anderen Sängerinnen so karikierte) senile, keifende Weibsbild, dar. Denoke bewies mit akkurater und präziser Befolgung der Gesangslinie bei zugleich deutlicher Aussprache, welche Tiefe in der Partie der Klytämnestra steckt. Denn sie sang die Töne streng penibel in jener Form, wie sie von Richard Strauss niedergeschrieben wurden. Mit ihrer gefestigten, dezenten Textauslegung erreichte sie die größtmögliche Intensität.

Tómas Tómasson stellte mit kraftvoller vitaler Bass-Stimme einen furchteinflößenden Orest dar. Kurz und schmerzvoll, in gewohnt unnachahmbar und gekonnter Art, brachte Gerhard Siegel als Aegisth seine Partie auf den Punkt.

Opera National de Paris/ELEKTRA/ Foto @ Emilie Brouchon

Robert Carsen zeigte mit seiner nun fast zehn Jahre alten Inszenierung, wie man mit einer simplen, zugleich durchdachten Idee eine geniale Effektivität entfalten kann. Bei ihm bilden graue Wände die seelischen und psychologischen Grenzen der Elektra. Mit Ausnahme der Mutter tragen in Carsens Inszenierung sämtliche weiblichen Personen der Oper, ergänzt durch Statistinnen, dieselbe schwarze Kleidung wie die Titelfigur. Dadurch wird der hasserfüllte, eingeengte Charakter der Elektra vergrößert, gespiegelt und anschließend gebrochen. Obgleich die Bühne fast durchwegs in dunklen, schwarzen Töne verdeckt bleibt und ein Großteil der Handlung lediglich angedeutet oder im Tanz verfremdet ist, schafft es Carsen, die Spannung über 100 Minuten aufrecht zu halten.

Nach dieser Pariser „Elektra“ bleibt es zu hoffen, dass Semyon Bychkov und Christine Goerke gemeinsam nun auch endlich hierzulande das Publikum in ihre Strauss-Sphären entführen werden!

 

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