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Schrekers „Der Schatzgräber“ in Berlin: Ein Glühen eint sie

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Ein Zwischenspiel, eine imposante Orgie: Tänzerin Doke Pauwels, Tuomas Puriso als König, vorn Michael Laurenz. Foto: Monika Rittershaus
Ein Zwischenspiel, eine imposante Orgie: Tänzerin Doke Pauwels, Tuomas Puriso als König, vorn Michael Laurenz. © MONIKA RITTERSHAUS

Christof Loy und Marc Albrecht finden an der Deutschen Oper Berlin feine Bilder und Klänge für Franz Schrekers Oper „Der Schatzgräber“.

Welch ein Opernjahr 1920, das im Januar mit der Uraufführung von Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ in Hamburg und Köln (zeitgleich, der Komponist: 23 Jahre alt) begann und im Dezember mit der Uraufführung von Franz Schrekers „Der Schatzgräber“ in Frankfurt endete. Zwei Riesenerfolge ihrer Zeit, und auch wenn oft und sehr gerne darauf hingewiesen wird, dass Schrekers Stern bereits vor 1933 sank, so war dies kaum noch vom längst aufgekommenen antisemitischen Druck zu trennen, also der sogenannten „Kulturpolitik“ der dabei auf mäßigen Widerstand stoßenden Nationalsozialisten. Schreker starb, diffamiert und beruflich abgedrängt, 1934 in Berlin, an einem Herzinfarkt wenige Tage vor seinem 56. Geburtstag.

Zwei österreichisch-jüdische Komponisten mit ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten, gemeinsam ist ihnen aber, wie nahezu vollständig es gelang, ihr Musiktheaterwerk mit Gewalt und dem Zutun eines ausreichend gleichmütigen Kulturbetriebs/Publikums über Jahrzehnte aus dem Repertoire zu halten. Es auch aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen, denn wer wird die Namen Korngold und Schreker in einem Atemzug mit dem von Richard Strauss nennen. Dass dessen Werk immer verengter (Rosenkavalier, Salome, Elektra, Arabella, Rosenkavalier, Rosenkavalier, Salome, Rosenkavalier, Rosenkavalier) in Erscheinung tritt, ändert daran wenig. Dass Korngold- und Schreker-Inszenierungen nicht mit Wucht, inzwischen aber doch anscheinend auf Dauer auf die Spielpläne zurückkehren, ist immerhin etwas. An der Oper Frankfurt nahm der damals neue Intendant Bernd Loebe gleich in seiner ersten Saison 2002/3 den „Schatzgräber“ ins Programm, wie man dann in Frankfurt ohnehin relativ früh eine gute Schreker-Übersicht bekam.

Weiterhin aber sind Schreker-Neuproduktionen Ereignisse fern der Routine, die Wirkung beim Publikum meistens groß und unmittelbar. Natürlich funktioniert der Zauber der Spätromantik, die à la Wagner selbstgeschriebenen Libretti sind ambitioniert, innig und pathetisch, dabei jedoch abgründig genug, um die Regie auf gute Ideen bringen zu können. An der Deutschen Oper Berlin hat Christof Loy schon Korngolds „Wunder der Heliane“ zu einer sensationellen Rückkehr auf die Bühne verholfen. Auch die komplexe Märchengeschichte vom „Schatzgräber“ kommt nun seinem analytischen, das Geschehen abkühlenden und einnordenden Blick entgegen.

Wie oft bei Schreker liegt der magische Dreh der Handlung in der Musik selbst. Der fahrende Spielmann Elis wird „Schatzgräber“ genannt, weil er über eine Wünschellaute verfügt, mit der er in diesem Fall den gestohlenen Schmuck der über den Verlust depressiv gewordenen Königin wiederbeschaffen soll. Er befindet sich aber im Besitz der schönen, jungen Els, die für eben diesen Schmuck hat morden lassen, die überhaupt hat morden lassen, eine schwierige Persönlichkeit. Die Männer begehren sie, als sie ihr aber dahinter kommen, kann sie nur der als Mann uninteressante, dem Publikum allerdings sympathische Narr retten, in dessen Obhut sie verwelkt und eingeht. Die Gier und das Begehren zeigen sich in enger Verwandtschaft, die lose Mordanstifterin Els zu verurteilen, über die Männer, angefangen mit ihrem Vater, ja ihrerseits verfügen wollen, fällt nicht leicht. Auch Schreker zeichnet sie tragisch. Loy wählt zudem eine so lakonische Grundstimmung, dass weder eine moralische noch eine schwülstige Note aufkommt. Den opulenten Part steuert die Musik selbst bei, von Marc Albrecht aus dem Graben schlank und kontrolliert gestaltet. Der Orchesterklang schon süffig und groß, aber nie losgelassen.

Die Bühne von Johannes Leiacker führt in einen düsteren Marmorsaal, in dem sich eine Abendgesellschaft mäßig amüsiert. Barbara Drosihns Kostüme machen die gesamte Epoche nach der Erfindung des Abendanzugs vorstellbar, die Narrenkappe ist das einzige märchenhafte Element. Hier im Saal findet auch alles weitere statt unter Ausblendung von Schrekers opulenten Kulissenwünschen (selbst Els‘ Kammer ist bei ihm „nicht ohne Sinn für Pracht und schwelgerisches Leben eingerichtet: arabisch-orientalische Einflüsse machen sich geltend“).

Elis gehört wie Els zum Personal der Abendgesellschaft und verwandelt sich nur durch die Hinzufügung der Laute in den Schatzgräber. Das Minimalistische tut der Spannung keinen Abbruch, sie kann im Gegenteil in ihrer Reinform auftreten, zumal Loy den großen Chor und eine vorzügliche Truppe zusätzlicher Darstellerinnen und Darstellern beweglich und effektvoll führt. Ein unaufdringlicher Daueralptraum des Belauerns und Belauertwerdens, Els weiß sich ihrer Haut zu wehren und sie ist keine Heilige, aber nobel geht es in ihrer Umgebung auch nicht zu.

Ein Zwischenspiel dient auf der Bühne einer imposanten Orgie, als müsste das sexuelle Begehren, das hier ohne Unterlass flämmelt, ein einziges Mal auf den Punkt gebracht und ins Bild gerückt werden. Im Zentrum dabei die (stumme) Königin, die Tänzerin Doke Pauwels, die die Sinnlichkeit als kaltes Feuer verkörpert. Die Männer werden dabei austauschbar und auch rasch ausgetauscht, der König (Tuomas Pursio) nur einer von etlichen.

Das Ensemble hat durch die ausgelagerte Maßlosigkeit umso mehr die Möglichkeit, Menschen zu zeigen, wie es Loy wieder scheinbar mit Leichtigkeit gelingt. Schreker bürdet dem Schatzgräber eine ausufernde, anstrengende Partie auf, die der schwedische Tenor Daniel Johansson, ein Mensch wie ein Baum, souverän meistert. Die Sopranistin Elisabet Strid, ebenfalls aus Schweden, kann ihre Stimme mächtig auffahren lassen, das ist auch erforderlich, wenn Schreker die beiden in eine Tristan-und-Isolde-Ekstase bringt. „Ein Glühen eint uns“, singt Els. Zugleich wirkt sie bodenständig, wachsam, intelligent. Els hat Träume, sie liebt schönen Schmuck, sie liebt nachher Elis.

Loy und sie scheinen gleichermaßen keine Lust zu haben, sich mit Stereotypen wie Hexe, Femme fatale oder Kindfrau zu begnügen. Els wahrt dadurch freilich auch ihre Geheimnisse. Der menschlichste Mensch des Abends ist der Narr, der treffliche Charaktertenor Michael Laurenz, agil in Stimme und Körper, aber in feiner Nuancierung kein Pfiffikus, sondern der traurige Zuschauer einer traurigen Geschichte.

Die Begeisterung des Publikums: immer wieder ein nachgereichter Triumph für Schreker, immer wieder auch ein Triumph für kluge, moderne Operninszenierungen (besonderer Jubel für die Regie ist nicht die Regel im Musiktheater, wenn man es recht bedenkt). Für die musikalisch Beteiligten ohnehin ein Triumph, da aber nicht so unerwartet.

Deutsche Oper Berlin: 6., 10., 14. Mai, 4., 11. Juni. www.deutscheoperberlin.de

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