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Berlioz’ „Béatrice et Bénédict“ in Köln: Im Zauberreich der Nacht

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Selten ernst, selten still: Béatrice, Isabelle Druet, in einer emotionalen Ausnahmesituation.
Selten ernst, selten still: Béatrice, Isabelle Druet, in einer emotionalen Ausnahmesituation. © Hans-Jörg Michel

Hector Berlioz’ komisches, wunderbares Spätwerk „Béatrice et Bénédict“ an der Oper Köln.

Das Werk von Hector Berlioz kommt im deutschen Betrieb nur sehr ausschnitthaft zur Geltung, ein selbstgewählter, unvernünftiger Verzicht, wie sich jetzt wieder in Köln zeigt, wo „Béatrice et Bénédict“ zum delikaten Hörerlebnis wird. Die weder lange noch umständlich umzusetzende, sehr komische, unmittelbar wirkungsvolle Oper hat nur eine einzige Tücke, französische Dialoge von flotter Länge, die andererseits ein fittes Ensemble von heute nicht mehr in Verlegenheit bringen. Berlioz’ letztes Bühnenwerk, 1862 in Baden-Baden uraufgeführt, ist musikalisch nicht weniger interessant als seine „Troyens“, das Tragische wendet sich hier nur ins Heitere und Abgeklärte, aber was heißt hier „nur“. Komisch bis ins Alberne und dabei noch weise zu sein, ist auch in der Musik eine hohe Kunst, und „Béatrice et Bénédict“ ist für Berlioz, was für Verdi „Falstaff“ ist.

Das Libretto schrieb der Komponist selbst, auch er entschied sich für Shakespeare, „Viel Lärm um nichts“. Weggelassen ist der offizielle Motor der Handlung, die komplette Intrige um das zweite Paar, Héro und Claudio, dessen ausschließliche Aufgabe es darum ist, konventionell und glücklich zu sein und das kecke, gewitzte Titelpaar zu kontrastieren. Die schönsten Duette gehören hier nicht den Liebenden, sondern den Frauen, auch der Nebenfigur Ursule: süße, nächtliche Duette und auch Trios der Sehnsucht. Es gibt attraktive Chöre, angeführt von der von Berlioz hinzuerfundenen Figur eines Musikus: eine Karikatur, als medioker gezeichnet, aber seine Musik bezaubert und selbst seine bespöttelte „Improvisation“ bleibt zwar stecken, ist bis dahin aber eine grandiose Nummer. Berlioz zitiert sich dabei zudem selbst, ein feiner ironischer Dreh. Schade, dass die Kölner Inszenierung von Jean Renshaw nicht nur an dieser Stelle eine Posse à la „Zar und Zimmermann“-Jubelchor zeigt und sich auf den angebotenen doppelten Boden – der Musiker als Trottel, Träumer und Könner in Personalunion – so gar nicht einlässt.

Dabei sieht es schön aus. Die Kölner Oper, die seit zehn Jahren nicht mehr bei sich im Haus spielen kann – das Menetekel für alle, die die Städtischen Bühnen in Frankfurt lieben und brauchen –, hat sich inzwischen geradezu fatal gut im Ausweichquartier Staatenhaus eingerichtet. Auch diesmal überzeugt der Umgang mit der Hallensituation, das Orchester sitzt rechts hinter einer Bande und an das originelle Bühnenbild geschmiegt: Ausstatter Christof Cremer hat quasi eine italienische Hausfassade verlegt, die hinten plausibel beginnt und sich dann in einer rutschentauglichen Biegung über den Bühnenboden ausbreitet. Wer aus dem Fenster schaut, öffnet also eine Luke im Boden. Auch hier ist im Umgang mit der Umgebung Luft nach oben, was Pfiff und Witz betrifft, und das obwohl ein sehr beweglich wirkendes Ensemble und ein quicklebendiger Chor zur Verfügung stehen. Und die Engländerin Renshaw, ausgebildete Tänzerin, von der Choreografie kommt und für Bewegungsabläufe gewiss einen sicheren Blick hat. Zu sehen ist aber doch bloß eine adrette, arglose Komödie, mit Witzen aus der Klamottenkiste (der Chorist, der mal dringend austreten muss). Man gibt sich sehr italienisch und befindet sich ganz in der Mitte des 20. Jahrhunderts, das ist bei Shakespeare-Geschichten natürlich nie eine Schwierigkeit.

Zu hören ist aber ein Wunderwerk. Generalmusikdirektor François-Xavier Roth leitet das Gürzenich-Orchester und macht die Empfindlichkeit der Musik spürbar (von „Nadelstichen“ sprach der Komponist, der die Uraufführung selbst dirigierte). Die Süffigkeit, Lebendigkeit und auch Tanzbarkeit eröffnet lockende Abgründe. Gesanglich muss der Chor Wesentliches leisten und leistet es (unter der Leitung von Rustam Samedov), im Einzelnen ist es ein Abend für die hier sehr jungen Frauenstimmen: Jenny Daviet als Grace-Kelly-hafte Héro und mit goldenem Sopran tut sich mit dem angenehm timbrierten Mezzo von Lotte Verstaen (aus dem Opernstudio) als Ursule zusammen, Isabelle Druets Béatrice bietet einen reifen, dabei lichteren Mezzo, ein perfektes Trio. Der Tenor Paul Appleby (mancher wird sich an seinen durchschlagenden Tom Rakewell in „The Rake’s Progress“ an der Oper Frankfurt erinnern) nutzt die feinen Nummern, die die Komposition ihm bietet. Dem Kapellmeister Somarone gibt Ivan Thirion Verve und stimmlichen Ernst.

Claudio erkrankte an Covid, in der Premiere sang der aus Bordeaux eingeflogene Thomas Dolié von der Seite, Roths Assistent Joël Soichez ergänzte den Sprechtext, die Regieassistentin Charlotte Wulff spielte. Wie immer der helle Wahnsinn. Intendantin Birgit Meyer erinnerte daran, dass die Premiere vor zwei Jahren geplant war, ein frühes Coronaopfer.

Oper Köln im Staatenhaus 2: 5., 8., 11., 13., 15. Mai. www.oper-koeln.de

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