In der Vorhölle der Berühmtheit: „Don Giovanni“ an der Staatsoper Unter den Linden

Staatsoper Berlin/DON GIOVANNI/Michael Volle, Elsa Dreisig und Riccardo Fassi /Foto @ Matthias Baus

Das Leben ist ein Spaß, wenn man ein weißer, heterosexueller, alter Mann ist. Oder ist es das nicht? Die Neu-Inszenierung des „Don Giovanni“ an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin versetzt Mozarts „Oper aller Opern“ in die Gegenwart. So wird der titelgebende Hauptcharakter von einem jungen Schwerenöter zu einem alternden Starfotografen, der von jungen Frauen eine gewisse Gegenleistung dafür erwartet, dass er sie berühmt macht. Ein interessanter Ansatz. Doch leider ist Vincent Huguets Inszenierung weder gut durchdacht, noch findet sie Tiefgang. (Besuchte Vorstellung am 10. April 2022)

 

Claudia Schiffer, Cara Delevingne und Penelope Cruz scheinbar sogar doppelt: In seiner Katalogarie wischt sich Sexualbuchhalter Leporello neumodern auf einem Tablet durch die Eroberungen seines Chefs. Dieser hat anstelle von Herzoginnen, Gräfinnen und Bäuerinnen, einmal die komplette Modelelite der Welt erobert – ihre Bilder übergroß auf das Bühnenbild projiziert. Es ist eine von vielen Offensichtlichkeiten in einer von wenig Subtilitäten gekennzeichneten Inszenierung. Bereits vor dem Beginn der Vorstellung beim Blick in das Programmbuch ist der interessierte Lesende irritiert. Denn gleich zu mehreren ziemlich steilen Thesen versteigt sich Regisseur Vincent Huguet in einem Text zu seiner Arbeit. So lernt man verwundert, dass Don Giovanni eigentlich ein Verführer und Gentleman sei, der erst in der heutigen Zeit zum Feind und Stalker erklärt würde. Dass die wirklich von MeToo-Betroffenen die Täter seien. Und dass sexuelle Belästigung und sexueller Missbrauch zu verfolgen eh nichts bringe, weil es sowieso nichts ändere. Unweigerlich fragt sich der Lesende, ob es vielleicht Absicht der Redakteur:innen war, den Text ganz an das Ende des fast achtzigseitigen Büchleins unterzubringen in der Hoffnung, dass ihn so niemand liest? Ein Glück für die Opernbesucher:innen, dass Huguet wenig von seinen kruden Thesen auf der Bühne umsetzen kann. So bleibt der Zusammenhang zwischen Huguets Aussagen und dem leeren Treiben auf der Bühne über weite Strecken der Oper unklar.

Staatsoper Berlin/DON GIOVANNI/Slávka Zámečníková , Riccardo Fassi und Serena Sáenz /Foto @ Matthias Baus

Das Ensemble der Neuinszenierung ist gespickt mit großen Stimmen und solchen, die es werden wollen: Routinier Michael Volle als Don Giovanni, Shootingstar Elsa Dreisig als Donna Elvira. Dazu Slávka Zámečníková (Donna Anna), Bogdan Volkov (Don Ottavio), Serena Sáenz (Zerlina), David Oštrek (Masetto) sowie Adam Palka als kurzfristiger Einspringer für den erkrankten Riccardo Fassi als Leporello. Sie alle machen einen vor allem stimmlich hervorragenden Job, doch sind die Charaktere so eindimensional gestaltet, dass sie selbst für einen ausgefeilten Charakterdarsteller wie Volle wenig hergeben. Huguets Don Giovanni wechselt zwischen Langweile und Genervtsein, nur in wenigen Momenten blitzen die diabolischen Charakterzüge auf, die sich dann leider vornehmlich plump in schlechtem und pietätlosem Benehmen auf einer Beerdigung äußern. Über weite Strecken fragt man sich, was diesen Mann in Turnschuhen zur Stoffhose, zu weitem Hemd und Baseballcap eigentlich so anziehend für Frauen machen soll.

Volles Stimme hingegen ist über jeden Zweifel erhaben: Mit eindrücklicher Kraft aber auch gewisser Zartheit gestaltet er seinen Don Giovanni. Ihm gegenüber stehen drei junge eindrückliche Sängerinnen. Während Dreisigs Können längst über die Grenzen Berlins hinaus regelmäßig für Schlagzeilen sorgt und sie auch an diesem Abend virtuos glänzt, überraschen mit Sáenz und Zámečníková gleich zwei weitere junge Sängerinnen ebenfalls aus dem Internationalen Opernstudio der Berliner Staatsoper. Weder Zámečníkovás leuchtender und ausdrucksstarker Sopran noch Sáenzs sehr vielseitige – mal liebreizend, mal naiv, mal taff, mal verletzliche – Gestaltung der Zerlina müssen sich hinter ihren Kolleg:innen verstecken. Volkov, Oštrek und Palka sowie Peter Rose als Commendatore komplettieren das Ensemble mit bravourösen Leistungen.

Untermalt werden die Sänger:innen von Daniel Barenboim und der Staatskapelle Berlin. Für den Berliner Chefdirigenten-auf-Lebenszeit ist es bereits die vierte Neu-Inszenierung des „Don Giovanni“ an der Staatsoper Unter den Linden seit 2000. Dabei ist Mozarts „Opern aller Opern“ für den Dirigenten die erste aller Opern: Im Jahr 1973 stand er in Edinburgh mit dieser Mozart-Oper das erste Mal überhaupt an einem Opernpult. Erwartungsgemäß gekonnt und sicher führt Barenboim die Musiker:innen und die Sänger:innen folglich durch den Abend. Einziger Wehmutstropfen: Durch teilweise sehr getragene Tempi will der Funke der musikalischen Magie Mozarts nicht immer überspringen.

Staatsoper Berlin/DON GIOVANNI/Elsa Dreisig, Riccardo Fassi und Komparserie/Foto @ Matthias Baus

Der neue „Don Giovanni“ ist die letzte der drei Da Ponte-Opern, die Huguet in Berlin in unorthodoxer Reihenfolge als zusammenhängenden Lebenszyklus inszeniert. Während „Così fan tutte“ die Jugend und Lehrzeit darstellen soll, verkörpert „Le Nozze di Figaro“ die Ehe aber auch die Midlife-Crisis. „Don Giovanni“ schließlich reflektiere die Reifezeit bis zum Tod. Abgesehen von einigen kostümlichen Kontinuitäten – so trägt Leporello beispielweise ähnliche Lederjacken wie Figaro – bleibt der vermeintliche Zusammenhang zwischen den drei Opern trotz versuchter Unterfütterung durch Thesen von Foucault und Houellebecq nur äußerst schwach angedeutet. Derzeit sind die drei Opern nach der Premiere von „Don Giovanni“ Anfang April, im Rahmen der derzeitigen Festtage erstmals als Zyklus zu sehen. Durch die Pandemie wurden die Premieren der ersten zwei Opern im vergangenen Jahr durcheinandergewürfelt – und scheinbar auch Huguets Konzept. Auf dem als Vernissage getarnten Maskenball taucht Donna Elvira verkleidet als ordenverleihende Angela Merkel auf; Donna Anna als Assistentin und Don Ottavio als Leibwächter an ihrer Seite. Hat etwa jemand vergessen dem Regisseur zu erzählen, dass Deutschland schon seit einigen Monaten einen neuen Bundeskanzler hat und zum anderen Verdienstorden durch den Bundespräsidenten verliehen werden? So wirkt die Inszenierung schon in ihrer Premierenwoche aus der Zeit gefallen.

Ein Glück, dass die starken sängerischen Leistungen und die grandiose Musik die Zuschauer:innen über den Abend tragen – am Ende gibt es für sie langen Jubel.

 

  • Rezension von Svenja Koch / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Staatsoper Unter den Linden / Stückeseite
  • Titelfoto: Staatsoper Berlin/DON GIOVANNI/Michael Volle (Don Giovanni), Bogdan Volkov (Don Ottavio), Slávka Zámečníková (Donna Anna) und der Staatsopernchor/Foto @ Matthias Baus
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