„Don Giovanni“ an der Berliner Staatsoper: Freiheit? Welche Freiheit?

Vincent Huguet hat an der Staatsoper Unter den Linden einen halb garen „Don Giovanni“ mit Daniel Barenboim am Pult inszeniert.

Elsa Dreisig und Michael Volle in „Don Giovanni“ an der Staatsoper.
Elsa Dreisig und Michael Volle in „Don Giovanni“ an der Staatsoper.imago images

Der Regisseur Vincent Huguet hat an der Staatsoper Unter den Linden die Da-Ponte-Opern Mozarts als Trilogie inszeniert. Nach „Così fan tutte“ und „Le Nozze di Figaro“ wurde am Sonnabend „Don Giovanni“ als Abschluss dieser Trilogie vorgestellt. Die Figur des Verführers ist dabei Huguets roter Faden, beginnend bei Gugliemo aus „Così“ über den Grafen Almaviva bis hin zu dessen komplexester Ausarbeitung Don Giovannis. Dabei siedelte Huguet seinen Zyklus in drei Epochen an, 1968, 80er-Jahre, Gegenwart. Don Giovanni ist also ein Fotograf, Leporello gibt Donna Elvira während der Register-Arie ein Tablet, auf dem sie durch die Bilder der Verführten scrollt – sie werden als Fotografien von Peter Lindbergh projiziert.

Warum ein Fotograf? Weil der angeblich leicht an Frauen herankommt? Interessanterweise fotografiert er aber fast nie, und wenn, schlägt die Inszenierung keinen Funken daraus. Warum sehen wir am Anfang eine große Fotografie, auf der Angela Merkel Nicolas Sarkozy küsst? Später erscheint sie auch auf der Bühne, während des großen Fests im ersten Finale, überreicht Don Giovanni ein Verdienstkreuz und posiert, die Raute formend zum gemeinsamen Bild. All das hat Huguet ungünstigerweise in Don Giovannis Atelier angesiedelt – ungünstig, weil es wenig Platz zum Spielen bietet, und gerade das große Fest findet buchstäblich keinen Raum für die ausgerufene „Libertà“. Selten hat dieser emphatische Ruf „Es lebe die Freiheit!“ den Betrachter vor größere Fragen gestellt: Welche Freiheit?

Wo bleibt die versprochene Komplexität Don Giovannis

Natürlich, am Vorabend der Französischen Revolution, als das Stück entstand, wusste man das, und es ist ja als gemeinsames Fest von Bauern und Adligen auch klar genug, welche Freiheit hier gemeint ist: die von Standesschranken. Und auch, dass es sich hier nur um eine Scheinfreiheit handelt, die der Adlige einräumt, um an das Bauernmädchen Zerlina heranzukommen. Aber bei Huguet haben wir gerade erst gesehen, wie die Clique von Zerlina und Masetto ins Atelier gelaufen kommt, als wäre dies ein nicht zu umgehender Durchgang auf der Straße von A nach B: Alle Türen stehen also allen offen. Was soll da das Gerede von „Freiheit“?

Auf diesen Fragen wird hier bestanden, weil sie plötzlich riesengroß werden in einer Inszenierung, die eines der bedeutendsten Werke der Operngeschichte Richtung Banalität steuert. Nichts gegen Aktualisierung, aber wenn sie sich diesem Freiheitsbegriff nicht stellt, verpasst sie Wesentliches. Wenn Zerlina und Masetto ständig verhandeln, wie weit man gegenüber einer Verführung gehen kann, wie sie der Zerlina in Don Giovanni erscheint, geht es um jene moderne Freiheit, die am Leiden des anderen eine Grenze findet, während die Freiheit des privilegierten Don Giovanni vor allem Opfer fordert.

Aber weder für Don Giovannis Privilegien noch für die emanzipierte Beziehung Zerlinas und Masettos findet Huguet eine szenische Lösung, und auf die versprochene Komplexität der Don-Giovanni-Figur wartet man vergeblich.

Michael Volle singt diesen Verführer, und an dieser Besetzung stimmt etwas nicht. Natürlich singt Volle wie immer prächtig, nur das leise Ständchen mit Mandolinen-Begleitung klingt nicht verführerisch, sondern eher ein bisschen verzweifelt auf der Suche nach einem leisen und dennoch tragenden und nuancierten Klang. Volle ist auch nicht zu alt für diese Rolle, da seine darstellerische und vokale Souveränität unvermindert ausstrahlen und attraktiv wirken. Aber zugleich ist das eher die Attraktivität des Sängers selbst als seiner doch recht hemdsärmelig daherkommenden Figur. Wir sehen ihn kaum beim Verführen. Volles massive Gestalt wirkt gegenüber den drei Sängerinnen der Frauenpartien eher gewalttätig. Serena Sáenz als Zerlina überzeugt trotz sehr heller und nicht großer Stimme gestalterisch voll und ganz, auch Slávka Zámečníková verleiht der der elegischen Donna Anna individuelle Züge, braucht dabei allerdings etwas länger Anlauf. Elsa Dreisig ist zwar vom ersten Ton an sofort präsent, aber wirkt für die Donna Elvira zu lyrisch. Die von Mozart vorgesehene Spanne vom Lamento zum Furioso kann sie vokal nicht wiedergeben – das gibt ihrer Figur einen eher passiven, ungefährlichen Charakter. Dass die beiden Donnen als soziale Charaktere unscharf gezeichnet sind, erschwert ihnen das Singen zusätzlich. Donna Elvira wirkt wie ein gealtertes Fotomodell. Donna Anna und ihr Verlobter Don Ottavio treten mal in Schwarz, mal in einem Ostblock-Braun auf, dessen Sinn schwer zu deuten ist – attraktiv ist es nicht. Bogdan Volkov schwelgt in den Ottavio-Arien in schönsten Tönen, die Regie macht wenig daraus. Auch der Typus Leporello, von Riccardo Fassi leider etwas pauschal und mit substanzloser Tiefe gesungen, bleibt blass wie der von David Oštrek gesungene Masetto.

Seltsam erstarrt

Alle Sänger kämpfen mit Daniel Barenboim am Pult der Staatskapelle. Der hat sich für eine Interpretation mit Tempi an der absoluten Untergrenze entschieden. Die Sänger wollen es in der Regel gerne etwas schneller, wodurch die ersten Gesangstakte vieler Arien klappern. Nun wären die Tempi allein nicht das Problem, wenn Barenboim dadurch in der bekannten Musik neue Details entdeckte. Aber das Gegenteil geschieht, die Musik wirkt in der Regel seltsam erstarrt.

Keine wirklich attraktive Aufführung also – auch wenn im zweiten Akt alles ein wenig besser wird, musikalisch wie szenisch. Das Sextett etwa wirkt in der Aktion überaus lebendig, auch Barenboim bringt die Musik nun zum Leben. Aber solche Momente bleiben ohne interpretatorischen Zusammenhang mit dem Rest – und das ist im Ganzen enttäuschend.