Heinrich Marschners Der Vampyr hätte an der Staatsoper Hannover hätte eine blutrünstige Vampiroper werden können. Schließlich soll Lord Ruthwen – längst der Unterwelt in die Hände geraten und zum Vampir mutiert – um sich ein weiteres Lebensjahr zu verdienen, dem Teufel drei junge Frauen opfern, indem er ihr Blut aussaugt. Und das Libretto charakterisiert diesen Lord Ruthwen denn auch als „Vollblutvampir“, der sich in einer großen Arie genüsslich ausmalt, wie er seine spitzen Zähne in den Hals der jungen Frauen versenkt.

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Der Vampyr
© Sandra Then

Zugleich machen die Monologe der Titelfigur aber auch die Verzweiflung deutlich, die Ruthwen in seiner Angst vor dem drohenden endgültigen Tod antreibt. Marschners Tonsprache war zwar keineswegs der eines Richard Wagner zu vergleichen, und Dirigent Stephan Zilias versuchte auch gar nicht, sie dazu hochzustilisieren, aber er lotete die hohe Dramatik schon im Vorspiel aus, einer Art musikalischem Wechselbad der Gefühle zwischen inniger Empfindung und krasser Urgewalt. 

Dass diese Doppelbödigkeit, die in der Hauptfigur angelegt ist, in der Aufführung der Staatsoper Hannover voll zum Tragen kam, lag weniger an Regisseur Ersan Mondtag und Kostümbildner Josa Marx, der Ruthwen in einen Silbermetallicanzug kleidet, sondern an Michael Kupfer-Radecky, der seinen Bariton durchaus lyrisch einfärben kann, ihn aber auch mit größter Härte ertönen lässt und so einen Charakter zwischen subtiler Emotion und unmenschlicher Brutalität auf die Bühne bringt.

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Oana Solomon (Astarte) und Michael Kupfer-Radecky (Lord Ruthwen)
© Sandra Then

Dass der Hannoveraner Vampyr auch szenisch seine ernsten und doppelbödigen Seiten hat, lag an einem grandiosen Regiekonzept Mondtags: Er erinnert daran, dass schon seit dem Mittelalter den Juden immer wieder vorgeworfen wurde, sich am Blut von christlichen Kindern zu laben, also eine Art Vampirsaga vor der Erfindung der Vampirmode im 19. Jahrhundert. So lässt er den ersten Akt vor den Mauern der 1938 zerstörten Synagoge von Hannover spielen und als Vertreter der Juden Ahasver als Sprechrolle auftreten, den zur ewigen Wanderschaft verurteilten Juden. Auf diese Weise gelang es Mondtag virtuos, die gruselige Vampirstory mit der grausigen Realität des 20. Jahrhunderts unter den Nazis zu verknüpfen. Jonas Grundner-Culemann gestaltet diesen Ahasver als elegischen, gelegentlich verzweifelten Sucher.

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Der Vampyr
© Sandra Then

Ob es ein guter Einfall war, ihm eine Gegenspielerin beizugesellen, an deren überlangen Ohren man unschwer eine Vertreterin der Vampire erkennen kann, mag dahingestellt sein, zumal der Name Astarte, den Mondtag ihr gegeben hat, alles andere als eindeutige Assoziationen hat – bei den Phöniziern galt sie als Göttin des Kriegs, bei den Babyloniern als die der Liebe. 

Noch problematischer war ein anderer Rückgriff in die Geschichte. Marschners Oper basiert letztlich auf der Vampirerzählung, mit der John Polidori Anfang des 19 Jahrhunderts die Vampirmode begründet hatte und an deren Entstehung unter anderem Lord Byron beteiligt war, dem die Hauptfigur Ruthwen nachgebildet sein soll. So springt denn auch eine Byron-Figur immer wieder auf die Bühne – eine Witzfigur, ein Elton-John-Verschnitt –, kommentiert das Geschehen auf der Bühne und zieht es ins Lächerliche.

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Nikki Treurniet (Emmy Perth) und Torben Appel (Ahasver)
© Sandra Then

Auch die Wahl, den größten Teil der Handlung, in dem es um die zu opfernden drei Frauen geht und die im englischen Adelsmilieu spielt, in die aufgemotzte Gesellschaft der Hochfinanz zu verlegen – der Vater von Malwina, die Ruthwen unter anderem als Opfer auserkoren hat, ist Ölscheich –, trägt nicht unbedingt zur Tiefe bei, nivelliert vor allem jegliche Charakterisierung. So tritt Emmy in schwarzem Lackmini und Stiefeln auf wie die übrigen Damen der „Gesellschaft“, was zu ihrem lyrischen Charakter nicht passen will, mit dem Marschner sie charakterisiert und der von Nikki Treurniet mit warmem, lyrischem Sopran stimmlich kongenial umgesetzt wird. Demgegenüber tritt Malwina, die Heldin, im Biedermeierkleid auf, was wiederum zu deren Charakter nicht passt, den Mercedes Arcuri brillant mit hochdramatischen Passagen realisiert.

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Michael Kupfer-Radecky (Lord Ruthwen) und Norman Reinhardt (Sir Edgar Aubry)
© Sandra Then

So ist zwar eine optisch bunte Aufführung dieser, wie die Hannoveraner Aufführung vor allem musikalisch zeigt, zu Unrecht in der Versenkung verschwundenen Oper des einstigen Hannoveraner Opernkapellmeisters Marschner gelungen, die dem vordergründigen Gruselthema politische Tiefe verleiht (die bei der Premiere noch durch einen Appell für die Ukraine nach der Aufführung verstärkt wurde), die allerdings über weite Strecken auch an einer Überfrachtung mit gesellschaftspolitischen Klischees leidet.


Die Vorstellung wurde vom Livestream auf Operavision rezensiert.

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