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„Don Carlo“ in Wiesbaden: Die Stunde der Freiheit

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Elisabeth und Don Carlo, Cristina Pasaroiu und Rodrigo Porras Garulo.
Elisabeth und Don Carlo, Cristina Pasaroiu und Rodrigo Porras Garulo. © Karl und Monika Forster

„Don Carlo“ am Staatstheater Wiesbaden, eine Oper, die nicht immer die Triftigkeit hat wie nun im März 2022.

Während man natürlich völlig zu Recht gelernt hat, die Gut-Böse-Schablonen der jungen Jahre wegzulassen und das Hochkomplexe und Schillernde der Welt zu akzeptieren, tritt es einem doch immer wieder entgegen. Das Gute und das Böse, weiterhin nie in Reinform, aber doch deutlich kenntlich. Ein Land, das angegriffen wird, eine Bevölkerung, die sich nach ihren Kräften zur Wehr setzt – je eindeutiger die Lage ist (eine Seltenheit, gewiss), desto aktueller erscheinen die Werke von Friedrich Schiller, die nichts vereinfachen, aber doch einen moralischen Kompass zur Verfügung stellen. Es gibt sie, die Schurken und die Helden, die Schurkinnen und die Heldinnen. Entscheidet euch für eine Seite. Macht euch nichts vor.

Denn selbstverständlich machen wir uns sofort wieder etwas vor. Eine Aktion am Staatstheater Wiesbaden lenkt indirekt den Blick darauf: In Kooperation mit Amnesty international halten die Deputierten aus Flandern im „Don Carlo“ die Bilder von Opfern der politischen Verhältnisse in Russland in die Höhe, darunter der (vor gut 15, fünfzehn Jahren) ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja und des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Es gab keine Gründe, am 24. Februar zu überrascht zu sein.

Giuseppe Verdis „Don Carlo“: König Philipp ist nicht Putin, aber schlechte Herrscher stehen im Fokus des Interesses. Am Staatstheater zeigt Timo Riihonen einen Mann, der sich sehr unverblümt keine Mühe gibt, schon gar nicht seiner zarten Frau Elisabeth, Cristina Pasaroiu, gegenüber. Nicht nur sein vehementer Bass drückt ihren schlanken Sopran an die Wand, er packt seinen attraktiven Besitz auch grob an. Selten war die sonst gerne ein wenig melancholisch verstandene Arie „Ella giammai m’amò“ kurioser und auch unheimlicher. Er stellt fest, dass sie ihn nie geliebt hat? Was, um Himmels willen, hat er denn gedacht? Mächtig das Duett des Königs mit dem Großinquisitor, Young Doo Park, sozusagen dem, der ihm an stimmlicher Wucht und blanker Gewaltbereitschaft gewachsen ist.

Der musikalische Eindruck der Premiere ist gut, teils durchwachsen. Rolf Glittenbergs Bühnenkasten verengt nicht nur die Szenarien, sondern scheint auch den Klang ins gelegentlich Grobe zu vergrößern. Rodrigo Porras Garulo ist ein Titelheld mit wunderbar kernigem, aber auch gefordertem Tenor, der Posa von Aluda Todua robust, die Eboli von Alessandra Volpe mit mittlerer Durchschlagskraft, aber eine interessante, selbstbewusste und zugleich unsichere Figur. Das Orchester unter Antonello Allemandi hält sich nicht zurück, trotzdem wirkt manches matt, Vorhänge und kurze Lichtpausen während kleiner Umbauten – mit projizierten Textzitaten aber gewiss auch für die inhaltlichen Triftigkeit gedacht – lassen Fluss und Spannung musikalisch stocken.

Neben der beinhart nüchternen Filippo-Großinquisitor-Begegnung ist die Szene mit den Hofdamen vielleicht die gelungenste an diesem von Intendant Uwe Eric Laufenberg inszenierten Abend, der ohne Fontaineblau-Akt mit der Mönchs-Szene einsetzt. Der Frauenchor, der ein bisschen scheu Flamenco tanzt, zerfällt hier in schöne individuelle Studien, ein Gemälde, das lebhaft davon erzählt, wie sich Menschen in einem faden, perspektivlosen und dennoch psychologisch stressigen Leben einrichten müssen. Hilfreich dabei die ebenso individuellen Kostüme von Marianne Glittenberg, eher wie aus einem García-Lorca-Stück, während die schwarz-samtige Männerkleidung auf die Entstehungszeit der Oper anspielt.

Auch wenn die Offenheit für die pathetischen Opernmomente eines Freiheitkampfes momentan und die Offenheit für die pathetischen Opernmomente der Liebe stets groß ist, gestaltet sich vieles in Laufenbergs Inszenierung recht konventionell. Es ist dann ein Ringen und Leiden und In-die-Knie-Gehen. Freilich sind von den zurückliegenden vier Musiktheaterpremieren drei vom Intendanten selbst inszeniert. Das ist schon ein ungewöhnliches Verhältnis.

Es gibt Kreuze in unterschiedlichen Ausführungen – dominant ein schlankes, hohes, das aus Totenköpfen herauszuwachsen scheint. Jesus persönlich tritt geschunden und leicht bekleidet als Autodafé-Opfer auf. Oder ist – dies wiederum doch ziemlich erratisch – doch nur ein hübscher Gespenstermönch in Königs Bett, der uns eindringlich bedeutungsvoll anschaut. Aber warum nur, warum? Dass man es eigentlich nicht wirklich wissen will – auch nicht, wieso dem Infanten diesmal die Flucht glückt –, ist charakteristisch für diese ansehnliche, aber flüchtige Bilderwelt. Auch eine Eindeutigkeit von Gut und Böse ist ja nichts Oberflächliches, eher im Gegenteil.

Im Schlussbeifall (mittendrin schlecht platziert) ein anrührendes Chorstück für die Ukraine, dirigiert von Albert Horne.

Staatstheater Wiesbaden: 24. März, 8., 13., 17., April. Bei den Maifestspielen am 28. Mai, mit Günther Groissböck als König. www.staatstheater-wiesbaden.de

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