Oper Zürich: Wir tanzen auf dem Vulkan, aber ihr sollt ein bisschen Spass haben

Cecilia Bartoli brilliert am Opernhaus in der Titelrolle von Rossinis «L’italiana in Algeri» neben einem wie entfesselt spielenden Ensemble. Vergessen machen kann der amüsante Abend die schwierigen Umstände der Premiere nicht.

Christian Wildhagen
Drucken
Ein Macho kommt selten allein. Doch Cecilia Bartoli macht auch als Touristin in Algier «bella figura».

Ein Macho kommt selten allein. Doch Cecilia Bartoli macht auch als Touristin in Algier «bella figura».

Monika Rittershaus / Opernhaus Zürich

Die Komödie, so lautet eine immer aufs Neue bestätigte Theaterweisheit, ist der Ernstfall. Noch weit mehr als im Drama kommt es hier auf Timing, plastische Charakterzeichnung und den differenzierten Wechsel von Ton- und Stimmungslagen an. Und die Komödie verzeiht nichts: Ein verpatzter Auftritt, eine verrutschte Miene – schon kippt der Witz ins unfreiwillig Komische, im schlimmsten Fall wirkt das Geschehen bloss noch platt und schal. Schon unter normalen Umständen ist das für alle Beteiligten ein Tanz auf Messers Schneide. Was aber passiert, wenn der Ernstfall plötzlich auch ausserhalb der heiteren Bühnenfiktion Realität werden könnte?

Die Oper Zürich sah sich bei ihrer jüngsten Premiere nolens volens vor ebendieses Problem gestellt. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten scheint eine atomare Bedrohung ganz Europas wieder in den Bereich des Möglichen gerückt, sei es durch den Angriff auf ein ukrainisches Kernkraftwerk, sei es gar durch den Einsatz von Nuklearwaffen. Bei diesem Gedanken dürfte niemandem mehr nach Lachen zumute sein. Kann man vor derart düsterem Horizont noch Komödie spielen? In Zürich hat man die Frage am Sonntagabend bejaht und sogar eines der lustigsten, um nicht zu sagen: albernsten Werke des Opernrepertoires angesetzt, Gioachino Rossinis «L’italiana in Algeri» mit Cecilia Bartoli in der Titelrolle.

Schöne Gegenwelt

Man hätte nicht in ihrer Haut stecken wollen. Denn natürlich tragen alle Mitwirkenden das Wissen um das Weltgeschehen als zusätzliche Last durch den Abend. Überdies sind drei Sänger der Premierenbesetzung gebürtige Russen – es dürfte sie kaum kaltlassen, dass derzeit etliche ihrer Landsleute von westlichen Veranstaltern wegen einer bekannten oder vermuteten Nähe zu Putins Politik ausgeladen oder nicht mehr engagiert werden. Kunst, das zeigt sich hier für einmal sehr konkret, findet nie im apolitischen Raum statt, und die Idee, man könne mit ihrer Hilfe in eine schöne Gegenwelt entfliehen, war immer eine Illusion.

Diese Illusion allerdings – sie funktioniert in Zürich immerhin zwei Stunden lang prächtig. Die Inszenierung des Regieduos Moshe Leiser und Patrice Caurier ist keine Neuproduktion, sondern eine Übernahme von den Salzburger Pfingstfestspielen 2018; Cecilia Bartoli ist deren erfolgreiche Leiterin. In Zürich zeigt man diese «Italiana» wohl vor allem, um dem Publikumsliebling Bartoli, die dem Haus nun wieder enger verbunden ist, einen Auftritt in einer ihrer Paraderollen zu ermöglichen. Als titelgebende Italienerin Isabella darf sie hier dem Bey von Algier nach allen Regeln ihrer Komödiantinnenkunst auf der Nase herumtanzen.

Mustafà, der Bey von Algier (Ildar Abdrazakov), hat genug von seiner liebenden Gattin Elvira (Rebeca Olvera).

Mustafà, der Bey von Algier (Ildar Abdrazakov), hat genug von seiner liebenden Gattin Elvira (Rebeca Olvera).

Monika Rittershaus /
Opernhaus Zürich

Dieser türkische Herrscher namens Mustafà ist seines Harems und seiner unterwürfigen Gattin Elvira überdrüssig, zudem hegt er im Geheimen offenbar selbst ein paar masochistische Gelüste und will sich sehenden Auges unter die Knute einer Europäerin begeben – für ihn der Inbegriff einer abenteuerlich emanzipierten Frau. Die aber durchschaut das Spiel sofort und dreht den Spiess um: Am Ende ist der Möchtegern-Freier gründlich blamiert, und Isabella kehrt mitsamt ebenfalls desavouiertem Gatten und ihrem wiedergefundenen Geliebten triumphierend zurück in die Heimat.

Ironie durch Musik

Wer sich dabei entfernt an Mozarts «Entführung aus dem Serail» erinnert fühlt, liegt richtig: Rossinis frühe, 1813 in Venedig uraufgeführte Buffa steht in der Tradition der «Türkenoper», sie ist ein zur Farce übersteigerter Nachzügler dieser Mode. Doch wer sich ähnlich aufklärerische, gar Kolonialismus-kritische Fragestellungen erhofft, wie sie Mozarts Haremsoper seit bald 250 Jahren aufwirft, wird enttäuscht. Die ganz auf schrille Charaktere und Situationskomik abgestellte Handlung bei Rossini erträgt solche Befrachtung nicht.

Entführung ins Serail: Mustafà (Ildar Abdrazakov) verfrachtet Isabellas Geliebten Lindoro (Lawrence Brownlee) in sein zweifelhaftes Gefährt.

Entführung ins Serail: Mustafà (Ildar Abdrazakov) verfrachtet Isabellas Geliebten Lindoro (Lawrence Brownlee) in sein zweifelhaftes Gefährt.

Monika Rittershaus / Opernhaus Zürich

Moshe Leiser und Patrice Caurier erkennen die Gefahr und belassen es bei ein paar bewusst klischeetriefenden Anspielungen, etwa auf (arabisches?) Macho-Gehabe und das nassforsche Verhalten mancher Touristen in fremden Kulturkreisen. Ihr kunterbuntes Algier könnte ebenso gut ein Mafia-Quartier in Neapel sein; deren patriarchale Strukturen gelten auch nicht als besonders fortschrittlich. Der Rest ist virtuoses Komödienhandwerk mit enormem Spielwitz und manchem gelungenem Gag. Das Ganze bliebe dennoch belanglos, zöge Rossinis Musik nicht eine weitere Ebene ein.

Der Dirigent Gianluca Capuano und das hauseigene Originalklang-Ensemble La Scintilla rücken den frühen Rossini stilistisch nahe an Mozart und sorgen durchweg für hohes Tempo: Spritzig, pointiert und auch im Orchesterpart ungewohnt farbig stürmt die Musik voran und zwingt dem Geschehen ihre fast körperlich wirkende Bewegungsenergie auf. Im Finale des ersten Akts läuft die Maschinerie derart heiss, dass sich alle Sänger irgendwann in Nonsens-Kommentare wie «bum-bum!» und «tac-tac!» retten – erst in der Moderne wird Opernmusik die Handlung wieder derart drastisch ironisieren.

Diese seltsame Squadra Azzurra (Herrenchor der Oper Zürich) ist eigentlich die Mannschaft des Schiffes, mit dem Isabella in die Heimat fliehen wird. Dort gibt es dann auch Sauce für die Spaghetti.

Diese seltsame Squadra Azzurra (Herrenchor der Oper Zürich) ist eigentlich die Mannschaft des Schiffes, mit dem Isabella in die Heimat fliehen wird. Dort gibt es dann auch Sauce für die Spaghetti.

Monika Rittershaus / Opernhaus Zürich

Cecilia Bartoli ist in dieser doppelbödigen Welt in ihrem Element: Sie spielt mit ihrem Part, mit den halsbrecherischen Koloraturen ebenso wie auch direkt mit dem Publikum. Die Stimme klingt frisch und leicht, sogar in den geforderten Sopranhöhen. Gleichzeitig überstrahlt sie zu keiner Zeit das ähnlich spielfreudige Ensemble um Ildar Abdrazakov als Mustafà, Nicola Alaimo in der Rolle des ausgetricksten Gatten Taddeo und Lawrence Brownlee als Lindoro.

Für Bartoli war dieser völlig uneitle Ensemblegeist immer schon prägend. Unter dem Eindruck der besonderen Umstände beflügelt er am Premierenabend jedoch auch alle anderen Protagonisten einschliesslich des Haus-Chores. Nun erst recht, scheint diese packende Dynamik zu sagen: Wir tanzen auf dem Vulkan, aber ihr sollt ein bisschen Spass haben. Auf empfindsame Gemüter mag dies fragwürdig wirken, doch in ernsten Zeiten ist auch das manchmal Aufgabe von Kunst. Zum Abschied strahlt die Fassade des Opernhauses dann wieder in Blau und Gelb, den Farben der Ukraine.

Mehr von Christian Wildhagen (wdh)

Mehr von Christian Wildhagen (wdh)

Weitere Artikel