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  3. Janáčeks „Die Sache Makropulos“ an der Berliner Staatsoper: Die Nacht der lebenden Toten

Kultur Zombie-Oper in Berlin

Die Nacht der lebenden Toten

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Wie Nacht und Tag: Marlis Petersen als E. M. (l.) Wie Nacht und Tag: Marlis Petersen als E. M. (l.)
Wie Nacht und Tag: Marlis Petersen als E. M. (l.)
Quelle: Monika Rittershaus
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Die untote E. M. aus Leoš Janáčeks „Die Sache Makropulos“ könnte die unsympathischste Frau der Operngeschichte sein. An der Berliner Staatsoper brilliert jetzt Marlis Petersen in dieser Rolle. Das knallt – wenn auch nicht immer mit Absicht.

Es ist kompliziert. Müsste es eigentlich nicht sein. Denn der Erbschaftsprozess, der in Leoš Janáčeks Oper „Die Sache Makropulos“ einen ganzen ersten Akt lang episch ausgebreitet wird und sich seit weit mehr als hundert Jahren hinzieht, ist nur der McGuffin. Nur der detektivische Aufhänger dafür, warum Emilia Marty diese „Sache“ ausficht. Dabei entpuppt sich Janáčeks Titelheldin als eine der unsympathischsten Frauen der gesamten Musiktheaterliteratur. Ein kühles, gefühlloses, männermordendes Biest.

Ihm wurde, deswegen hat sie mildernde Umstände, freilich selbst ziemlich übel mitgespielt, als ihr – Handlungszeit ist Prag 1922 – vor mehr als 300 Jahren ein Elixier eingeflößt wurde, dass ihr das ewige Leben verleiht. Ein Schicksal, das sie schon lange müde erfüllt – in wechselnden Gestalten und Identitäten, die alle mit den Initialen E. M. beginnen.

Es ist eigentlich gar nicht kompliziert. Man muss sich als Regisseur nur auf diese faszinierende Primadonna konzentrieren. 1922 ist E. M., die ursprüngliche Elina Makropulos, als Sängerin reinkarniert. Sie wird von ziemlich lächerlichen Männermotten im Bühnenlicht umschwirrt.

Den Rest macht dann eine tolle Darstellerin schon von selbst. So wie vor fünf Jahren an der Deutschen Oper Berlin die faszinierend reife Evelyn Herlizius. Und jetzt an der Berliner Staatsoper die etwas jüngere Marlis Petersen, die ihre weißlich obertonreiche Stimme gekonnt schillern lässt.

"Die Sache Makropulos" an der Berliner Staatsoper

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In lilafarbene Twenties-Roben ist sie gewandet. Im zweiten Akt mimt sie auch mal die Madame Butterfly. Sie kommt und geht aber immer wieder als ewiger Vampir in einen aseptisch weißen Kühlraum, wo sie zur haarlosen Mumie schrumpelt, die sich – das Orchester schweigt still – an eine vernehmlich laut pumpende eiserne Lunge anschließt. Und nach solch kreativer Sauerstoffzufuhr stürzt sich dieses Monster auf den nächsten Kerl in der langen Reihe. Die Petersen absolviert das souverän, immer Herrscherin der Szene, die sich nimmt, was sie will.

Als sie am Ende schließlich das alte Dokument in Händen hält, dass ihr weitere 300 Jahre Existenzrecht garantieren würde, da verschenkt sie es, unendlich müde und angewidert. Bald brennt es, sie wankt ins Tageslicht und sinkt hernieder. Wären wir jetzt in einem Film, dann würde sie effektsicher zu Staub zerfallen.

In Hobbypsychologenmanier

So friert aber das Finalbild nur ein, so wie Claus Guth in bewährter Hobbypsychologenmanier wieder viele um die Ecke gespannte Subbedeutungstricke einzieht, um diese ganz und gar aktuelle Geschichte zeigefingernd und ein wenig enervierend zu extrahieren.

Da ist also dieser ziemlich jenseitige Aufenthaltsraum der Makropoulos, mit einem Loch in der Wand, an dem sie an einer Art Nabelschnur hängt, auch ein Ariadnefaden-Knäuel liegt bereit. Ein öfter dahintrippelndes Mädchen als Velasquez-Prinzessin erinnert an ihre weit zurückliegende Kindheit, eine am Stock humpelnde Greisin zeigt ihr die Zukunft.

Das Gelass, Étienne Plus hat es gebaut, fährt nach links und rechts. Daneben tun sich jeweils die unnötig verwinkelt gebauten, in der Entstehungszeit der Oper eingerichteten Sets der drei Akte auf: das Archiv einer Anwaltskanzlei, Emilias Theatergarderobe, ihr Hotelzimmer. Alles spielt freilich diesmal meist im Flur davor, in einer Durchgangsstation, wo nun seltsamerweise auch die intimsten Momente stattfinden müssen.

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Guth lässt dauernd die Bewegung innehalten und stoppen. Vervielfachte, walzertanzende Hotelpersonalstatisten und Emilia-Fans verweisen auf die Komödie die Karel Čapeks Stückvorlage eigentlich ist. Das lenkt aber ab vom Eigentlichen, von der großen Betrügerin, die sich unter vielerlei Identitäten, schon auch mal die Epochen verwechselnd, hier plusternd breit macht.

Die Petersen fordert persönlichkeitsstark, fluidumfest ihr Daseinsrecht auf der Opernbühne, breitwandfüllend. Ein Starvehikel, sicher, aber auch ein bei aller Kühle anrührendes Philosophikum über das ewige Leben. Aktuell wäre die Makropulos sicher auf Instagram. Hier nun posiert sie als Charleston-Leuchte und brilliert doch, über das viele Regiehirnschmalz hinweg, mit mädchenhaftem Glockenton und irisierenden Legatolinien gänzlich heutig.

In der Staatsoper knallt es besonders

Teilunterstützt wird sie dabei von Simon Rattle, für den, ebenfalls als Starauftritt, das Werk ausgesucht wurde. 2000 hat er diese dunkel glühende, als Orchesterpartitur komplexeste aller intrikaten Janáček-Opern bereits in Aix-en-Provence mit Anja Silja, einer anderen großen Emilia, dirigiert.

Jetzt begeht er wieder seinen alten Opernfehler: Er ist zu laut, und in der Staatsoper knallt es ganz besonders. Aber schön mysteriös und mäuseflink kleinteilig tönt die hervorragend aufgestellte Staatskapelle, massiv die jenseitigen Fanfaren, farbenfroh die transparenten Dialoguntermalungen, stark der Klangsog, der sich hier parallel zum Plot entwickelt.

Wie immer bei Janáček: Der Sprachfluss gibt den Rhythmus vor, und dem folgt, pausenlos pochend, fein geführt von Rattle, auch das geschlossen perfekte Ensemble. Luxusbesetzt Bo Skovhus als Adelsgigolo Jaroslav Prus, Spencer Britten als sein emphatisch sich gleich selbstmordender Sohn, die drei weiteren Tenöre Ludovit Ludha (Prozessgegner Albert Gregor), Peter Hoare (Anwaltsgehilfe Vitek), Jan Ježek (Altverehrer Hauk-Sendorf), in sich ruhend Jan Martiník (Anwalt) und die glühende Natalia Skrycka als Viteks theaterschwärmende Tochter Krista.

Es ist spannend und deprimierend zugleich, wie sich hier eine tolldreiste Spielerin und Trickbetrügerin in den ihr mehr und mehr den Atem abschnürenden Fäden ihrer nicht selbstgewählten Zombie-Existenz verfängt. Ein empathievolles Stück für eine eigentlich gefühllose Frau. Man muss es an der Berliner Staatsoper einmal mehr bewundern – und lieben auch.

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