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Rued Langgaard „Antikrist“ an der Deutschen Oper: Das Lamm, das wirkliche

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Alles wie gemalt? Nun, das Bühnenbild ist gemalt.
Alles wie gemalt? Nun, das Bühnenbild ist gemalt. Thomas Aurin © Copyright Thomas Aurin

Auch die Deutsche Oper Berlin gibt dem „Antikrist“ des totalen Außenseiters Rued Langgaard mit Sympathie und Hingabe eine echte Chance.

Rued Langgaards „Der Antikrist“, in zwei Fassungen zwischen 1921 und 1930 entstanden, ist nicht einmal eine vergessene Oper, denn sie war auch nie bekannt und ist eigentlich auch keine Oper (eher: ein Oratorium?). Es gab in hundert Jahren keine Handvoll von Inszenierungen, weder die szenische Uraufführung in Innsbruck 1999 noch die geglückte deutsche Erstaufführung vor vier Jahren am Staatstheater Mainz hatten einen ernsthaften Durchbruch zur Folge.

„Kirchenoper“, sagte der Komponist, aber nicht im nüchternen Sinne von Benjamin Brittens Kirchenparabeln, sondern mit dem Pathos von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel. Auch Langgaard schrieb seinen Text selbst. Heller Wahnsinn regiert. Selbst nach der hingebungsvollen und ideenreichen Aufführung, die jetzt die Deutsche Oper Berlin unter der Regie von Ersan Mondtag zeigt, kann man Opernhäuser darum nicht frohen Herzens zur Nachahmung ermuntern. Aber der Abend lohnt, Mondtags Bilder treffen auf eine lebhafte, schwelgerische Musik, die vor allem auf Langgaards Orchesterwerke neugierig macht. Der reine Orchesterpart ist auch übergroß (ein Drittel?), und Stephan Zilias zaubert im Graben so fein, dass Vergleiche mit Richard Strauss, Franz Schreker, Alexander von Zemlinsky und in einigen hochdramatischen Momenten auch mit Richard Wagner nicht zu hoch greifen. Wenn die Morgenglocken schlagen, ist auch italienische Verismo-Atmosphäre nicht fern.

Berlin hat Langgaard (1893-1952) schon zu Lebzeiten Glück gebracht, viel hatte er nicht davon. Der Däne tritt einem im informativen Programmheft als tragisch-verschrobene Gestalt entgegen: ein Wunderkind der Extraklasse, das als Elfjähriger bei seinem ersten Auftritt als Organist Edvard Grieg zu einem begeisterten Brief an die stolzen (ihr einziges Kind selbst unterrichtenden) Eltern veranlasst. Der 19-Jährige erlebt die Aufführung seiner ersten Sinfonie durch die Berliner Philharmoniker. Nicht ein erster, sondern der einzige Höhepunkt seiner Karriere, wie wir traurig erfahren. Langgaard, in der dänischen Musikszene chronisch unerwünscht und seine Landsleute mit seiner aufwallenden Religiosität zusätzlich befremdend, wird und bleibt ein Außenseiter, wiewohl in den zwanziger Jahren sowie gegen Ende seines Lebens hochproduktiv.

„Der Antikrist“ ist sein einziges Musiktheaterwerk. Luzifer will den Antikrist auf die Erde schicken, Gott erlaubt es ihm temporär, der Antikrist mischt die Menschheit in verschiedener Gestalt auf. Er weckt Neugier, Irritation, Angst und Hass, schürt Gier und Lüge, ist ein schamloser Verführer, so dass im Bizarren ein unangenehmer Kern Gegenwart steckt. Nach anderthalb Stunden hat Gott genug davon (Gott sei tot, deklamiert soeben noch der übermütig gewordene Luzifer) und macht dem Spuk ein Ende. Alles ist wieder gut. Vor allem Sünde, Groll und diffuser Schrecken werden im (hier auf Deutsch gesungenen) Text als verrätselte Wortkaskaden vermittelt. Man nimmt es am besten atmosphärisch, und das ist in der Tat eine Spezialität des Regisseurs Mondtag, der auch für das dominante Bühnenbild zuständig war.

Einem Bühnenbild nicht wie gemalt, sondern gemalt. In einer knallbunten, vielfältig ausgeleuchteten expressionistischen Straße ist zuerst die Tanztruppe zu sehen, die die ganzen 90 Minuten mit einer Choreografie von Rob Fordeyn das Geschehen in Bewegung halten wird. Das große Bild, das sich nachher im Hintergrund herunterschiebt, erkennt man nur mit Hilfe des Programmhefts als sich nach oben biegende Straße aus dem Film „Inception“. Das herniederstürzende Papiertaxi ist allemal effektvoller.

Die Kostüme sind ebenfalls gemalt, anliegende Ganzkörpertrikots, für die Sängerinnen und Sänger auch grelle Maskeraden: Valeriia Savinskaia und Irene Roberts als „Echo der Rätselstimmung“ und „Rätselstimmung“ (in dieser unorthodoxen Reihenfolge) tragen über ihren Trikots gewaltige Klimt-Gemälde-Hochsteckfrisuren. „Der Mund, der große Worte spricht“ hat einen wahrhaft großen Mund. Die Originalbesetzung musste für die Premiere infektionsbedingt absagen, Thomas Blondelle (der an diesem Abend in Amsterdam in einer infektionsbedingt abgesagten „Salome“ hätte auftreten sollen) sang von der Seite, während der Mund ironischerweise stumm gespielt wurde (vom Choreografieassistenten). „Der Missmut“ (Gina Perregrino als Zausel), „Das Tier in Scharlach“ (AJ Glueckert unterm Riesenhörnerpaar) oder die bald alles beherrschende und nicht totzukriegende „Große Hure“ (Flurina Stucki als überdimensionaler nackter, fröhlicher Hermaphrodit) sind so fantastisch wie gut erkennbar.

Mit dem religiösen Gehalt geht Mondtag originell um. Luzifer, der vehemente Bariton Thomas Lehman, steckt im gemalten Anzug im Stil einer Oskar-Schlemmer-Figurine und gibt sich jovial. „Gottes Stimme“ wird von dem Schauspieler Jonas Grundner-Culemann reingeschrien, reingeplärrt – pfiffig, dass er nicht donnert, denn wer nicht singen kann, ist in einem Musiktheaterwerk natürlich von vornherein im Nachteil. Als Ausgeburt des Teufels robbt er wie frisch geboren (frisch geschöpft, noch schleimig, blutig) und ganz verwirrt auf die Bühne, begrüßt als „das Lamm, das wirkliche“ und seinerseits in eine voluminöse Figurine gesteckt.

Eine riesige Puppe schwebt von oben ein, das ist er als Gehängter, der nachher ohne Schlinge kurzerhand zum Auferstandenen wird. Als beim Herniederstürzen des Taxis ein Tänzer Schaden nimmt, erlebt er verdutzt seine eigene Wunderheilerkraft. Er bleibt ein armer, aber sympathischer Wurm, der das Happyend nackt, dass es klackt, am Busen der „Großen Hure“ erleben wird. Das ist nicht ganz das, was Langgaard mit himmlischem Frieden meinte und den Schlusschor intonieren lässt, aber es ist schön und friedlich. Jubel nach der Premiere, und eine Dame, die die Regie ausbuhte, blieb allein wie selten.

Mondtag wird schon in knapp 14 Tagen in Kassel einen „Freischütz“ auf die Bühne bringen, tausendfach beackertes Terrain. Wer seinen Bilderfluten gelegentlich misstraut, ist jetzt aber gespannt wie ein Flitzebogen.

Deutsche Oper Berlin: 5., 9., 11. Februar. www.deutscheoperberlin.de

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