Der Welt entrückt – „Die Fledermaus“ an der Oper Stuttgart

Staatsoper Stuttgart/DIE FLEDERMAUS/Foto @ Martin Sigmund

Die großen und kleinen Opernhäuser im deutschsprachigen Raum entstauben alljährlich um den Jahreswechsel herum ihre Produktion von Johann Strauß‘ „Die Fledermaus“. Sie ist eine der wenigen Operetten, die sich dank ihres genialen Librettos und aufgrund ihrer Tiefgründigkeit bis heute neben den großen Werken der Klassik und Romantik im Spielplan der Opernhäuser hat durchsetzen können.  Die Rezeptionsgeschichte dieser Operette besteht jedoch zumeist aus Inszenierungen in verstaubter „historisch-traditioneller“ Manier mit abgedroschenen österreichischen Kalauern, oder dem anderen Extrem, einer Regie im Stil eines völlig überdreht-schrillen Kindergeburtstags. Zumeist verkennen die Regisseur*innen die Tiefgründigkeit des Operettenlibrettos und wissen den Stoff nur an der Oberfläche zu verarbeiten – nicht so an der Oper Stuttgart, die mit der knapp zehn Jahre alten Produktion von Philipp Stölzl einen wahren Geniestreich einer „Fledermaus“ in ihrem Repertoire führt. Bekanntermaßen ist Humor die Königsdisziplin der Bühne, in Stuttgart wusste Stölzl diese zu meistern! Er verbindet traditionelle Kostüme und konservative Ausstattung mit den Elementen zeitgenössischer Opernregie, die von außen in die abgeschirmte heile Operettenwelt, der Welt Johann Strauß, eindringt und diese vereinnahmt. Das szenisch eindrucksvolle Bühnenbild dreht sich dabei in der Vertikalen, man singt von der Decke, die Welt steht Kopf! (Besuchte Vorstellung am 20.12.2021)

 

In der stattlich ausgestatteten Stube der von Eisensteins, Gabriel und seiner Frau Rosalinde, nimmt die Geschichte in der Biederkeit des 19. Jahrhunderts ihren Lauf. Die Kostüme und Requisiten lassen noch nicht erahnen, dass der eingangs heitere Scherz einen tragischen Ausgang finden wird. Denn um das sichere Zuhause der von Eisensteins windet sich der Wonnegarten des Prinzen Orlofsky, der als eine Art Harlekin der Nacht die gesellschaftlichen Strukturen beobachtet und diese aufzubrechen versucht. Orlofsky verführt mit seinem Komplizen Dr. Falke, der mit schwarzer Maske als nächtlicher Rächer, eine Art Zorro, charakterisiert wird, alle Figuren in einen Mitsommernachtstraum. In diesem konfrontiert der Prinz die Menschen mit ihrem unterdrückten und ungezügelten tierischen Verlangen.

Staatsoper Stuttgart/DIE FLEDERMAUS/Foto @ Martin Sigmund

Indem der Regisseur den vordergründigen Humor des Librettos etwas bearbeitet hat, bleiben all die Späße ambivalent. Es wird zwar ausgiebig gelacht, aber manch einem bleibt der Humor dann doch im Halse stecken. Die Scherze an der Oper Stuttgart haben Substanz und Tiefe, und auch ein subtiler Spaß kann eine Figur in ihren seelischen Abgrund stürzen lassen. So nimmt in Philipp Stölzls Deutung Gabriel von Eisensteins Techtelmechtel ein erschreckendes Ende, seine Frau zeigt kein Pardon und sperrt ihn in einen Sarg. Denn Rosalinde hat im Wonnegarten ihre wahre Persönlichkeit gefunden, sich emanzipiert, und mit dem Tode ihres Gatten auch das Patriachat des 19. Jahrhunderts zugrunde gehen lassen.

Während so manche szenische Wiederaufnahme anderer Opernhäuser nur noch ein Schatten ihrer Premierenserie ist und die Aufführung zu kostümiertem „Rampensingen“ verkommt, schafft es die Oper Stuttgart stets aufs Neue, trotz gänzlich neuer Besetzungen ihre Personenregie auch über Jahre beizubehalten, gar den Charme und die Tiefe in Mimik und Gestik zu schärfen und dadurch das Gesamtbild einer Aufführung noch zu steigern. Maßgeblich prägte Ensemblemitglied Matthias Klink diese Wiederaufnahme in Form seines schon zu Beginn gescheiterten und stets am persönlichen Abgrund taumelnden Gabriel von Eisenstein. Klink bewies sich als Charaktertenor par excellence, der mit psychisch-eindringlicher Mimik ein zwiegespaltenes Rollenporträt zeichnete. Obgleich es ja eigentlich eine humoristische Partie ist, legte er all die düsteren Seiten seiner Figur offen. Ihm gegenüber, als Gastsolistin dieser Aufführungsserie, konnte Astrid Kessler in der Partie der Rosalinde gewonnen werden. Am Nationaltheater Mannheim gilt sie als Publikumsliebling, auch an der Oper Stuttgart ließ sie mit ihrer klaren, leuchtende Sopranstimme die Herzen höher schlagen.

Es ist jedoch ihr natürlicher und unaffektierter Gesangsvortrag, geprägt durch ihr exemplarisches Wort-Ton-Verständnis, mit der sie jede ihrer Figuren zum Leben erweckt. Kessler charakterisierte eine Rosalinde voller Stolz und Raffinesse, der sie mit einzelnen Spitzentönen die ihr gebührende Autorität verlieh.

Staatsoper Stuttgart/DIE FLEDERMAUS/Foto @ Martin Sigmund

In all den weiteren Partien zeigte sich wieder einmal das außerordentlich hohe Niveau des Ensembles der Staatsoper Stuttgart. Beispielsweise Kai Kluge in der Rolle des Alfreds, dessen Tenorstimme einfach ideal in der Kehle sitzt und bei dessen Gesang einfach jede Frau, nicht nur Rosalinde, schwachwerden muss. Oder Ida Ränzlöv als Orlofsky, die zwischen tiefster Tragik und irrwitziger Komik jegliche Gefühlsschwallungen in Mimik und Gestik umzusetzen wusste. Mit ihrer mesmerisierenden, cremigen Mezzo-Stimme zeichnete sie ein intensives Rollenporträt. Beate Ritter war als Adele ein aufmüpfiges, aber dennoch charmantes Stubenmädchen, das sowohl szenisch als auch stimmlich von Talent strotzte. In gekonnt überzeichneter wienerischer Manier sorgte sie für den komischen Ausgleich am Abend und beeindruckte als agile und charismatische Koloratursopranistin.

Erst kürzlich bewies Cornelius Meister als Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart in der konzertanten Aufführungsserie von Richard Strauss „Der Rosenkavalier“, dass ihm auch die Walzer liegen. Sein Dirigat der „Fledermaus“ war durch ein recht gemächliches Grundtempo geprägt, dass er in exzellent ausgearbeiteten Übergängen immer wieder anzog und mit überraschend düsteren Klangfarben versah. Meister stellte in den dramatischen Szenen das tiefe Blech in den Mittelpunkt, webte dieses in seinen saftigen Streicherklang, um dann von einen auf den anderen Moment mittels gekonnter Holzbläsereinsätze den Wechsel zurück zum Humoristischen zu finden. Außerordentlich spannend und für eine Operette ungewöhnlich aufwühlend, ließ er es aus dem Orchestergraben klingen. Meisters faszinierendes und spannungsvolles Operettendirigat lässt den neuen Stuttgarter Ring-Zyklus im kommenden Jahr umso mehr antizipieren.

 

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