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  3. Berliner Staatsoper: Uraufführung von Peter Eötvös’ „Sleepless“: Muttermord unter der Mittelgräte

Kultur „Sleepless“ in Berlin

Muttermord unter der Mittelgräte

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Monströses Bühnenbild von „Sleepless“ Monströses Bühnenbild von „Sleepless“
Monströses Bühnenbild von „Sleepless“
Quelle: Gianmarco Bresadola
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An traumatischen Familiengeschichten herrscht kein Mangel. Peter Eötvös, der vielleicht bedeutendste zeitgenössische Opernkomponist, hat dem Genre mit „Sleepless“ eine besonders mordlüsterne Erzählung hinzugefügt. Das Publikum an der Berliner Staatsoper war begeistert. Aber etwas Entscheidendes fehlt.

„Wer sich in die Familie begibt, kommt darin um.“ Das wusste schon Heimito von Doderer. An diesem Berliner Opernwochenende war das gleich zweimal zu erleben.

An der Komischen Oper ging wieder einmal Leoš Janáčeks „Katja Kabanova“ ins Wasser. Natürlich ohne Wolga. Die Niederländerin Jetske Mijnssen vergiftet die russische Kaufmannsfrau lieber in ihrem so gar nicht heimeligen Wohnzimmer.

Die Außenwelt als Richter über die Untreue der so verzweifelten wie reuevollen Katja kommt gar nicht vor. Selbst hinter den selten offenen Scheunentoren dieser unfrohen, sich verschiebenden Innenräume, wo einem die Luft zum Leben und Atmen schon optisch abgeschnürt wird, da dräut nur Dunkel und Nebel.

Trailer zu Peter Eötvös' Oper "Sleepless"

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Des Meeres wie der Liebe Wellen, die wiederum an der Staatsoper in der Uraufführung von Peter Eötvös’ Oper „Sleepless“ beschworen werden, sie finden ebenfalls szenisch nicht statt. Es gibt dafür Nebel, Wölkchen und einen vermutlich mutierten, noch über die Straßenlaterne hinausreichenden, schön halbrund geschwungenen Monsterlachs (von Monika Pormale erdacht). Der präsentiert sich auf der einen Seite schön fischig, inklusive in diversen Farben leuchtendem Glupschauge.

Auf der Innenseite aber legt er alles offen, anatomisch wie erzählerisch. Unter des Fisches Mittelgräte, gleich neben dem Filet, wird vom Schwiegersohn in spe schon bald die trashige Mutter der Gefährtin um die Ecke gebracht. Und eine Drehung weiter steht ein Kühlschrank, in dem wenig später die immer noch wunderbar mezzoprall singende Hanna Schwarz als alte Dame entsorgt wird.

Szene aus „Sleepless“ nach einer Erzählung von Jon Fosse
Szene aus „Sleepless“ nach einer Erzählung von Jon Fosse
Quelle: Gianmarco Bresadola

Lindenopernintendant Matthias Schulz, eigentlich ein freundlich fröhlicher, zum Lachen aufgelegter Mensch, hat offenbar eine Vorliebe für deprimierende Familiengeschichten, zumindest wenn es um zeitgenössisches Musiktheater geht. Und so folgt dort nun, nach dem eher abtörnend palavernden Klimaschocker „Violetter Schnee“ von Beat Furrer (2019) und dem sexmüden Heiner-Müller-„Quartett“ in der noch schläfrigeren Luca-Francesconi-Vertonung (2020) eben „Sleepless“, wieder die Veroperung eines Textes von Jon Fosse.

Der steht wie kein anderer seiner schreibenden nordischen Landsmänner für Melancholie, Regen und Fisch, vor allem aber für unglückselige Familienaufstellungen. Alles nicht wirklich greifbar, oftmals mischen sich in Fosses Werken soghaft Ahnungen aus Vergangenheit und Gegenwart, Unwirkliches und tatsächlich Passiertes, Lebende und Tote.

Die Oper scheint solche Depressiva anzuziehen. So geschehen bereits in Berlin 2016 an der Deutschen Oper mit der Georg-Friedrich-Haas-Vertonung „Morgen und Abend“, die kaum Nachwirkungen hinterließ. Haas hat in Paris bereits 2008 Jon Fosses „Melancholie“ für die Klangbühne adaptiert.

„Meine Musik ist Theatermusik“, hat Peter Eötvös immer gesagt. Und es stimmt auch. Der heute neben György Kurtág wirkungsmächtigste ungarische Komponist wird vielleicht deshalb auch so viel gespielt im zeitgenössischen Musikbetrieb. Denn anders als Kurtág hat er nicht nur offensiv für die große Form komponiert, die Klänge, die der 77-Jährige zu Papier bringt, sie sind immer dramatisch, bildsatt, plastisch und ja, eben theatralisch.

Zwei Jugendliche verirren sich

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Ganz besonders in seinen Bühnenwerken, 13 hat Eötvös bisher geschaffen. Die werden gern von den Theatern genommen, ja sogar nachgespielt – weil sie meist eine Geschichte erzählen und weil sie nicht selten schlagkräftige Vorlagen haben: ob von Jean Genet, Tony Kushner, Anton Tschechow, Gabríel Garcia Marquéz oder den deutschen Dramatikern Albert Ostermeier und Roland Schimmelpfennig.

„Sleepless“, vom Grand Théâtre de Génève koproduziert, wurde von Eötvös‘ Frau Mari Mezei auf Englisch dramatisiert. Erzählt wird von zwei nicht eben zielgerichteten Jugendlichen, Alida und Asle, die durch einen norwegischen Küstenort irren.

Es ist Spätherbst, es ist kalt, und Alida ist hochschwanger. Bei sich haben sie nichts als die zwei Bündel und einen Geigenkasten von seinem Vater. Niemand will ihnen Unterschlupf gewähren. Ihre Verzweiflung wird immer größer. Schließlich verschaffen sie sich Zugang zu einem fremden Haus.

Gesellschaft im Schatten des Monsterlachses: „Sleepless“ an der Berliner Staatsoper
Gesellschaft im Schatten des Monsterlachses
Quelle: Gianmarco Bresadola

Wo im Buch vieles in der Schwebe bleibt, inszeniert es der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó realistisch aus. Während Asle sich liebevoll um Alida kümmert, tötet er mindestens vier Menschen, die sich um die beiden nicht oder zu wenig scheren.

Im (Alp-)Traumfisch geht es dabei ziemlich handfest zu. Zwischen Booten sind raue Kerle in Gummiklamotten unterwegs (dem Männersextett, antworten aus den Prozeniumslogen sechs traumschön schwebende, stimmungsfördernde Soprane). Die lassen es in der Kneipe krachen, und als sich Asle an der aufreizenden Tochter eines Dorfbewohners vergreift, wird er ohne jeden Prozess aufgeknüpft.

Die ziemlich verstrahlt nur mit dem frischgeborenen Baby beschäftigte Alida scheint das nicht zu überraschen. Scheinbar willenlos geht sie mit einem älteren Mann davon, der dem Sohn ein neuer Vater sein will. In einer Vorausblende erinnert sie sich an früher, wieder tönt die Geige – und Alida geht ins Wasser.

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Dem durchaus zahlreich erschienenen Publikum hat dieses schlichte, eigentlich aufwühlende, aber in dieser tranig ästhetisierenden Umsetzung eher sedierende Geschehen offenbar gefallen. Es gab demonstrativ viel Beifall. Vielleicht auch, weil Peter Eötvös eigentlich immer das komponiert, was man auch sieht. Zudem dirigierte er ganz wunderbar dicht die motivierte, plastisch und fein klingende, transparent aufgefächerte Staatskapelle bis zum letzten, sanft verklingenden Soloviolinenton.

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Eötvös nutzt eine normale Orchesterbesetzung mit ein wenig mehr Perkussion, die nie überwältigt oder gar verstört, immer schön domestiziert und wohlklingend bleibt. Die Leerstellen der Vorlage, sie sind hier alle mit Bedeutung und Klang erfüllt. Der zweiaktige Zweistünder, der sich als Genre „Opera Ballad“ nennt, präsentiert sich als well made music play.

Da wird schillernd vielgestaltig, aber nie nervig schrill und sehr textverständlich gesungen, oft auch parliert. Alida ist eine sonore Sopranrolle, Viktoria Randem singt sie mit üppiger Gleichmut und schönen Schattierungen.

Der sehr helle, hohe Tenor Linard Vrielink ist toll als der mehr borderlinige, kahlköpfig-nervöse Mörder Asle. Auch die episodischen Rollen, die Mutter und Amme, ein Bootsmann, ein Mann in Schwarz, ein Mädchen sind mit Katharina Kammerloher, Roman Trekel, Tómas Tómasson und Sarah Defrise hervorragend besetzt.

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Jan Fosses Anspielungen an die biblische Herbergssuche von Maria und Joseph, der Vergleich mit allzu aktuellen Flüchtlingen, das mordenden Pärchen Bonnie und Clyde in der Regenhautvariante, das alles versagen sich Komponist und Regisseur. Mundruczó schwelgt in seinem einmal gefundenen, gleichmütig sich drehenden Fischsymbol in schönen, oft auch nur kitschigen Bildern, wenn etwa die wollige Wattewolke das Hängen Asles verhüllt. Als musikalisch gleichnishaftes Märchen bleibt das sehr hermetisch, rührt nicht wirklich an.

Der meisterlich orchestrierende, raffiniert schlichte Peter Eötvös aber tönt in seinen durchfeuchteten Naturschilderungen ein wenig wie Claude Debussy, etwas mehr wie Benjamin Britten, wenn die Männer aufeinander rumpeln; anfangs auch mit Signalglocken.

Eötvös liebt etwas zu distanziert

Und er gleißt, glitzert und funkelt wie Richard Strauss, wenn die Handlung in einem Juwelierladen Station macht. Dort kauft Asle ein Armband für Alida, obwohl er eigentlich kein Geld hat. Er liebt sie wirklich: nur mit der falschen Strategie und fatalen Aktionen. Eötvös aber liebt etwas zu distanziert. Man wird nie warm mit diesem seltsamen Personal.

Irgendwie ist hier keiner selbst seinem traurigen Leben gewachsen. Die Oper ist also um eine dysfunktionale Familien- und Pärchengeschichte reicher. Doch ist das Repertoire damit bereits reich gefüllt. Möge man sich mit dem nächsten singenden Fosse also ruhig etwas Zeit lassen.

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