Peter Eötvös’ Opernballade „Sleepless“ erlebte an der Staatsoper die Uraufführung. Es ist ein zutiefst sozialkritisches Stück geworden.

Es ist eine uralte Menschheitsgeschichte, die sich aus zwei Perspektiven erzählen lässt: Entweder zieht jemand hinaus in die Fremde, oder aber jemand Fremdes kommt ins Dorf. In unserer von Flucht geprägten Gegenwart ist vor allem letztere Blickweise anzutreffen. Komponist Peter Eötvös erzählt in seiner Opernballade „Sleepless“, die am Sonntag in der Staatsoper Unter den Linden eine sogar mit stehenden Ovationen gefeierte Uraufführung erlebte, die Geschichte der hochschwangeren Alida und ihres Freundes Asle, die vergeblich nach einer Bleibe suchen, weil sie von der Gesellschaft abgewiesen werden.

Vom ungarischen Komponisten Peter Eötvös (77) lässt sich behaupten, dass er an der Musikgeschichte mitgeschrieben hat. Für seine dreizehnte Oper hat er wieder auf eine literarische Vorlage zurückgegriffen, seine Frau Mari Mezei hat das Libretto nach Jon Fosses „Trilogie“ geschrieben. Man ist dicht am Original geblieben und hat sich zugleich weit entfernt. Bleibt bei Fosse vieles im Schwebezustand, im Zeit- und Atemlosen, lässt Eötvös in dreizehn Szenen eine pralle Bühnenrealität vorführen.

Die Oper wird auf Englisch gesungen und hat deutsche Übertitel

Es ist ein zutiefst sozialkritisches Stück geworden. Auf ein Opfer wird lieber dreimal eingeschlagen als es nur poetisch anzudeuten. Die Umdeutung ist ein legitimer künstlerischer Prozess. Fosse wollte das Libretto nicht lesen, mit der Oper würde er wohl fremdeln. An der Staatsoper wird auf Englisch (mit deutschen Übertiteln) gesungen, es ist also eine über den deutschsprachigen Opernbetrieb hinaus weltweite Verbreitung angestrebt.

Zwei Stunden dauert die in Norwegen verortete Opernballade. So tragisch, grau und grausam das Stück auch ist, es wird viel fürs Auge geboten. Monika Pormale hat beim Bühnenbild und bei den Kostümen aus dem Vollen schöpfen können. In Zentrum krümmt sich ein riesiger Fisch, der gedreht wird und im Inneren verschiedene Szenerien wie eine Bar oder die Wohnung von Alidas versoffener Mutter freigibt. Hinter einem kalt drohenden Fischauge sind Türen verborgen. Es wird eine unwirkliche Naturwelt vorgeführt.

Asle begeht drei Morde, um seine schwangere Frau zu schützen

Regisseur Kornél Mundruczó führt die Menschen in ihrer Herzlosigkeit und Brutalität vor. Asle begeht drei Morde, um seine schwangere Frau zu schützen. Dafür wird er hingerichtet. Sie folgt ihm Jahre später und geht ins Meer. Das Ende wird mit Wölkchen fast religiös zelebriert. Vor der Uraufführung hieß es, es handele sich bei „Sleepless“ auch um eine Art Weihnachtsgeschichte. Das muss man bei der Regie verneinen.

Die Musik von Eötvös ist ebenso berauschend und farbenreich wie illustrativ. Es ist eher eine opulente Bühnenmusik, bei der sich kaum eine konzertante Aufführung vorstellen lässt. Man glaubt, ein wenig Bartóks Farben, ein bisschen Wagner in der Juwelier-Szene oder auch Brittens Härte herauszuhören. Aber ein Eötvös setzt seine eigenen ästhetischen Ansprüche, die Szenen hat er im Quintenzirkel angelegt und musikalisch raffiniert Spannungen aufgebaut. Seine folkloristischen Gegenwelten hat er norwegischen Musiktraditionen abgelauscht.

Die norwegische Sopranistin Victoria Randem ist Star des Abends

Die Staatskapelle hat sich auf die Neue Musik eingelassen, was kaum verwundert, denn am Pult dirigierte der Komponist liebevoll sein eigenes Werk. Es ist es eine richtige Sängeroper geworden. Auch wenn die großen und kleinen Rollen durchweg hörenswert besetzt sind, gibt es an der Staatsoper einen Star. Die norwegische Sopranistin Victoria Randem kann als Alida mitfühlende Momente ersingen. Auch Linard Vrielink gelingt es als Asle, die Zerrissenheit eines hilflos liebenden Mörders darzustellen.