Ein Weltenende mit Cliffhanger: Stefan Herheims „Götterdämmerung“ an der Deutschen Oper Berlin

Deutsche Oper Berlin/ GÖTTERDÄMMERUNG/ Foto @ Bernd Uhlig

Gleich zu Beginn der Spielzeit der Deutschen Oper Berlin kommt die lang erwartete „Götterdämmerung“, der finalen Part der Tetralogie Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ in der neuen Inszenierung von Stefan Herheim zur Premiere. Endlich wieder im voll besetzten Opernhause, inszeniert Herheim auch den vierten Abend des Rings weiterhin auf hohem szenischem Niveau. Der Regisseur hat es sich jedoch etwas einfach gemacht und ein doch recht profanes, gar inhaltsleeres Finale für sein zuvor so eindrucksvolles und anregendes Konzept gefunden. Seine starken Ideen aus dem „Rheingold“ und der „Walküre“ führt er konsequent fort, seine repetierenden Stilmittel mit weißen Laken, unzähligen Koffern und einem zentralen Klavier, bei welchem jene Figur die Handlung bestimmt, die gerade in die Tasten greift, haben sich zunehmend erschöpft. Mit viel Witz bleibt seine „Götterdämmerung“ zwar kurzweilig, schweift jedoch zunehmend in Banalitäten ab, die Stefan Herheim eigentlich nicht nötig gehabt hätte und die man bei ihm auch nicht erwartete. (Besuchte Vorstellung am 24.10.2021)

 

Es ist Kritik auf hohem Niveau! Im Vergleich zu den meisten anderen Wagner-Inszenierungen auf den Opernbühnen dieser Welt bleibt es Stefan Herheim hoch anzurechnen, dass er sich differenziert und tiefgründig mit Richard Wagners Werk befasste und seiner Rezeptionsgeschichte auch noch etwas beifügen konnte. Dem Regisseur ist nun eine Deutung gelungen, die gleichermaßen unterhält, beeindruckt und selbst Kenner des Rings noch zum Nachdenken animiert. In die Fußstapfen eines Götz Friedrichs zu treten, dessen Regie die letzten Jahrzehnte an der Deutschen Oper Berlin polarisierte, hätte auch misslingen können, dies ist bei Herheim glücklicherweise nicht der Fall. Und doch blickt man nach dem Finale der „Götterdämmerung“ zurück und fragt sich, ob dies wahrlich der Weisheit letzter Schluss gewesen ist? Die Bühne leert sich, all die Sagenfiguren sind im Dunst der Nebelmaschine verschwunden, nur bunte Scheinwerfer leuchten bedeutungsschwanger ins Publikum. Nach dem erlösenden „Starke Scheite“ von Brünnhilde bildet das Anfangsbild des Rheingolds auch den Schluss der Götterdämmerung: Das Requisitenlager ist wiederhergestellt, die illusionierende Theatermagie ist verschwunden und ein unscheinbares, abgedecktes Klavier steht auf der Bühne. Als sei nichts weiter gewesen, fegt eine Reinigungskraft das Konfetti auf dem Fußboden zusammen und entstaubt das Instrument – dieser Zyklus könnte jederzeit und für jeden Menschen erneut beginnen! Selbstverständlich ermuntert die Szene zum Schmunzeln, aber nach einer „Walküre“, die das Publikum nur zu begreifen vermochte, wenn es Wagners Biografie kennt und die inneren Konflikte mit ihrem Zwiespalt zwischen Macht und Liebe verinnerlicht hat, wirkt dieses Finale in seiner Intellektualität doch etwas anspruchslos und aussagearm.

Deutsche Oper Berlin/ GÖTTERDÄMMERUNG/ Foto @ Bernd Uhlig

Freilich sind Stefan Herheim als versiertem Opernregisseur mittels alter Theaterkniffe zahlreiche starke Bilder gelungen: Etwa wie der Zwerg Alberich, verkleidet als Joker – Jürgen Linn in dunkler, furchteinflößender Deklamation – seinen Nibelungensohn Hagen manipuliert, und dieser fremdgesteuert durch die ersten Reihen des Auditoriums wankt. Ebenso eindrucksvoll auch der ansonsten doch langwierige Waltraute-Monolog, bei welchem der Regisseur die Göttersippschaft, Wotan mitten unter ihnen, im Hintergrund platziert. Erstarrt hat der Göttervater seine Macht aufgegeben und wartet nun auf das Weltenende, vernimmt dabei teilnahmslos und in Gedanken versunken den nervenzehrenden Dialog seiner beiden Töchter.

Die Deutsche Oper Berlin kann sich glücklich schätzen, welch begnadete Sängerinnen und Sänger, allesamt exzellent im Schauspiel, überzeugend in Mimik und Gestik, ihr für diese Premierenserie der „Götterdämmerung“ zu Seite standen: Besonders positiv überraschte Clay Hilley in seiner Rolle als Siegfried, denn Hilleys Name ist in der Szene der Wagner-Tenöre, die ja nicht gerade üppig ist, bislang wenig bekannt. Mit seiner jugendlich-hellen Stimme, die gar nicht mal sonderlich heldenhaft, sondern fast schon lyrisch und melodiös daherkam, gleichermaßen die große Bühne füllte, gestaltete er einen sympathischen Siegfried. Ob ihm auch die Schmiedelieder gelingen werden, bleibt noch abzuwarten, denn bekanntermaßen ist der „Siegfried“ für seine Titelpartie umso kräftezehrender und herausfordernder. Stimmlich furchteinflößend, gleichermaßen mit schönem Legato entwickelte sich der Hagen von Albert Pesendorfer zur Überraschung des Abends. Der Bass-Sänger ist kurzfristig eingesprungen und wusste doch auch szenisch vollends zu überzeugen.

Der pure Wahnsinn, in welch stimmliche Register und unzähligen Klangfarben Okka von der Damerau ihre Partie der Waltraute zu führen vermochte. Die Ausnahmesängerin gab der „kleinen Schwester Brünnhildes“ – wie Martha Mödl die Rolle einst bezeichnete – eine inniges, fesselndes Rollenporträt, welches ihr anstehendes Brünnhilde-Debüt an der Oper Stuttgart umso mehr herbeisehnen lässt.

Deutsche Oper Berlin/ GÖTTERDÄMMERUNG/ Foto @ Bernd Uhlig

Über allen thronte Nina Stemme, die bedeutendste dramatische Sopranistin unserer Tage, der Inbegriff einer Brünnhilde, wie es derzeit keine Zweite gibt. Obgleich ihre Höhen in den letzten Jahren etwas nachgelassen haben, ist es die Stahlkraft, ihre festsitzende Stimme und das absolute Rollenverständnis, mit dem sie nach wie vor das Publikum in ihren Bann zieht. Unvergleichbar stark stand sie im Schlussgesang der Brünnhilde in der Bühnenmitte und schmetterte felsenfest ihre „Starke Scheite“ in Richtung des Publikums.

Die einzige Trübung des Abends blieb Sir Donald Runnicles als Generalmusikdirektor am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin. Er führte zwar sicher und versiert durch die Partitur, seine Musikerinnern und Musiker waren allesamt in ordentlicher Verfassung, blieben jedoch orchestral zu sehr im Hintergrund und so wirkte das Orchester mehr begleitend als vorantreibend. Man wünschte sich etwas mehr Feuer aus dem Graben, denn gerade in der Götterdämmerung ist nichts wichtiger als ein spannendes Dirigat.

Deutsche Oper Berlin/ GÖTTERDÄMMERUNG/ Foto @ Bernd Uhlig

„Man soll den Ring nicht vor dem Abend loben“ oder so ähnlich sagt es ein altes Sprichwort. Zwar „weiß man, wie es wird“, aber die Zusammenhänge von Herheims Konzept haben sich ohne den „Siegfried“ nicht vollends erschlossen. Dieser wird erst in wenigen Wochen zur Premiere kommen und lediglich in zyklischen Aufführungen zu sehen sein, Einzelvorstellungen sind in dieser Spielzeit nicht mehr geplant. Vermutlich wird man aber auch nach dem „Siegfried“ noch kein abschließendes Resümee ziehen können. Zu komplex sind die Sprünge von Zeit und Ort des Regisseurs, zu umfangreich die Details und Referenzen zum Libretto Richard Wagners.

Dem geneigten Kritiker wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als diesen neuen Herheim-Ring noch einmal, in seiner Vollendung, in zyklischer Aufführung zu besuchen. Nur so lässt sich die wahre Größe dieser Regie erahnen, über mehrere Jahre verteilte Einzelvorstellungen helfen hier niemandem weiter. Und sehenswert bleibt dieser Ring-Zyklus doch auch ein zweites oder drittes Mal!

 

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