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WIEN / Theater an der Wien: RAPPRESENTATIONE DI ANIMA ET DI CORPO

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Alle Fotos: © Werner Kmetitsch

WIEN / Theater an der Wien:
RAPPRESENTATIONE DI ANIMA ET DI CORPO von Emilio de‘ Cavalieri
Premiere: 19. September 2021
 

Wer alt genug ist, dabei gewesen zu sein, erinnert sich an die Aufführungen von Cavalieris „Rappresentatione“ bei den Salzburger Festspielen, 1968 in der Felsenreitschule und, noch schöner, 1973 in der Kollegienkirche. Das waren natürlich Orte, in denen man das aus den mittelalterlichen Mysterienspielen geborene Renaissance-Operntheater in barocke Spektakel verwandeln konnte, denn die Intention blieb durch Jahrhunderte, wo der Glaube und die Katholische Kirche herrschten, gleich.

Worum sich heute nur noch Esoteriker und sehr fromme Zeitgenossen bekümmern, nämlich dass der Mensch außer dem Körper noch eine Seele hat, war einst allgemeiner Konsens,  ein wichtiges Thema, das Leben und Tod umspannte. Und dass Gedankenkonstrukte  als Allegorien auf die Bühne gebracht wurden, nicht zuletzt zur Reflexion über die eigene Existenz, das gab es in Theaterstücken und Opern. „Rappresentatione“ ist dafür eines der wichtigsten Beispiele.

Die Doppelexistenz des Menschen steht im Mittelpunkt – er ist Corpo und Anima, also Körper und Geist, Leib und Seele, hier aufgeteilt auf Mann und Frau, die zusammen gehören und dennoch mehr als einmal in verschiedene Richtungen streben. Zu Beginn gemahnt „Tempo“, die Zeit, daran, „dass alles gleitet und vorüberrinnt“, wie Hugo von Hofmannsthal es so wunderbar ausdrückte – also, dass das Leben verdammt kurz ist und man es nützen sollte. Das gilt übrigens auch für die Menschheit von heute, wie der Rest der Geschichte, das fromm-drohende Gleichnis, in der Substanz auch für unsere Zeit völlig richtig ist.

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Von den Verführungen der Welt ist die Rede und von der Frage, wie man gut und richtig leben soll. Selbstverständlich endet der Weg durchs Menschenleben versöhnlich, wer ein guter Christ ist, darf sich zwar vor dem Höllenschauer gruseln, wird aber erlöst werden… Diese Hoffnung allerdings ist heute nicht mehr sehr verbreitet, die Frage nach dem richtigen Leben schon.

Wenn das Theater an der Wien an den Beginn der letzten Spielzeit von Roland Geyer dieses gewichtige Werk aus der Frühzeit der Oper an die Spitze der Saison stellt, ist das Konzept – vom Barock bis zur Moderne hat sich dieser Intendant nur selten auf ausgetretenen Pfaden bewegt (heuer tut er es noch am ehesten, wenn er Hits wie „Tosca“ oder „Jenufa“ spielt). Dergleichen nicht von Castellucci, aber auch nicht, gäbe es ihn noch, von Zeffirelli inszenieren zu lassen, erfordert Fingerspitzengefühl in der Wahl des Regisseurs. Robert Carsen hat sich schon oft als ideale Lösung erwiesen – und er ist es hier wieder.

Einfach ein historisches Spektakel hinzustellen, widerstrebt ihm natürlich. Darum baut der Regisseur ein Vorspiel der anderen Art ein – alle, absolut alle sind auf der Bühne, Darsteller, Choristen, Tänzer, sie wimmeln herum und warten… auf die Probe, wie es heißt. Wundern sich (fürs Publikum), was sie hier tun. Formulieren die Fragen, die hier gestellt werden – Lebenssinn? Am Ende steht ja doch der Tod? Was tut man bis dahin? Und sie sprechen, was sehr reizvoll ist, in zahllosen Sprachen, wie sich das Multi-Kulti-Ensemble auf der Bühne eben zusammen setzt.

Dann ist es Zeit, dass Giovanni Antonini am Pult von Il Giardino Armonico den Taktstock hebt und diese wirklich erstaunliche Musik von Emilio de‘ Cavalieri erklingen lässt, die den Text (man kann ihn im Theater an der Wien noch auf altmodische Weise, auf Tafeln links und rechts der Bühne, mitlesen) erstaunlich illustrieren und von starkem Stimmungsgehalt ist. Für die „Zwischenakte“ (es wird etwas mehr als eineinhalb Stunden durchgespielt) gibt es zusätzliche Musik, wenn man es weiß, meint man zu spüren, dass sie von anderen Komponisten stammt.

Carsen, der mit Luis F. Carvalho (der auch die Kostüme geschaffen hat) eine ganz schlichte Bühne zeigt, eigentlich immer nur Soffitten mit Tor-Elementen, die herabgelassen werden, steigt quasi nach und nach in das Stück ein. Tempo und Intelleto schneiden die Themen an, letzterer weiß, dass der Mensch nicht dazu geboren ist, „brav“ zu sein. Corpo und Anima kommen im Jeans-Gewand, ein junges Paar von heute. Sie durchschreiten im Zeitraffer das, was das Leben bietet und fordert – wenn „Piacere“ und „Mondo“ und „Vita piacere“ auftauchen, erstrahlt alles in Gold, als käme der Mammon aus dem „Jedermann“ daher. Aber die Religion, die immerhin für das Heldenpärchen einen Schutzengel geschickt  hat, straft, ohne Kleider winden sich die Reichen und Schönen nur armselig im Staub…

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Wenn mit Höllenfeuer und Himmelsfreuden geworben wird, findet Carsen fabelhafte Bilder von in der Luft schwebenden Körpern. Und wenn am Ende dann alles gut ist, alle in Weiß singend und tanzend (da kann sich die Choreographie von Lorena Randi voll bewähren) strahlend das Paradies besingen – ja da konnte das Publikum nur in begeisterten Jubel ausbrechen.

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Er galt auch den Sängern, Daniel Schmutzhard , ein kraftvoller, aber nicht kraftprotzender Corpo, und Anett Fritsch, eine Anima, für die man sich leichtere, weniger scharfe Stimme gewünscht hätte. Neben  Florian Boesch und Georg Nigl, bewährte Kämpfer auf dieser  Bühne, ließ der Schutzengel-Countertenor von Carlo Vistoli ebenso aufhorchen wie der Tenor des „Verstandes“, Cyril Auvity. Auch der Rest der Besetzung verdient Erwähnung, Margherita Maria Sala, Matúš Šimko, Michal Marhold, Giuseppina Bridelli. Vorzüglich wie immer der Arnold Schoenberg Chor (geleitet Erwin Ortner).

Der Erfolg war so stürmisch wie verdient. So geht man mit dem Verstand von heute an Werke von gestern heran, ohne sie zu zerstören, im Gegenteil, um sie für uns zur verdienten Wirkung zu bringen.

Renate Wagner            

 

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