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Yevhen Rakhmanin (Theodorus) & Alice Lackner (Olga) Foto: © Birgit Gufler © Birgit Gufler
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Feine Musik, komplizierte Sujets: Pasquinis „Idalma“ und Matthesons „Boris Goudenow“ in Innsbruck

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Eigenwillig schwanken die 45. Innsbrucker Festwochen der Alten Musik zwischen Aufbruch und Kontinuität. Wegen der Renovierungsarbeiten am Tiroler Landestheater fanden die Opern-Produktionen im großen Saal und den Kammerspielen des Hauses der Musik statt. Erfreulicherweise wurde das im Juni vergrößerte Platzangebot vom Publikum trotz der verkürzten Vorverkaufsperiode intensiv goutiert.

Mit 3G-Nachweis und der Verpflichtung zur Nutzung von Atemmaske während des gesamten Vorstellungsbesuchs galten bei 50 Veranstaltungen vom 13. Juli bis 29. August die gleichen Einlassregeln wie zu den Salzburger Festspielen. Es gab zwei facettenreiche Opern-Entdeckungen: Pasqunis „Idalma“ (1680) und ,Matthesons „Boris Goudenow“ (1710).

Zweierlei war auffällig in diesem Jahr. Egal ob Sophie Rennert, Rupert Charlesworth oder Arianna Vendittelli: Die Zahl von Preisträger*innen und Finalist*innen des seit 2010 von den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik veranstalteten Internationalen Gesangswettbewerb für Barockoper Pietro Antonio Cesti wird bei Musiktheater- und Konzert-Veranstaltungen immer höher. Das zeigt auch ein wachsendes künstlerisches Selbst- und Profilbewusstsein in der Spezialisierung auf Alte Musik. – Zum anderen zeigen Ensembles, dass barocker Originalklang und swingende Improvisationen neuerer Stilistiken durchaus Gemeinsamkeiten haben. Etwa, wenn Keyvan Chemirani mit suggestivem Trommeln das Ensemble Jupiter beim Konzeptprogramm „Amazonen“ in der Hofburg ins flirrend-schwebende Pulsieren bringt oder wenn das Innsbrucker Festwochenorchester als Verbeugungsmusik nach der über dreistündigen „Idalma“ eine Reprise mit Ohrwurmqualität herausschleudert.

„Der“ Name des Festwochen-Jahres 2021 ist allerdings kein Interpret, sondern ein Komponist: Bernardo Pasquini (1637-1710), dessen Vokalschaffen neben seinen Werken für Cembalo gänzlich unbekannt ist, schuf mit „Idalma oder Wer durchhält, siegt (L'Idalma overo Chi dura la vince)“ 1680 für das Teatro Campranica ein Spitzenwerk der lyrischen Komödienkunst zwischen Francesco Cavalli und Alessandro Stradella. Pasquini handhabt die Wechsel von kurzen Arien-Formen und sehr gestischen Rezitative vielfältig. Nur die Story um einen amourösen Quertreiber, der seine frühere Geliebte will und deshalb Turbulenzen in schöne Paarhaftigkeiten treibt, wirkt sogar für ein barockkundiges Publikum leicht zäh. Die Regisseurin Alessandra Premoli beließ die Figuren zur Bewältigung ihrer Beziehungsstörungen in barocken Kostümen (Anna Missaglia). Man küsste, keifte, klagte in einen Theaterfundus (Bühne: Nathalie Deana), wo zwei Techniker unter fraulicher Direktive währenddessen gründlich aufräumten.

Giuseppe Domenico des Totis’ Libretto lässt viele gute Ratschläge und Lebensweisheiten sprudeln, bis der frauenmäßig unentschlossene Lindoro (Rupert Charlesworth) zu Idalma zurückkehrt, die er im Wald einfach liegen ließ. Arianna Vendittelli hat als Männergeschädigte klare, schöne Tränen in der Stimme. Und viel Wasser fließt im Inn, während de Totis jedes Detail zerreden lässt und Pasquini jede rhetorische Redundanz mit Noten vergoldete. Irenes Gatte Celindo (Juan Sancho) fordert für Frau und Mann gleiches Recht auf Lust und Seitensprung: „Alle sollen genießen, wenn es etwas zu genießen gibt, das ist dann ein Volltreffer.“

Die hedonistische Ausgelassenheit und musikdramatische Sprungkraft des Innsbrucker Festwochenorchesters ist neben De Marchi im wesentlichen dem brennenden Einsatz von Konzertmeisterin Sara Meloni zu danken. Jede Silbe und jeder Ton hatten stilistische Eloquenz und dialogischen Schliff. De Marchi gibt seinen Ensembles viel Mitverantwortungsspielraum. In der letzten Vorstellung am 16. August hörte man vokale Rhetorik vom Feinsten, wobei sich vor allem Margherita Maria Sala (Irene) mit einem rundum begeisternden Contralto und der Bassist Rocco Cavalluzzi als sympathisch-gewitzter Diener Pantano profilierten. Pasquinis kompositorisches Potenzial zeigte sich am 18. August zudem im Dom-Konzert bei der Aufführung seines Oratoriums „Caino et Abel“ (1671), das sich mit der an der Berliner Lindenoper und bei den Salzburger Pfingstfestspielen aufgeführten Vertonung des Sujets durch Alessandro Scarlatti ohne weiteres messen kann.

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Die zweite Opernproduktion erwies sich auch für das Repertoire des 19. und 20. Jahrhunderts favorisierende Hörer als interessant. Dieser sich über drei Generationen dehnende gift- und blutreiche Stoff war für Komponisten wie Mussorgsky und Prokofieff kreatives Dynamit. Kann der 1710 vollendete, aber erst 2005 uraufgeführte „Boris Goudenow“ des im Vergleich zu Keiser, Telemann und Händel lange Zeit nicht so gut wegkommenden Johann Mattheson mit anderen Reißern die Hamburger Gänsemarkt-Oper konkurrieren? In der Reihe Barockoper Jung treten herausragende Teilnehmer des jeweils vorjährigen Cesti-Wettbewerbs auf. Das passt für dieses Intrigengespinst des auch als Textdichter aktiven Mattheson: Liebe heiligt politische Zweckehen.

Jean Renshaw kommt vom Tanztheater. Sie dekoriert ihre Regie über die Zeit der Wirren zwischen dem Tod des einen und dem Antritt des zweiten Zaren mit Krähen und jeder Menge Klischees. Die Figuren tragen etliche Quadratmeter Pelze und trösten sich in Karrierelöchern oder Seelentiefs mit Wodka-Abstürzen. Auch die musikalische Umsetzung geriet in der Premiere am 19. August sehr schlank. Man hörte, dass Mattheson die damals gängigen Nummernmuster der Arien, der Rezitative und des Wechsels von der deutschen in die italienische Sprache vollauf beherrschte. Das Ensemble Concerto Theresia hatte unter Leitung des sein Cembalo zu sehr in den Fokus rückenden Andrea Marchiol allerdings mehrfach das Nachsehen. Zwei Basspartien in einer Oper waren nach 1700 ungewöhnlich: Sreten Manojlović (Fodor) hatte profunde Kraft, Oliver Gourdy in der Titelpartie setzte dagegen mit machiavellistischer, verblüffender Nonchalance. Umgeben waren sie von starken Frauen: Julie Goussot (Axinia), Alice Lackner (Fürstin Olga) und Flore van Meerssche (Irina). Eric Price (Josennah) und Joan Folqué (Gavust) gaben schönstimmig die in die die Machtkämpfe verwickelten Prinzen.

Nach der dritten Musiktheater-Produktion der 45. Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, Telemanns „Pastorelle en Musique“, stellen sich sich die Teilnehmer des 12. Cesti-Gesangswettbewerbs im Finalkonzert am 29. August den Herausforderungen von Carlo Pallavicinos „L’amazone corsara“ für Barockoper Jung 2022.

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