Besondere Festspielpremiere
"Die Walküre" als Aktionskunst - wie läuft das in Bayreuth ab?
29.7.2021, 22:05 UhrDer berühmte und für seine Blut- und Beschüttungsorgien berüchtigte Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch schickt rund ein Dutzend Assistenten auf die Bühne des Festspielhauses, um in jedem der drei „Walküren“-Akte auf einem weißen Wand Triptychon und einem weißen Bodenbelag jeweils ein großes vielfarbiges abstraktes Bild zu schaffen.
An den Wänden lassen die ebenfalls weiß gekleideten Assistenten von oben akribisch die Farben in dünnen Bahnen herunterlaufen, sobald die Musik einsetzt. Das ergibt nach einer Weile ein Muster, das an farbige Strichcodes erinnert. Der Boden wird aus Eimern mit durchaus lautem Platschen beschüttet, die Farbfontänen überlagern sich, werden auch mal mit Besen verschmiert.
Diese Farbenspiele wird es in dieser Form nur in dieser Saison geben. Sie illustrieren die komplexe Geschichte von Wotan, der die von ihm gezeugten Wälsungen-Geschwister Siegmund und die mit Hunding zwangsverheiratete Sieglinde zum Inzest verleitet, um Siegfried zu zeugen.
Dieser wäre als Mensch nicht Wotans Göttergesetzen unterworfen und soll deshalb seinem Gott-Vater den alle Macht verheißenden Ring zurückzubringen.
Weil die reguläre „Ring“-Produktion wegen Corona von 2020 auf 2022 verschoben werden musste, hat die Festspielleitung Kunstprojekte zu den vier „Ring“-Opern konzipiert, wobei die „Walküre“ als einziges der Werke im Festspielhaus aufgeführt wird.
Man darf Nitschs Bild-Erschaffungen in Wagner-Echtzeit aber keinesfalls mit Regie verwechseln – er wird auf dem Besetzungszettel auch dezidiert „Aktionskünstler“ genannt. Faktisch wird diese besondere „Walküre“ konzertant aufgeführt.
Die Sängerinnen und Sänger kommen in schlichten schwarzen, sakral anmutenden Gewändern auf die Bühne, für jeden steht in Rampennähe jeweils ein Stuhl bereit, das ist alles. Und im Hintergrund läuft Nitschs Kunstaktion parallel dazu ab.
Die Verbindung zwischen beiden muss jeder Betrachter für sich selbst schaffen, das ist der Charme der Abstraktion dieser Produktion, sie ist offen für viele Assoziationen. Und Synästhesien, schließlich spricht man nicht zufällig in der Musik ebenso wie bei Farben von Tönen.
Im ersten Akt, wenn Siegmund und Sieglinde sich zögerlich annähern, lässt Nitsch vor allem Blau-, Grün- und Violett fließen und schütten. Erst wenn sich am Ende ihre Leidenschaft Bahn bricht, folgen die Nitsch-typischen Rottöne.
Stehen diese hier für das Blut des Lebens, symbolisieren sie am Ende der Oper im dritten Akt die Macht des Feuers, mit dem Wotan Brünnhilde einschließt? Zwingend überzeugend finden weder hier noch dort Farben und Klänge zusammen.
Das ist im Mittelteil, dem 2. Akt, ganz anders. Helles Gelb wird zu Wotans düsterer Lebensbeichte von Schwarztönen überlagert, die Ausweglosigkeit wird in diesem apokalyptischen Katarakt unmittelbar. Das ist aufwühlend.
Tomasz Konieczny sprang als Wotan für Günther Groissböck ein, der nach der Generalprobe kurzfristig abgesagt hatte, auch für den „Ring“ im nächsten Jahr. Christa Mayer gestaltet eine präsente, fordernde Fricka, Klaus Florian Vogt (Siegmund) und Dmitry Belosselskiy (Hunding) zählen ebenfalls zur sängerischen Habenseite dieser „Walküre“
Doch warum setzt Nitsch schon wieder hellere Farben ein, wenn Wotan von Brünnhilde (Irene Theorin) verlangt, Siegmund den Schutz zu entziehen? Vielleicht, weil es auf diesen gar nicht mehr ankommt, er hat ja bereits Siegfried gezeugt, den Sieglinde (Lise Davidsen) im Bauch trägt.
Hier den Vater zu opfern, wird den Gang der Dinge nicht aufhalten können. Am Ende dominiert wieder helles Gelb, doch es wirkt anders, weil der Betrachter gesehen hat, dass eine schwarze Schicht des Todes darunter liegt.
Jeder und jede kann dazu auch andere Assoziationen haben, Nitsch gönnt sich auch eine: einen Jesusstatisten auf einem Holzkreuz, der mit blutroter Farbe beschüttet wird und über dem eine Monstranz gehalten wird.
Diese Symbolik ist nah am Kern von Nitschs Kunst, die viel besser zum „Parsifal“ passen würde. In einer Oper, die sich aus Nibelungenlied, germanischer und griechischer Götterwelt speist, bleibt sie jedoch ein folgenloser Fremdkörper.
Nicht so die abstrakten Farbeffekte: Nitschs Aktionskunst schafft eine geistig anregende Reflexionsfläche für das moderne, zeitlos gegenwärtige Potenzial in Wagners Musik.
Was für eine Steilvorlage für die Musik! Doch leider schafft es Pietari Inkinen bei seinem Bayreuth-Debüt nicht, deren Qualitäten in genügendem Maß offenzulegen.
Der Dirigent, auch ein anerkannter Geiger, spürt vor allem den Lyrismen in Wagners Musik nach, will die kammermusikalischen Elemente auskosten. Aber er bremst auch das Tempo herunter, als suche er Schönheit und Weihe durch Verlangsamung.
Doch das sind nicht die Elemente, die Wagners Musik im 21. Jahrhundert aufregend machen. Wie es anders und besser geht, hat Kirill Petrenko beim letzten Bayreuther „Ring“ meisterhaft bewiesen.
Viele Steigerungen, auch solche mit Hitpotenzial (Winterstürme, Walkürenritt) geht Inkinen mit dem Bayreuther Festspielorchester zu zögerlich an, musikdramatisch effektvolle Momente (Todesverkündigung, Feuerzauber) entfalten nur matte Wirkung.
Das sollte - nein, das muss - bis zum nächsten Jahr, wenn Inkinen alle vier „Ring“-Opern in Bayreuth dirigieren wird, besser werden.
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