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Falstaff. Foto: © Monika Rittershaus.
Falstaff. Foto: © Monika Rittershaus.
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Gemischte Gefühle: Die Festspiele in Aix-en-Provence mit „Le nozze di Figaro“ und „Falstaff“

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Im vorigen Jahr mussten die Festspiele in Aix-en-Provence ins Internet ausweichen. Jetzt sind sie live zurück. Die charmante Stadt wirkt im zweiten Coronasommer deutlich weniger überfüllt als sonst in dieser Jahreszeit. Beim Betreten des Théâtre de l’Archevêché gibt es neben den üblichen Sicherheits-, zusätzliche Kontrollen der Impf- oder Testnachweise.

Drinnen freilich gilt selbst unter freiem Himmel Maskenpflicht, auch während der Vorstellung. Jeder Platz ist besetzt, was im Vergleich zu dem, was man mittlerweile aus Deutschland oder Österreich kennt, erstaunt. Nichts mit Salzburger Schachbrettsitzordnung – wohl dem, der schon seine Impfungen hat. 

Obwohl es inzwischen das komfortable Grand Théâtre de Provence als Spielstätte für gastspielkompatible Großproduktionen gibt, ist das Herz des Festivals immer noch das atmosphärische Freilufttheater im Hof des erzbischöflichen Palastes. Samt Recht der ersten Nächte. Im aktuellen Fall mit einer Neuinszenierung von Mozarts „Le nozze di Figaro“ vom Gespann Lotte de Beer und Thomas Hengelbrock und von Verdis „Falstaff“ in der Regie von Barrie Kosky mit Daniele Rustioni am Pult.  

Beide Stücke passen nicht nur wegen ihrer musikalischen Genialität und komödiantischen Leichtigkeit in der Perfektion nach Südfrankreich. Sie passen mit ihrer Anschlussfähigkeit an die aktuellen #metoo und Gender-Debatten auch in die heutige Zeit. In Mozarts und DaPontes Figaro könnten sämtliche Frauen „Metoo!“ rufen und es wäre nichts an der Geschichte verbogen. Und Shakespeares und Verdis Sir John würde sich heute zielsicher einen Shitstorm und den Bannstrahl der Cancel Culture Aktivisten einfangen. 

Klischees unterlaufen (Verdi – Kosky)

Ein Vorzug und der besondere Charme von Koskys Inszenierung besteht darin, dass er gerade dieses Klischee unterläuft. Er sympathisiert sogar ziemlich unverhohlen mit dem Lebemann, der den Mühen des heraufziehenden Alters ein Schnippchen schlägt und seine Lebenslust verteidigt. Er ist ein Mann, der zum Beispiel mit so viel Leidenschaft kocht, dass er dabei nicht mal was unter der Kochschürze trägt. Er hat sogar für jeden Anlass (Alltag, Flirten, Attacke) eine passende Perücke. Er macht auch im geckenhaften Designer-Dress (gemustert wie die Tapete an der Wand) noch eine zwar extravagante, aber doch bella figura. Der Typ ist nicht lächerlich, sondern selbstbewusst. Er ist halt wirklich das Salz in der Suppe der anderen, wie er ihnen am Ende ja vorhält. Er wird zwar auch hier hopp genommen, aber die Sache ist nicht so aussichtslos für ihn, wie man oft vorgeführt bekommt. Die Frauen von Windsor (prägnant vor allem die Alice von Carmen Giannattasio) hätten sich auch um ihn balgen können und mit den Torten, die offenbar ihre kollektive (Ersatz-)Leidenschaft sind, nacheinander werfen können. 

Kosky spielt im (so gut wie-)Einheitsbühnenbild von Katrin Lea Tag seine Fähigkeit für ein perfektes Timing voll aus und münzt sie in kammerspielperfekte Situationskomik um. Er modelliert gleichsam die Musik auf der Bühne nach. Und wenn man den Lyoner Orchesterchef Daniele Rustioni am Pult vor seinen Musikern im Blick hat, dann kann man anfügen, dass das auch umgekehrt der Fall war und der gleichsam szenisch dirigierte. Kosky bringt Verdis Spätwerk von Innen auf Komödien-Trab und zum Weisheits-Leuchten. Er gönnt seinem genial spielenden und wacker singenden Sir John Christopher Purves jeden Hüftschwung, jeden kleinen Scherz – ohne dabei die Contenance des guten Geschmacks zu verlieren. Selbst dann, wenn das nackte Hinterteil des Küchenmeisters aufblitzt. Dass Kosky den in diesem Stück eigentlich obligaten Wäschekorb durch einen (viel leichter zu bewegenden) Wäschesack ersetzt – ist geschenkt. Dass das Getümmel im Park am Ende etwas nüchterner ausfällt, als der Chef der Komischen Oper das vermutlich in seinem Haus in Berlin auf der Bühne entfesselt hätte, ebenso.  

Dieser „Falstaff“ ist jedenfalls ein szenischer Wurf mit einer aparten Akzentverschiebung Richtung Titelfigur und ein veritables musikalisches Vergnügen.

Entfesselt verheddert (Mozart – de Beer)

Aber es ist auch ein Gegenentwurf zu dem, was Lotte de Beer am Vorabend aus Mozarts „Le nozze di Figaro“ gemacht hat. Bei der designierten Intendantin der Volksoper Wien sprang in der Ouvertüre ein Commedia dell’arte-Tiger los, um dann als Slapstick-Bettvorleger zu landen. Selbst wenn sie mit ihren Leuchtkästen mit den Kommandos zu Applaus oder Lachen über den zwei Guckkästenräumen für Schlafzimmer und Sitcomsofa als zentrale Möbel etwas vorführen wollte, reichte das nicht als distanzierender Rahmen, sondern verhedderte sich selbst in dem entfesselten Klamauk, der wirklich keinen noch so billigen Kalauer ausließ (Bühne: Rae Smith, Kostüme: Jorine van Beeck). 

Da brennt das Bügeleisen Susannas (spielfreudig: Julie Fuchs) natürlich unvermeidlich einen Fleck in die Grafenwäsche. Da wird der Riesenfrontlader nicht nur zum Versteck für Cherubino (als Pubertierender glaubwürdig: Lea Desandre), sondern auch in Gang gesetzt.

Dass dieser frühreife Knabe beim Anblick der Gräfin (Jacquelyn Wagner) vielsagend auf seine sich regende Männlichkeit schaut, wäre ja noch okay. Hier aber hebt sich nicht nur sein Hemd, Susanna muss dieses übertriebene Dauerphänomen auch noch als Bügelbrett benutzten, damit es auf der Bühne keiner merkt! Für die, die es im Zuschauerraum immer noch nicht mitbekommen haben, kommen gleich mehrere Phalli in Lebensgröße aus dem Schrank und spielen von nun an mit. 

Wenn die Gräfin aus Frust Pillen schluckt, na gut. Doch dann füllt die Lebensmüde eine Schüssel mit Wasser und holt sich (was auch sonst) einen Föhn. Auch diesen Klassiker kann Susanna zwar verhindern, doch sie wird selbst zum Opfer eines Stromschlags und kommt so zu einer Frisur wie Struwwelpeter. Dass beim Versuch der Gräfin schließlich eine Flinte gegen sich zu richten, ein Schuss losgeht und die Wände einstürzen, das hat da schon wieder eine gewisse Logik. 

Auch nach der Pause gibt es ums nunmehr einsame Doppelbett in einem Neonrahmenkubus keine Fallhöhe. Alle stricken sich opulent putzige Kostüme mit deutlich baumelndem männlichem Geschlecht, zumindest bei den Frauen. Die Bühne beherrscht eine aufgeblasene bunte Baumskulptur und wirkt so opulent wie unverbindlich vor sich hin. Leider schaffen es auch Thomas Hengelbrock und sein Balthasar Neumann Ensemble nicht wirklich, den Abend in Richtung Mozartglück zu wenden. Was aus dem Graben kam, hätte besser zu einer feinsinnig eleganten Lesart auf der Bühne gepasst. André Schuen bleibt als Figaro etwas blass, Gyula Orendt als pathologisch übergriffiger Graf ist da profilierter. Dass die Barbarina von Elisabeth Boudreault heraussticht, spricht für sich. Alles in Allem eine von den Vorhang-zu-und-viele-Fragen-offen Inszenierungen. 

Aber dann kam ja „Falstaff“ und stellte tatsächlich klar: Tutto nel mondo e burla.  

 

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