Salzburger Festspiele: Cecilia Bartoli schenkt allen pure Energie

Die gefeierte Sängerin ist als Prinzipalin der Pfingstfestspiele in diesem Jahr omnipräsent. Kein Wunder: Alles dreht sich um ihre Geburtsstadt Rom – und um Bartoli selbst.

Michael Stallknecht, Salzburg
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Ungewohnte Frisur, ungewohntes Vergnügen: Salzburgs Prinzipalin Cecilia Bartoli als Piacere in Händels szenisch aufgeführtem Oratorium «Il trionfo del Tempo e del Disinganno».

Ungewohnte Frisur, ungewohntes Vergnügen: Salzburgs Prinzipalin Cecilia Bartoli als Piacere in Händels szenisch aufgeführtem Oratorium «Il trionfo del Tempo e del Disinganno».

Monika Rittershaus / SF

«Vielen Dank, dass Sie unsere Schutzmassnahmen einhalten, den Anweisungen des Personals Folge leisten und so zu unser aller Sicherheit beitragen», sagt zu Beginn jeder Vorstellung eine weibliche Lautsprecherstimme, die hinter dem festen Willen zur Freundlichkeit ihren ebenso festen Willen zum Kommando nicht ganz verbergen kann – um anschliessend gleich noch eine ganze Liste mit Anweisungen zu verkünden. Wehmütige Erinnerungen werden da wach an die Salzburger Festspiele des vergangenen Sommers, an diesen eigentümlich frei schwebenden Ausnahmezustand, direkt nach dem ersten Shutdown, als sich unter knapp 80 000 Besuchern dennoch kein Einziger mit dem Coronavirus angesteckt hat.

Die Vorgaben für die Pfingstfestspiele am selben Ort knapp ein Jahr später sind deutlich strenger: Nur frisch getestete, mit einem Impfpass bewehrte oder vom Coronavirus genesene Menschen werden eingelassen, und im Gegensatz zum vergangenen August ist auch bei Vorstellungsdauern von bis zu zweieinhalb Stunden ohne Pause verpflichtend eine FFP2-Maske zu tragen. Nötig wäre beides aus rein virologischer Perspektive nicht, wie seit den Veranstaltungen im Sommer 2020 inzwischen auch mehrere wissenschaftliche Studien bestätigt haben. Das Prozedere folgt vielmehr dem Willen der österreichischen Bundesregierung zu einer Symbolpolitik der Stärke.

Immerhin macht sie dafür erneut möglich, was wiederum in der Schweiz momentan noch Zukunftsmusik ist: eine Besetzung der Säle nach dem Schachbrett-Prinzip mit mehr als eintausend Besuchern im Grossen Festspielhaus und über siebenhundert im kleineren Haus für Mozart.

Feiern, tanzen, knutschen

Ungeachtet des erst kurzfristig angelaufenen Kartenvorverkaufs sind alle Vorstellungen so gut wie ausverkauft. Rund 5800 Besucher vermelden die Festspiele zum Abschluss, das entspricht einer Auslastung von 99,5 Prozent. Nach mehr als einem halben Jahr rein digitalen Musikhörens ist die Sehnsucht nach dem Live-Erlebnis offenkundig grösser als das Missfallen angesichts der Einschränkungen.

Und in der Tat gleicht es einem Trunk in einer Wüstenoase, wenn man hier etwa mit dem Orchester des Maggio Musicale Fiorentino erstmals wieder ein grosses Orchester hören kann, das ohne Abstände den Klangzauber von Ottorino Respighis «Pini di Roma» entfaltet. Wenn der blechbläser- und schlagzeugsatte Schluss, über den Musikconnaisseurs in Zeiten des Überflusses noch verächtlich lächeln durften, einen nun – im geschmackvollen, ohne falsches Pathos auskommenden Dirigat von Zubin Mehta – erstmals wieder mit Wucht in den Sitz drückt.

Die publikumswirksamen «Pinien» gehören in das Programm, das Cecilia Bartoli, seit 2012 und mindestens noch bis 2026 Intendantin der Pfingstfestspiele, in diesem Jahr leitmotivisch ihrer Geburtsstadt gewidmet hat, der «Roma aeterna». Erstaunlich wenige Umplanungen waren nötig: Weil John Eliot Gardiner nicht mit seinen Ensembles aus Grossbritannien anreisen konnte, schob Bartoli kurzfristig noch eine Wiederholung ihres Soloprogramms «What Passion Cannot Music Raise» ein. Für die Titelrolle in einer konzertanten Vorstellung von Puccinis «Tosca» am letzten Tag des verlängerten Pfingstwochenendes sprang kurzfristig Anna Netrebko ein, weil – auch das gehört zu diesen merkwürdigen Zeiten – sogar die berühmtesten Sänger momentan ziemlich flexible Terminkalender haben.

Im Zentrum des Programms und der Aufmerksamkeit steht dennoch nicht der Star-Glanz, sondern ein philosophisch meditierendes Oratorium, das der junge Georg Friedrich Händel im Jahr 1707 in Rom komponierte. Robert Carsen hat es zur Eröffnung im Haus für Mozart szenisch realisiert: «Il trionfo del Tempo e del Disinganno» – in vergröbernder Übersetzung: «Der Triumph der Zeit und der Erkenntnis» – lautet der Titel des an mittelalterliche Vorbilder erinnernden Allegorienspiels, zu dem ein veritabler römischer Kardinal den Text beisteuerte.

Ein Star aus Zürich: Mélissa Petit bietet Bartoli in «Il trionfo del Tempo e del Disinganno» als Bellezza furios Paroli.

Ein Star aus Zürich: Mélissa Petit bietet Bartoli in «Il trionfo del Tempo e del Disinganno» als Bellezza furios Paroli.

Monika Rittershaus / SF

Mit etwas steil erhobenem Zeigefinger erzählt es davon, wie eine junge, schöne Frau lernt, dass Schönheit mit der Zeit vergeht und nur in der Selbstreflexion zu wahrem Glanz finden kann. Carsen hat es in die heutige Oberflächenwelt von «Germany’s Next Topmodel» verlegt, in der ein ganzes Korps von jungen Tänzern und Statisten feiert, tanzt und knutscht. Vor allem das zentrale Symbol des Spiegels hat es Carsen angetan, er findet es in vergrössernden Bildern von Fernsehkameras wieder, aber auch in einem bühnenhohen Spiegel, der das Salzburg-typische Publikum der Reichen und Schönen zeigen soll.

Salzburger Festspiele ehren Alexander Kluge

wdh. · Im Rahmen des Pfingstfestivals haben die Salzburger Festspiele die Preisträger zweier bedeutender Auszeichnungen bekanntgegeben: Der «Mortier Award für Musiktheater» und der Förderpreis «Mortier Next Generation» wurden ins Leben gerufen, um das künstlerische Vermächtnis des 2014 verstorbenen ehemaligen Intendanten Gerard Mortier für die Gegenwart und die Zukunft des Musiktheaters fruchtbar zu machen. Die Auszeichnungen werden an Persönlichkeiten verliehen, die sich im Geiste Mortiers um eine Erneuerung des Kunstwerks Oper bemühen. In diesem Jahr wird der Filmemacher, Autor und Universalgelehrte Alexander Kluge als nunmehr dritter Preisträger mit dem Mortier Award ausgezeichnet wird. Der mit 30 000 Euro dotierte Förderpreis geht an die deutsche Musiktheater-Regisseurin Ulrike Schwab und wird vom Verein der Freunde und Förderer der Salzburger Festspiele gestiftet. Die Auszeichnungen sollen bei einem Festakt am 17. August während der Sommerfestspiele in Salzburg überreicht werden.

Die Zeiten strafen das Konzept freilich Lügen, wecken doch dichtgedrängte junge Menschen momentan eher nostalgische Gefühle als solche der moralischen Überlegenheit. Zudem ist das Publikum diesmal eindeutig nicht wegen des Glamours – der weitgehend fehlte –, sondern der Musik wegen angereist. Aber Carsens schnörkellose, dabei in sich deutungsoffen vibrierende Bilder geraten immerhin selbst schön genug, um die lang unterdrückte Sehnsucht nach dem lebendigen Agieren von Körpern und dem Klang von Stimmen im Raum zu stillen.

Gelebte Partnerschaft

Cecilia Bartoli fällt in der allegorischen Rolle des Piacere, des «Vergnügens», eine der schönsten langsamen Arien Händels zu, die er vier Jahre später mit anderem Text wiederverwendete: «Lascia la spina, cogli la rosa» – bekannter als «Lascia ch’io pianga» aus der Oper «Rinaldo». Die seit langem in Zürich beheimatete Römerin lässt daraus einen jener magischen Silberfäden aus feinstverästelten Pianofarben werden, die schon immer zu ihren grössten Stärken gehörten.

Überhaupt ist die Intendantin omnipräsent. Fünf Vorstellungen singt sie in nur vier Tagen, neben dem szenischen Auftritt in Händels Oratorium und dem eingeschobenen Soloprogramm auch noch den Sesto in einer konzertanten Aufführung von Mozarts «La clemenza di Tito». Kaum eine andere Sängerin der Gegenwart würde sich einen solchen Kraftakt zumuten, ja nur zutrauen.

Mit dem Thema Altern hat sich Cecilia Bartoli (in Rot) schon 2019 in ihrer Salzburger «Alcina» auseinandergesetzt. Nun beschäftigt es sie zusammen mit Lawrence Zazzo (Disinganno), Charles Workman (Tempo) und Mélissa Petit (Bellezza) erneut.

Mit dem Thema Altern hat sich Cecilia Bartoli (in Rot) schon 2019 in ihrer Salzburger «Alcina» auseinandergesetzt. Nun beschäftigt es sie zusammen mit Lawrence Zazzo (Disinganno), Charles Workman (Tempo) und Mélissa Petit (Bellezza) erneut.

Monika Rittershaus / SF

Freilich zahlt auch Bartoli dafür einen Preis: Etwas routiniert wirkt manches Koloraturenfeuerwerk bei Händel, und bei Mozart zerdehnt sie die langsamen Arien bisweilen bis an die Grenze zum Manierismus. Doch – welches charismatische Bühnenkraftzentrum Bartoli bleibt, das spürt man spätestens, wenn sie einzelne Orchestermusiker zu sich an die Rampe bittet, um mit ihnen in den direkten Dialog zu treten: den Klarinettisten für das «Parto, parto» aus Mozarts «Titus» oder den Trompeter, mit dem sie sich im Soloprogramm einen Wettstreit um die üppigste Koloratur, die am längsten ausgehaltenen Noten liefert wie weiland der Kastrat Farinelli im berühmten Film von Gérard Corbiau. Wo andere Operndiven eher von den Kräften (und Nerven) anderer zehren, schöpft und schenkt Bartoli pure Energie aus gelebter Partnerschaft.

Das gilt zumal für den Umgang mit den Musiciens du Prince-Monaco, die sie selbst vor fünf Jahren mitbegründet hat und die inzwischen zu einer Art Residenz-Orchester der Pfingstfestspiele avanciert sind. In den gemeinsamen Auftritten mit Bartoli erweisen sie sich als ein Barockensemble, dessen Möglichkeiten die standardisierte Ruppigkeit vieler mediokrer Ensembles deutlich überschreiten. Bei «La clemenza di Tito» raut das historische Instrumentarium das Klangbild zwar ebenfalls auf, gleichzeitig aber entwickelt der Chefdirigent Gianluca Capuano einen reich in sich gestaffelten, im Detail fein durchphrasierten Orchesterklang.

Medialer Overkill: Cecilia Bartoli (Piacere) und Mélissa Petit (Bellezza) konkurrieren miteinander und mit bunten Show-Versprechungen in «Il trionfo del Tempo e del Disinganno».

Medialer Overkill: Cecilia Bartoli (Piacere) und Mélissa Petit (Bellezza) konkurrieren miteinander und mit bunten Show-Versprechungen in «Il trionfo del Tempo e del Disinganno».

Monika Rittershaus / SF

In Händels klein besetztem «Trionfo» dagegen setzt Capuano ganz auf den feinen Silberstift und lässt vor allem die Orchestersolisten mit rasanter Virtuosität glänzen. Eine grosse Bandbreite in der Dynamik wie bei der Tempogestaltung lässt die Musik lebendig werden. Am bemerkenswertesten fällt der Umgang mit der Continuo-Gruppe aus, die Capuano fast nie en bloc, sondern als in sich rhythmisch und farblich differenziertes Solistengefüge agieren lässt.

In Händels Oratorium weicht die «Bühne des Scheins» einem «Theater der Wahrheit». In Robert Carsens Inszenierung ist es nichts anderes als die Bühne im Haus für Mozart selbst, die am Ende, leer bis zur Brandmauer, zum wohl stärksten Bild dieser Pfingstfestspiele wird. Wir brauchen, sagt es in diesen schwierigen Zeiten, die Bühne als den Ort, an dem wir uns selbst widerspiegeln und so, hoffentlich, in unserer Menschlichkeit wiederfinden können.

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