1. Startseite
  2. Kultur

Cecilia Bartoli mit Händels „Il Trionfo“: Salzburgs next Topmodel

KommentareDrucken

Mélissa Petit und Cecilia Bartoli
Schattenseiten des Showgeschäfts: Bellezza (Mélissa Petit, Mi.), verführt von Piacere (Cecilia Bartoli). © Monika Rittershaus

Erbauungsstück zwischen TV-Persiflage und Psychodrama: Salzburg zeigt Händels „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“, wobei die Chefin ihre Divenposition räumt.

Rein von der Papierform deutet alles hin aufs große Gähnen. Keine echten Menschen, nur allegorische Figuren. Nicht mal eine Oper, sondern „nur“ ein Oratorium – und dann auch noch ein Kirchenfürst als Textdichter. Doch der, Kardinal Pamphili, ein liberaler Intellektueller, liegt vom Geist her eher bei Marx statt bei Ratzinger. Und er traf 1707 in Rom auf einen Komponisten in vollster Sturmdrang-Blüte: „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ (Triumph der Zeit und der Erkenntnis) ist – ähnlich wie das damals entstandene „Dixit Dominus“ – eine der exaltiertesten Partituren Händels mit heftigen Emotionsausschlägen, ob ins Dunkle oder in die Ekstase.

Bei Cecilia Bartolis Pfingstfestspielen, die sich nach einem Jahr Zwangspause zurückmelden, beginnt alles als „Salzburgs next Topmodel“. Ein TV-Event in Neonrosa und mit Aufmarsch lauter Augenweiden beiderlei Geschlechts, aus der die Jury eine große Blonde kürt. Was sich Händel/Pamphili als Kampf zwischen den Figuren Zeit, Erkenntnis und Piacere, also Vergnügen, um die arme Schönheit (Bellezza) dachten, als Reflexion über das Vergängliche und das Akzeptieren von Verfall und Sterblichkeit, das hebt hier an als Story über das seine Stars auspressende Showgeschäft.

Cecilia Bartoli als Manager-Mephistophela

Piacere, das ist in Gestalt Cecilia Bartolis eine stöckelnde Mephistophela, eine Managerin, ein Typ zwischen Hannelore Hoger und Frauke Petry. Und: Salzburgs Pfingstzentralgestirn überlässt in dieser Produktion die Divenposition Mélissa Petit. Sie hat als Bellezza die meisten Arien zu schultern – und tut dies nicht unbedingt mit allerliebreizendstem Sopran, dafür mit rollengemäß spröder Lyrik. Die Geläufigkeit hat sie, auch die Technik für entlegene Gebiete des Notensystems. Glaubhaft gestaltet sie den Aufstieg einer Showhoffnung bis zum großen, stillen Abgang nach schmerzlicher Einsicht.

Regisseur Robert Carsen spielt in der Ausstattung von Gideon Davey seine Erfahrung als Figurenschraffeur und routinierter Bühnenzaubermeister aus. Was anhebt als TV-Persiflage, weitet sich, mal mit Augenzwinkern, mal mit Träne, zum kühlen Psychodrama. Ein stummer Bewegungschor feiert seine Jugend und genießt das hedonistische Lebensgefühl, ewig Zeit zu haben (Choreografie: Rebecca Howell). Keine Spur von Erbauungstheater. Carsen ist auch keiner, der das Stück hochnimmt und mit Ironie überwürzt. Am Wendepunkt von „Il Trionfo“, wenn Bellezza in den Spiegel schaut, erblickt sich das Publikum selbst dank einer riesigen Reflexionswand. Ein alter Trick, Carsen weiß das. Aber einer, der eben immer noch funktioniert.

Gut 700 Plätze im Haus für Mozart sind besetzt

Die Gegner des Vergnügens sind hier zwei Männer in Schwarz. Lawrence Zazzo gibt im Anzug und mit herbem Charakter-Counter den Erkenntnis-Entertainer. Charles Workman erinnert als Verkörperung der Zeit mit Mantel und Priesterkragen an einen US-Fernsehprediger. Auch sein Tenor hat einige Jahresringe angesetzt, dafür an Ausdrucksmöglichkeiten gewonnen – und ist immer noch fähig zum Verzierungssprint.

Das gilt auch für die Chefin. Die Bartoli ist klug genug, ihre Karrieredauer nicht zu leugnen. Das Energische, Strenge ihrer Figur wird auch hörbar gemacht. Der Hit des Stücks, „Lascia la Spina“, ist dafür ein Wunder an Selbstvergessenheit, ein Moment, an dem die Figur Tempo keine Chance hat: Hier steht in Salzburg die Zeit tatsächlich still. Dafür rattert der Koloraturmotor wieder zuverlässig in Piaceres letzter Arie, naturgemäß mit Jubel-Folge.

Gut die Hälfte der 1500 Plätze im Haus für Mozart sind besetzt. Immerhin 60 Prozent der Gäste sind, so meldet das erste Festival des Jahres, aus dem europäischen Ausland angereist. Wie schon im vergangenen Sommer darf Salzburg die Besucherinnen und Besucher im Schachbrettmuster platzieren. Die Kontrollen an den Eingängen klappen reibungslos, der Schampus wird nicht vermisst: Ohnehin wird der Zweieinviertelstünder nur mit einer kurzen Lichtpause gespielt.

Der Aufführung tut diese Konzentration, diese Fokussierung nur gut. Im Graben sorgt Cecilia Bartolis Hausorchester Les Musiciens du Prince-Monaco für höchste Umdrehungszahlen. Dirigent Gianluca Capuano lässt die Musik züngeln und führt vor, für welche Wundersolisten der Komponist seinerzeit die Partitur geschrieben haben muss. Ein paar Mal wird das auf die Spitze und über Grenzen getrieben, doch Spaß macht dieses Dauer-Furioso und die Intensität auch im Leisen jede Sekunde. Wer am Ende siegt, die Zeit, die Erkenntnis oder das Vergnügen, das lässt der Abend offen. Mit den letzten Tönen öffnet Bellezza das Tor zum Toscanini-Hof auf der Hinterbühne und verschwindet. Für die wahre Schönheit müssen andere Gesetze als jene dieser Welt gelten.

Weitere Vorstellungen
im Rahmen der Sommerfestspiele am 4., 8., 12., 14. und 17. August; Telefon 0043/662/8045-500.

Auch interessant

Kommentare